Читать книгу Die Wiener Philharmoniker - Christian Merlin - Страница 16
4. KAPITEL 1869. Die Eröffnung des neuen Opernhauses
ОглавлениеAm 20. Dezember 1857 ordnete ein kaiserliches Dekret die Schleifung der Verteidigungsanlagen Wiens an. Seit der Türkenbelagerung von 1683 war es im Zentrum der Stadt immer enger geworden. Nun konnte man auch an die Planung eines neuen Opernhauses gehen, das den Wiener Vorstellungen von einem Operntheater mehr entsprechen würde als das alte Kärntnertortheater. Die Ausschreibung für die Architekten erfolgte am 10. Juli 1860. Die Grundsteinlegung fand am 20. Mai 1863 statt, und am 25. Mai 1869 wurde das Opernhaus am Ring mit Don Giovanni eröffnet. Keiner der beiden Architekten konnte an der Eröffnung teilnehmen: August Sicard von Sicardsburg war an einem Herzinfarkt gestorben, und Eduard van der Nüll hatte Selbstmord begangen: Sie hatten die heftige Kritik nicht verwinden können, mit der das neue Gebäude begrüßt wurde. So war zum Beispiel vom »Königgrätz der Baukunst« die Rede, womit auf die drei Jahre zuvor erlittene schwere militärische Niederlage Österreichs gegen Preußen angespielt wurde.
Aber das Haus erfüllte seinen Zweck: Die Größe des Zuschauerraums, des Orchestergrabens und der Bühne erlaubte nun einen schnelleren Wechsel der Vorstellungen und ein noch reichhaltigeres Repertoire. Allein zwischen der Eröffnung im Mai und dem Jahresende 1869 fanden Premieren von Don Giovanni, Romeo und Julia, Die Stumme von Portici, Fidelio, Wilhelm Tell, Die Hugenotten, Die Zauberflöte, Der Troubadour, Fra Diavolo, Armide, Der Prophet und Martha statt. Alle Vorstellungen wurden drei-oder viermal wiederholt, während zwei neue Ballette, Flick und Flock und Sardanapale, jeweils elf beziehungsweise 25 Mal gespielt wurden. Neu ins Repertoire des Hauses wurden ab 1870 Der Freischütz, Lucia di Lammermoor, Die Meistersinger von Nürnberg, Norma, Margarethe (deutscher Titel von Gounods Faust), Die Afrikanerin, Ein Maskenball, Joseph und seine Brüder, Tannhäuser, Robert der Teufel, Lohengrin, Die Hochzeit des Figaro, Die Jüdin und Judith sowie acht Ballettproduktionen aufgenommen.
Für das Orchester bedeutete dies zusätzliche Arbeit, zumal die Philharmoniker seit der Einführung der Abonnementkonzerte im Jahr 1860 zusätzlich pro Saison neun symphonische Programme unter Dessoffs Leitung spielen mussten. Zu diesen reihten sich neuerdings die außerordentlichen Konzerte, wie etwa die von Richard Wagner dirigierten am 26. Dezember 1862, 1. und 11. Januar 1863. Diese Konzerte sollten als Ausgleich dienen, da es die Hofoper aufgrund der enormen Anzahl an notwendigen Proben abgelehnt hatte, Tristan und Isolde herauszubringen. Nach 77 Proben hatte man die Oper vom Spielplan genommen! Josef Strauß und sein Walzer-Orchester waren schneller und offener als die philharmonischen Kollegen: Bereits 1861 spielten sie zum ersten Mal in Wien Ausschnitte aus Tristan und Isolde. Das war keinesfalls ein Präzedenzfall, da Josefs Bruder Johann schon 1853 das Vorspiel zum 3. Aufzug aus Lohengrin und 1854 die Tannhäuser-Ouvertüre gespielt hatte, also vier Jahre vor der vollständigen Erstaufführung einer Wagner-Oper, nämlich Lohengrin, in Wien.