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Der Kampf um Unabhängigkeit

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Unter diesen Umständen bestand für den Direktor des neuen Opernhauses, Franz von Dingelstedt (1814–1881), kein Zweifel an der Notwendigkeit, das Orchester zu vergrößern, nicht nur aus akustischen Gründen – war doch der Orchestergraben beträchtlich größer als im Kärntnertortheater –, sondern auch aufgrund der Spielplangestaltung. Dingelstedt, der 1867 als Direktor für das Kärntnertortheater bestellt worden war, fiel jetzt die Aufgabe zu, den Übergang zwischen beiden Häusern zu gewährleisten. Zunächst führte er eine Verwaltungsreform durch, indem er die Gehälter der Musiker regelte und erhöhte. Sie waren von nun an ebenso wie die Pensionssätze gesetzlich festgelegt. Diese Veränderung stellte eine nicht zu unterschätzende Absicherung für die Mitglieder des Orchesters dar, andererseits ein gewisses Risiko für die Unabhängigkeit der Philharmoniker: Je besser die soziale und finanzielle Lage der Opernmusiker gefestigt war, desto berechtigter war die Hofoper, von ihnen zu verlangen, dass sie dem Haus zur Verfügung standen!

Dingelstedt war nicht der erste Hofoperndirektor, dem die Emanzipation der Philharmoniker ein Dorn im Auge war und der vergeblich versuchte, das Orchester der Oper zu unterstellen. Er, der den liberalen Ideen von 1848 nichts abgewinnen konnte, beobachtete mit Missfallen, wie seine »Untertanen« sich ihm entziehen wollten. Die körperschaftliche Mentalität der Orchestermitglieder war für ihn unvereinbar mit deren Verpflichtungen gegenüber der Oper. Bald tauchte der Vorwurf in der Presse auf, die künstlerische Qualität der Opernvorstellungen lasse zu wünschen übrig, da sich die Musiker lieber der Vorbereitung ihrer Konzerte widmeten. Wie mehrmals im Lauf ihrer Geschichte gelang es jedoch den Philharmonikern, ihre Autonomie zu retten, indem sie Dingelstedt von seinen autoritären Anwandlungen abbringen konnten, ohne es auf eine heftige Auseinandersetzung ankommen zu lassen. Das war einem von Konzertdirigent Otto Dessoff und Geiger Josef König verfassten Brief zu verdanken, einem Meisterwerk der diplomatischen Sprache, der einerseits das philharmonische Ideal verteidigte und andererseits den Operndirektor um seine Protektion bat. Dingelstedt spürte wohl, dass er gegen die Entschlossenheit der Musiker nicht ankam, und stimmte zu, dass wie bisher die philharmonischen Konzerte als unabhängige Organisation durchgeführt wurden. Dieser Sieg des philharmonischen Ideals über die Unterordnungsversuche des Hofoperndirektors hatte zur Folge, dass der Trompeter Adalbert Maschek, einer der Gründer und einflussreiches Komiteemitglied, seine im August 1868 eingereichte Demission zurückzog.

Aber Dingelstedt gab nicht auf und versuchte auf andere Weise, die Philharmoniker der Opernverwaltung zu unterstellen, indem er vier Konzerte veranstaltete, deren Erlös dem Pensionsfonds des Hoftheaters zugutekommen sollte. Die Leitung übertrug er Opernkapellmeister Johann Herbeck, der 1865 Schuberts Unvollendete uraufgeführt hatte. Damit erwies sich Dingelstedt als äußerst geschickt: Anstatt dem Orchester eigene Konzerte zu verbieten, verpflichtete er es zu zusätzlichen Auftritten und machte somit die Philharmoniker zu ihren eigenen Konkurrenten! Er hoffte, dass die Geldquelle der Abonnements versiegen und die Saison 1869/70 die letzte der Philharmoniker als unabhängiges Unternehmen sein würde. Denn jede unabhängige und für eigene Zwecke arbeitende Körperschaft sei in einem Theaterbetrieb etwas Anormales, das weder toleriert noch unterstützt werden könne, meinte der Operndirektor. Sein Kalkül scheiterte an der Treue der Abonnenten: Trotz der Konkurrenzkonzerte nahm ihre Zahl nicht ab. Mit seinem Versuch, die Philharmoniker zu destabilisieren, hatte Dingelstedt sie im Gegenteil konsolidiert.

Trotz allem unterstützte Dingelstedt die Orchestermitglieder manchmal gegenüber dem Direktor der Hofkanzlei, dem gefürchteten Freiherrn von Raymond. Dieser hatte die Bitte der Bläser um Instrumente, mit denen sie sich dem neuen Stimmton anpassen wollten, abgelehnt. 1858 hatte eine Kommission von Fachexperten auf Veranlassung Kaiser Napoleons III. einen neuen Kammerton eingeführt, der die normale Tonhöhe für das eingestrichene a auf 435 Hz festlegte. Zunächst galt diese Regelung ausschließlich für Frankreich, wurde aber bald von benachbarten Ländern übernommen. Eine vom Operndirektor geleitete Versammlung, die sich aus den drei Dirigenten Heinrich Esser, Otto Dessoff und Heinrich Proch sowie dem Rechtsanwalt Leopold von Sonnleithner, einigen Stellvertretern der Musiker und einer Delegation von Instrumentenbauern zusammensetzte, erkannte einstimmig die Notwendigkeit an, neue Instrumente zu kaufen: So kam es zu einem der wenigen Siege der Orchestermitglieder über eine kaiserliche Verwaltung, die wenig geneigt war, Kompromisse einzugehen. Inzwischen ist es üblich geworden, dass die Oper für den Ankauf der von den Orchestermitgliedern gespielten Instrumente sorgt.

Die Wiener Philharmoniker

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