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Der Beginn von Abonnementkonzerten und die neuen Statuten

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Als der ehemalige Tenor Cornet, der nicht nur gerne mit den Musikern aneinandergeriet, sondern auch wegen seines ehrenrührigen Verhaltens einer Sängerin gegenüber vor Gericht landete, seine Funktionen vorzeitig niederlegte, trat 1858 der Dirigent Carl Eckert (1820–1879) seine Nachfolge an, den Cornet selbst fünf Jahre zuvor als Kapellmeister engagiert hatte. Was für ein Glücksfall für die Philharmoniker: ein Dirigent als Operndirektor! Eckert nutzte seine neue Funktion, um den Klangkörper zu verstärken, sodass man 1860 bereits 86 Mitglieder zählte, also acht mehr als 1855 und 22 mehr als bei der Gründung 1842. Auf Eckert geht die Entscheidung zurück, die dreifach besetzten Holzbläser durchwegs auf vier zu erhöhen, während bisher nur die Klarinetten dieses Privileg besaßen. Fortan gab es für jede Gruppe zwei erste und zwei zweite Spieler. Somit war die Gelegenheit gegeben, einige hervorragende Solisten zu engagieren, wie zum Beispiel den legendären ungarischen Flötisten Franz Doppler, an dessen Seite bald sein Bruder Karl saß, mit dem er ein äußerst beliebtes Duo bildete. Der produktive Komponist und Freund von Franz Liszt war nicht nur ein virtuoser Flötist, sondern auch ein erprobter Orchesterdirigent, sodass er nach kurzer Zeit zum Ballettdirigenten ernannt wurde und sich damit den Posten mit Mathias Strebinger teilte: Zum ersten Mal wurde diese Funktion nicht einem Geiger übertragen. Während Doppler seinen Posten als Soloflötist beibehielt, zog sich Strebinger aus dem Orchesterdienst zurück und widmete sich ganz der Leitung von Ballettvorstellungen.

Eckert schuf außerdem eine fünfte Posaunenstelle und engagierte einen weiteren Schlagwerker. 1858 forderten übrigens die Schlagwerker Josef Adlersflügel und Karl Agner eine Gehaltserhöhung als Ausgleich dafür, dass sie praktisch niemals an den philharmonischen Konzerten teilnahmen und daher nicht an den beträchtlichen Einnahmen ihrer Kollegen beteiligt waren: Im klassischen Repertoire der Philharmoniker spielte das Schlagwerk außer der Pauke eine geringe beziehungsweise gar keine Rolle und reduzierte sich auf einzelne Beckenschläge und die große Trommel.

Als Operndirektor machte Carl Eckert durch die Wiener Premieren von Wagners Lohengrin und Tannhäuser und die Aufnahme von Verdis Troubadour und Sizilianische Vesper ins Repertoire auf sich aufmerksam. Ebenso sensationell war die Verlegung der neuen philharmonischen Konzerte, der Abonnementkonzerte, vom Redoutensaal ins Kärntnertortheater. Der Direktor hatte nun die Möglichkeit, die von der Doppelfunktion des Orchesters außerordentlich erschwerte Planung der Oper mit der Konzertsaison besser abzustimmen. Dass die Oper ein Theater war und das Orchester in den Bühnendekorationen des nächsten Tags spielen musste, war die Kehrseite der Medaille.

Das Jahr 1860 kann man als Übergangjahr in der Geschichte des Orchesters bezeichnen. Zunächst markiert es den Beginn der Abonnementkonzerte und somit die Geburt der Wiener Philharmoniker, wie wir sie heute kennen. Das erste Abonnementkonzert der ersten Saison fand am 15. Januar 1860 statt: Auf dem Plakat wurde das Orchester noch als »Mitglieder des kaiserlich-königlichen Hofopernorchesters« bezeichnet. Eckert dirigierte die Ouvertüre zu Anacréon von Cherubini, eine von Tenor Alois Ander gesungene Arie aus der Entführung aus dem Serail ( als Belmonte und Constanze angekündigt) und das Scherzo de la Reine Mab aus Roméo et Juliette von Berlioz, eine Konzertarie von Mendelssohn mit der Sopranistin Marie-Louise Dustmann-Meyer und die 7. Symphonie von Beethoven.

