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2. KAPITEL

Die Holbein-Jahre

Nach den revolutionären Unruhen von 1848/49, in deren Verlauf das Kärntnertortheater seine Pforten schließen musste und seinen Titel als Hofoperntheater verlor, kehrte im Jahr 1850 wieder Ruhe ein. Die Oper wurde unter dem Namen »k. k. Hoftheater nächst dem Kärnthnerthore« wiedereröffnet und erneut der kaiserlichen Verwaltung unterstellt. Direktor war Franz Ignaz von Holbein (1779–1855). Er war 1849 dem italienischen Schneider Carlo Balochino nachgefolgt, der das Theater seit 1836 mit dem Impresario Bartolomeo Merelli gepachtet hatte. Otto Nicolai, der Gründer der Philharmoniker, war am 11. Mai 1849 im Alter von 39 Jahren gestorben. Während die Oper einen Aufschwung an künstlerischer Qualität erlebte, unter anderem 1850 mit der glänzenden Wiener Erstaufführung des Propheten von Giacomo Meyerbeer unter dem Dirigat des Komponisten, stagnierte die Entwicklung des Orchesters, bis 1853 Carl Eckert zum Kapellmeister bestellt wurde. Er erfüllte das philharmonische Unternehmen mit neuem Leben.

Die Direktion Holbein zeichnete sich durch eine bis dahin unbekannte soziale Einstellung aus. Bekanntlich war die Situation der Orchestermitglieder, gelinde gesagt, miserabel. Da es keine Pensionsversicherung gab, waren sie gezwungen, ohne Unterbrechung bis zu ihrem Tod zu arbeiten. 1851 baten dennoch drei Mitglieder des Orchesters, aus Gesundheitsgründen von ihren Verpflichtungen entbunden zu werden: der Bratschist Franz Hörbeder, 52 Jahre alt, Vater von vier Kindern, dem ein Augenleiden und ein von der Gicht gelähmter Arm zu schaffen machten, der Bratschist Josef Griesbacher, 72 Jahre alt, sowie der unter einem »doppelten Leibschaden« leidende Trompeter Michael Frey, 61 Jahre alt und Vater von drei Kindern. Indem Holbein unterstrich, dass jeder von ihnen auf eine lange Dienstzeit verweisen konnte, da sie vorher in anderen Theatern gespielt hatten, legte er sein ganzes Gewicht in die Waagschale und beantragte für die drei Musiker eine Pension. Ein beigefügtes Armutszeugnis bestätigte, dass alle drei unter dem Existenzminimum lebten. Generalintendant Graf Lanckoronski antwortete, die drei Musiker müssten sich, da sie für arbeitsunfähig erklärt worden seien, mit einem Drittel ihres Gehalts zufriedengeben und dürften über kein anderes Einkommen verfügen. Er beantragte dennoch eine Pension in der Höhe ihres halben Gehalts. Dieser Antrag wurde im September 1851 vom Kaiser abgelehnt, der stattdessen eine einmalige Unterstützung von 100 Gulden vorschlug. Hörbeder sollte diesen Bescheid nicht mehr erhalten, da er am 27. August starb. Griesbacher erging es ähnlich. Nachdem er seine Orchesterkollegen um Unterstützung gebeten hatte, stellte er 1852 den Antrag auf Erhöhung seiner Pension. Vergeblich. Er starb im selben Jahr. Am 1. Dezember 1852 schrieb auch der Vater des Geigers Karl Hess an die Operndirektion, dass sein Sohn an Typhus erkrankt sei und »am äußersten Rand des Grabes« stehe. Die Oper verzichtete darauf, ihn zu entlassen, allerdings unter der Bedingung, dass er seine Substituten selbst bezahle.

Manche Musiker wurden auf der Höhe ihrer Schaffenskraft vom Unglück heimgesucht: Der Fagottist Anton Wittmann bat zum Beispiel 1854 um eine Gehaltserhöhung, mit der Begründung, er könne mit 40 Gulden monatlich nicht mehr auskommen, da seine Frau seit Monaten krank sei und er sechs Kinder habe, die an Skrofeln litten, eines ein Auge verloren und ein anderes sich den Arm gebrochen habe. Er sei mit seiner körperlichen und geistigen Widerstandskraft am Ende, er habe mit 38 Jahren graue Haare bekommen. Derartige Fälle stellten die Musiker vor die Notwendigkeit, über einen Pensionsfonds nachzudenken. Schon Nicolai hatte sich damit befasst, ein Mammutprojekt, das viel Zeit brauchen sollte, um realisiert zu werden.

