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Einundvierzig

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Die Tür geht auf, ein Schwall kalter Luft dringt herein. Matthias trägt den Arm voller Holz, wirft die Scheite neben den Ofen. Sie prallen gegeneinander, Borkenstücke lösen sich.

Matthias zieht die Jacke aus, geht auf die Knie, schürt mit dem Haken das Feuer. Hinter ihm schmelzen die Spuren seiner Stiefel, rinnen über den leicht abschüssigen Boden.

Kalt ist es nicht, sagt er und streckt die Hände zum Ofen hin, aber feucht. Das geht in die Knochen.

Als die Flammen fauchend an die Ofenwände schlagen, schließt Matthias die Klappe, setzt einen Topf Suppe auf, dreht sich zu mir um. Mit den buschigen Augenbrauen, dem weißen Haar und den Furchen auf der Stirn sieht er aus wie ein verrückter Wissenschaftler.

Ich hab was für dich.

Ich hebe eine Braue. Matthias nimmt den goldenen Gegenstand vom Tisch und hält ihn mir hin. Sein Mund formt ein Lächeln. Der Gegenstand ist schwer und lässt sich ausziehen. An beiden Enden sind Gläser eingesetzt. Ich drehe und wende ihn. Es ist ein Fernrohr. Eines, wie Seeleute es früher hatten, um nach fernen Küsten Ausschau zu halten oder nach feindlichen Schiffen.

Sieh hinaus.

Ich richte mich im Bett auf, ziehe das Teleskoprohr auseinander, halte es mir ans Auge. Plötzlich ist alles ganz nah und gestochen scharf. Als wäre ich draußen vor dem Fenster. Die schwarzen Striche der Vögel am Himmel, die Fußstapfen im Schnee, das verstörend stille Dorf, der Waldrand.

Sieh noch einmal hin.

Eigentlich kenne ich jedes Detail dieser Landschaft. Ich schaue schon so lange aus diesem Fenster. An den Sommer erinnere ich mich wegen des Fiebers und der Medikamente kaum, aber im Herbst sah ich die Landschaft sich allmählich verändern, den Himmel grau werden, die Bäume rötlich leuchten. Ich sah, wie der Frost den Farn fraß, wie das hohe Gras beim kleinsten Windstoß umknickte, wie die ersten Schneeflocken den frostigen Boden bestäubten. Ich sah die Spuren der Tiere, die im ersten Schnee die Umgebung erkundeten. Seitdem hört der Himmel nicht auf, das Land zu begraben. Die Welt steht still. Wartet auf den Frühling.

Von hier gibt es keinen Ausweg. Die Berge zerschneiden den Horizont, der Wald umzingelt uns von allen Seiten, das Weiß sticht ins Auge.

Sieh genauer hin, sagt Matthias.

Ich mustere den Pfahl, den Matthias auf der Lichtung in den Boden getrieben hat. Mir fallen feine Kerben auf.

Eine Messlatte. Damit wir wissen, wie hoch der Schnee ist, sagt er triumphierend.

Durchs Fernrohr sehe ich, dass der Schnee bereits die einundvierzig Zentimeter erreicht hat. Eine Weile betrachte ich die weiße Landschaft, lasse mich dann zurück aufs Bett sinken, schließe die Augen.

Wunderbar, denke ich. Jetzt können wir unsere Misere messen.

Das Gewicht von Schnee

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