Wir wissen aufgrund fehlender Unterlagen nicht, wie die Statuten für die »Concertunternehmung« genau aussahen. Es ist anzunehmen, dass einer der wichtigsten Initiatoren der Hornist Richard Lewy war. Denn Lewy war mit dem neuen Dirigenten Otto Dessoff, dem inzwischen zum Konzertmeister beförderten Josef Hellmesberger, dem Hornisten Kleinecke und dem Bratschisten Král einer der Hauptverfasser der am 19. September 1862 ratifizierten neuen Statuten. Auch von dem aus Leipzig stammenden Brahms-Freund Otto Dessoff dürften in dieser entscheidenden Phase wichtige Anregungen ausgegangen sein. Er unterrichtete am Wiener Konservatorium Komposition und hatte Schüler wie Arthur Nikisch, Felix Mottl und Ernst von Schuch. 1875 trat er die Nachfolge von Hermann Levi bei der Karlsruher Hofkapelle an, wo er die 1. Symphonie von Brahms zur Uraufführung brachte.

Die neuen Statuten legten fest, dass jedes Mitglied des kaiserlich-königlichen Opernorchesters das Recht hatte, Mitglied der »Philharmonischen Concertunternehmung« zu sein. So hießen damals die Philharmoniker. Aber man durfte diese nicht mitten in der Spielzeit verlassen: Im Historischen Archiv der Philharmoniker befinden sich mehrere Gehaltslisten, aus denen hervorgeht, dass Musiker, die an den Abonnementkonzerten mitwirken wollten, sich durch ihre Unterschrift zu Jahresbeginn für die ganze Saison verpflichteten. Da das Vertrauen offensichtlich begrenzt war, wurde die Gage erst am Ende der Saison ausgezahlt. Auf diese Weise wollte man unentschuldigtem Fehlen vorbeugen. Die Gesamteinnahmen wurden zwischen den Musikern aufgeteilt: Der Dirigent erhielt drei Anteile, der Konzertmeister zwei und alle übrigen Orchestermitglieder einen Anteil. Im Krankheitsfall erhielt der Musiker seinen vollen Anteil. Das war für eine Zeit, in der es noch keine Sozialversicherung gab, eine sehr fortschrittliche soziale Leistung. Weiters wurde festgelegt, dass in jedem Konzert zwei Primgeiger, zwei Sekundgeiger, ein Bratschist, ein Cellist und ein Kontrabassist fehlen dürfen: Mit diesem Dispens wurde anerkannt, dass die Streicher im Vergleich zu den Bläsern überbeschäftigt waren. Zum ersten Mal trat auch das Exklusivitätsprinzip in Kraft: Wenn ein Musiker ausnahmsweise bei einem Konzert eines anderen Veranstalters mitwirkte, musste auf dem Programmzettel seine Zugehörigkeit zu den Philharmonikern erwähnt werden, was umso interessanter ist, als dies später verboten werden sollte! Wenn das ganze Orchester von einer anderen Organisation engagiert wurde, musste es als k. k. Hofopernorchester deklariert werden.

Sicher ist es noch ein weiter Weg zur demokratischen Organisation der Philharmoniker. Im Reglement von 1862 blieb der Dirigent der Hauptverantwortliche: Als philharmonischer Vorstand stellte er die Programme zusammen, organisierte die Komiteesitzungen, unterzeichnete alle Schriftstücke und besaß das Vorrecht, die Besetzung der Bläserpulte zu bestimmen. Die Zuständigkeiten innerhalb des Komitees (Kassier, Sekretär etc.) waren noch nicht durch die Statuten festgelegt: Die zwölf Mitglieder teilten sich die Aufgaben untereinander auf. Dafür enthielt das Reglement eine komplizierte Prozedur, wenn es um die Auswahl neuer Werke ging, die vom Orchester gespielt werden sollten, seien es philharmonische Erstaufführungen oder gar Uraufführungen. Eine Unterkommission, die sich aus dem Dirigenten, dem Konzertmeister und drei Komiteemitgliedern zusammensetzte, nahm die erste Sichtung vor und traf eine Vorauswahl. Die ausgewählten Stücke waren sodann Gegenstand einer »Novitätenprobe«, nach der wiederum eine Kommission von zwölf Musikern ihre Stimmen zusammen mit dem Direktor und dem Komitee abgab. Wurde das Werk mehrheitlich angenommen, kam es auf das Programm eines Abonnementkonzerts. Diese demokratische Methode führte jedoch nicht immer zu nachhaltigen Resultaten. Zum Beispiel akzeptierte das Orchester mit großer Zustimmung die Sakuntala-Ouvertüre von Karl Goldmark und lehnte mit erdrückender Mehrheit die 3. Symphonie von Bruckner ab!