Andere Musiker klagten über finanzielle Ungerechtigkeiten und wurden mitunter erhört: Der Soloposaunist Franz Pöck beklagte sich, dass er nur 22 Gulden bekomme, der dritte Posaunist Haferl jedoch 27 Gulden, und bat am 21. Februar 1851 um eine Erhöhung, da es ihm unmöglich sei, seine Familie anders als durchs Aufspielen in einem Tanzorchester zu ernähren. Kapellmeister Esser empfahl, den Antrag positiv zu beantworten, da Herr Pöck ein ausgezeichneter Posaunist sei und sein Ausscheiden ein Verlust für das Hoftheater wäre. Ein solcher Antrag hatte nur Chancen auf einen positiven Bescheid, wenn er künstlerisch gerechtfertigt war, wie die negative Antwort beweist, die im gleichen Jahr der Bratschist Josef Siebert erhielt: »Die Leistung des Herrn Siebert auf seinem Instrumente ist keineswegs geeignet«, denselben »zu einer Erhöhung seiner Gage zu beantragen«.9

Die Vergrößerung des Orchesters

Im großen Ganzen erwies sich Holbein als eine wichtige Stütze der Musiker, nicht nur bei ihren sozialen Forderungen, sondern auch bei der Aufstockung des Orchesters: Nachdem zehn Jahre lang die Höchstzahl auf 70 Musiker festgelegt war, ohne diese Zahl jemals wirklich zu erreichen, erhöhte man 1850 auf 80 und erreichte im selben Jahr eine Besetzungsstärke von 73 Stellen. 1850 kehrte auch der Geiger Carl Groidl ins Orchester zurück, nachdem er schon 1841 für kurze Zeit Orchesterdirektor im Kärntnertortheater gewesen war und vorher als Konzertmeister des Konkurrenzorchesters des Theaters an der Wien fungiert hatte, sodass er die Wiener Erstaufführung von Berlioz’ Roméo et Juliette dirigieren konnte. Da keine Konzertmeisterstelle zur Verfügung stand, wurde Groidl, der als »erfahrener und energischer Führer« sowie als »perfekter Solist von erlesenem Geschmack« beschrieben wurde, als »Direktor« der Sekundgeigen eingesetzt, was er bis zu seinem Ausscheiden 1879 blieb. Das Orchester bestand 1850 aus 12 Primgeigern (13 in der Oper), 9 Sekundgeigern, 7 Bratschisten, 7 Cellisten, 7 Kontrabassisten, 1 Harfenisten, 3 Flötisten, 3 Oboisten, 4 Klarinettisten, 3 Fagottisten, 4 Trompetern, 4 Posaunisten, 1 Tubisten und 4 Schlagwerkern (2 Paukisten und 2 Schlagwerkern).

Diese Zahl ist umso bemerkenswerter, als die finanziellen und sozialen Bedingungen in Wien schlecht waren. Holbein zögerte jedoch trotz finanzieller Auswirkungen nicht, die Organisation der Pulte zu verändern. Der Fall des Bratschisten Johan Král ist ein gutes Beispiel für eine Flexibilität, die heute unmöglich wäre. Als der tschechische Musiker am 18. September 1851 für eine Tuttistenstelle vorspielte, hinterließ er einen so starken Eindruck, dass die beiden Kapellmeister Wilhelm Reuling und Heinrich Proch an die Direktion der Oper schrieben, seine Leistung, besonders im Solo der Hugenotten von Meyerbeer, sei so beachtlich gewesen, dass er für das Orchester einen großen Gewinn darstellen würde. Allerdings müsse man ihm einen Soloposten für ein Gehalt von 30 Gulden anbieten, sonst würde er womöglich nach Prag zurückkehren oder ein Angebot aus Weimar annehmen. Der Vorschlag wurde akzeptiert: Es wurde eine Solobratschistenstelle geschaffen, die vorher nicht existierte. Král wurde sogar über die bisherigen ersten Bratschisten, Mathias Meyer und Alexander Seitz, gestellt und bekam als Einziger den Titel »Solospieler«.

Im selben Jahr engagierte man für die Primgeigen Christian Mösner und setzte damit auf die Jugend, denn der Salzburger war erst 17 Jahre alt. Sein Vater war Organist im Stift St. Peter und Chorleiter in der Kollegienkirche. Einige Primgeiger begegneten Mösner mit Misstrauen und Feindseligkeit, besonders Josef Mayr und Karl Strauss, die sich am 13. Dezember 1851 in einem Protestbrief dagegen wehrten, dass der brillante Solist auf Anhieb in eine höhere Gehaltsstufe als sie selbst eingeordnet worden war, ungeachtet ihrer langen Dienstzeit. Der Antwort der Direktion fehlte es nicht an Ironie: »Einige Violinspieler fühlen sich durch das Engagement des jungen Mösner beeinträchtigt. Sie sind zu beruhigen, da es sich nicht um einen Vorzug inter pares handelt, sondern weil die Leistung Mösners eine vorzüglichere ist.« Er wäre höchst wahrscheinlich Solospieler oder Konzertmeister geworden, wenn er nicht schon im Alter von 20 Jahren gestorben wäre.

Einige hervorragende Mitglieder verließen das Orchester aus anderen Gründen, zum Beispiel der Geiger Louis Minkus, der nur einige Monate des Jahres 1852 spielte, um sich schließlich seiner Karriere als Ballettkomponist bei Marius Petipa in St. Petersburg zu widmen (La Bayadère, Don Quichotte, La Source). Auch der tschechische Solocellist Ägid Borzaga, der große Gegner Otto Nicolais, verließ sein Pult, aber nicht das Orchester, in dessen Verwaltung er als Ökonom und Sekretär weiterarbeitete. Zusammen mit dem Geiger Karl Salaba und dem Hornisten Richard Lewy gehört Borzaga zu den ersten Vertretern des philharmonischen Geistes: Die Musiker nehmen ihr Schicksal in die eigene Hand und teilen sich im Sinne der Selbstverwaltung die administrativen Aufgaben.

Die Wiener Philharmoniker

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