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Zweiundvierzig

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Eine Mondsichel wiegt den Himmel in den Schlaf. Der Schnee hat eine Kruste gebildet. Die Nacht spiegelt sich darin, ein glattes, schillerndes Meer.

In der Veranda erhellt die Öllampe die Wände, zeichnet goldene Schatten. Matthias kommt auf mich zu, mit einer Schüssel Suppe und einem Stück Schwarzbrot. Wir essen nichts anderes. Jeder Rest Suppe ist die Grundlage für die Suppe des nächsten Tags. Sobald wir den Topfboden erreichen, gibt Matthias Wasser hinzu und alles, was ihm in die Finger kommt. Wenn wir Fleisch haben, kocht er die Knochen und das Fett aus. Gemüse, altes Brot, alles wandert in die Suppe. Jeden Tag, zu jeder Mahlzeit, löffeln wir unsere Endlossuppe.

Während sich Matthias an den Tisch setzt und still die Hände zum Gebet faltet, esse ich bereits los. Oft bin ich fertig, bevor er überhaupt zum Löffel greift.

Anfangs musste Matthias mich fast zum Essen zwingen, aber das war nötig, damit ich kräftiger wurde und wieder etwas Farbe bekam. Er half mir, mich im Bett aufzurichten, und fütterte mich mit einem Löffel wie ein kleines Kind. Heute kann ich mich selbst aufsetzen und mir ein Kissen in den Rücken schieben. Die Schmerzen und die Erschöpfung sind immer noch da, aber ich habe wieder Appetit. Wenn Matthias ein paar Liter Milch bekommt, macht er mit dem Lab, das er im Stall in der Melkkammer gefunden hat, Käse. Manchmal gibt er den Leuten im Dorf etwas davon ab, aber oft ist der Käse so lecker, dass wir ihn in wenigen Tagen selbst aufessen, direkt aus dem Seihtuch, in dem er zum Abtropfen hängt.

Die Wundheilung kostet mich große Kraft. Das Einschätzen, wie viel Zeit vergeht, auch. Vielleicht sollte ich es wie Matthias machen und einfach vor oder nach dem Schnee sagen. Aber das wäre zu einfach.

Seit drei Monaten haben wir keinen Strom mehr. Man hat mir erzählt, dass der Strom im Dorf vorher immer mal wieder ausgefallen sei. Nichts Beunruhigendes. Die Leute hatten sich fast daran gewöhnt. Sie wussten, nach ein paar Stunden kommt der Strom wieder. Bis er eines Morgens nicht mehr wiederkam. Weder hier noch anderswo. Das war im Sommer. Die Leute nahmen es leicht. Doch als es Herbst wurde, begriffen sie, dass sie Vorbereitungen treffen mussten. Als wäre das nicht absehbar gewesen. Jetzt ist es Winter, und alle müssen sich mit der Lage abfinden. In den Häusern versammelt man sich um die Öfen und um ein paar rußige Töpfe.

Matthias leert seine Schüssel, schiebt sie zur Tischmitte.

Einen Moment lang passiert nichts. Ich mag diese Stille nach dem Essen.

Leider hält sie nie lang an.

Matthias steht auf, räumt die Teller ab, spült sie in der Plastikwanne. Dann packt er die Brotfladen in eine Tüte, nimmt die Kleider von der Leine über dem Ofen, faltet sie, stellt den Docht der Öllampe höher, holt das Verbandszeug, rückt einen Stuhl heran.

Das Gewicht von Schnee

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