Neben den neuen Statuten wurde eine weitere wichtige Entscheidung getroffen: die Einrichtung eines Archivs. Bis dato musste das Orchester das Notenmaterial von der Gesellschaft der Musikfreunde ausleihen, auch Repertoirestücke wie Mozarts Prager Symphonie oder Beethovens Pastorale. Der Geiger und damalige zweite Ballettorchesterdirektor Karl Mayer übernahm als Erster die Funktion des Orchesterarchivars. Aus diesen Anfangsjahren des Archivs verdanken wir ihm ein kurioses Schreiben vom 8. April 1861. Er bat darin das Komitee um einen Kasten, um darin das von ihm gesammelte Notenmaterial unterzubringen, und meinte, da er selbst nicht über ein solches Möbelstück verfüge, solle man ihm bitte eines beschaffen oder die Funktion des Archivars jemandem übertragen, welcher in der Lage sei, das entsprechende Möbelstück zur Verfügung zu stellen. Offenbar bekam Mayer seinen Aktenschrank, denn er führte sein Amt 16 Jahre lang aus. Die Statuten von 1862 legten auch den Anteil der Einnahmen fest, der vom Orchester für den Ankauf von Partituren benutzt werden solle: Die bereitgestellten Beträge stammen wesentlich aus den Abonnementeinnahmen und aus Gehaltsabzügen von Musikern mit laufenden Disziplinarverfahren.

Die fortschreitende Professionalisierung der philharmonischen Konzerte war umso schwieriger durchzuführen, als die finanzielle Situation der Opernmusiker nach wie vor so prekär war, dass die Musiker in der Saison 1865/66 um eine Gehaltserhöhung baten. In seinem Gutachten schrieb Hofrat Ritter von Raymond: »Es ist eine nicht zu verkennende Tatsache, daß das vortreffliche Institut des Opernorchesters, die Perle unseres Operntheaters, sehr gering bezahlt ist. Virtuosen wie z. B. Schlesinger, Hofmann, Kässmayer beziehen kaum 50 fl. monatlich. Man könnte sagen, sie seien auf Lektionen (private Lehrtätigkeit; Anm.) angewiesen. Das ist insofern richtig, als die Mehrzahl bezüglich der Kunstfertigkeit auf den verschiedenen Instrumenten Schüler finden würde; allein die Orchesterproben nehmen die Mitglieder zu häufig, und zwar gewöhnlich von 10 oder 11 Uhr vormittags bis 2 Uhr nachmittags und noch länger in Anspruch. Da diese Leute aus leichtfaßlichen Gründen in entfernten Vorstädten wohnen müssen, so ist nur ein kleiner Teil des Nachmittags bis zur Theaterstunde übrig um Lektionen zu geben. Kurz: der Nebenverdienst unserer Orchester-Mitglieder kann bei allem Eifer nur ein spärlicher sein.«13

Der Bericht Raymonds blieb ohne Ergebnis, auch bezüglich der Beschäftigungssicherheit, da die Musiker weiterhin nur Jahresverträge erhielten. Erst 1870 kam es zu einer Verbesserung, als festgelegt wurde, dass der Vertrag, wenn nicht gekündigt, stillschweigend verlängert wurde.

Die Wiener Philharmoniker

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