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Der Eintritt von Josef Hellmesberger jun.

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Das meistbeachtete Neuengagement der 1870er Jahre war das von Josef Hellmesberger jun. Er vertrat nach seinem Großvater Georg und seinem Vater Josef sen. nunmehr die dritte Generation Hellmesberger im Orchester. Zunächst saß er am letzten Pult der Primgeigergruppe, die sein Vater als erster Konzertmeister anführte, spielte aber zugleich an der Seite seines Vaters die Sekundgeige im Hellmesberger-Quartett. Die Mitgliedschaft dieses unsteten Geistes zeichnete sich durch ein ständiges Kommen und Gehen aus. Peppi, wie die Wiener ihn nannten, war in den Gesellschaftsspalten der Zeitungen ebenso präsent wie in der Welt der Musik. 1870 engagiert, verließ er die Oper bereits 1873 wieder, kam 1875 zurück, verabschiedete sich 1881, um 1884 erneut zu erscheinen. Von 1876 bis 1902 war er Lehrer am Konservatorium und bildete dort 19 zukünftige Philharmoniker aus.

Sein berühmtester Schüler bleibt Fritz Kreisler. Was der Violinexperte Jean-Michel Molkhou über das Spiel Kreislers schreibt, macht die Bedeutung des Begriffs »Wiener Schule« klar: »Seine Portamenti waren von unerhörter Verführungskraft und Subtilität. Außerdem besaß er ein natürliches Rubato, sodass seine rhythmischen Freiheiten nie den geistigen Fluss der Musik störten. Unter seinen Fingern bekam jede einzelne Note eine besondere Sinnlichkeit, getragen von reiner Schönheit, Güte und Lebensfreude.«16 In der Beschreibung mischen sich nach wie vor musikalische und psychologische Qualitäten. Was auch immer an diesen Merkmalen der Persönlichkeit Kreislers zuzuschreiben ist, handelt es sich bei sämtlichen Attributen um jene, die traditionellerweise dem Wiener Stil zugeschrieben werden. Andererseits ist wenig wahrscheinlich, dass Kreisler sein starkes Vibrato bei Josef Hellmesberger gelernt hat, da es in Wien verpönt war.

In den Perioden, in denen Hellmesberger Sohn im Orchestergraben seinen Dienst versah, versäumte er nicht selten, sich in die Dienstlisten der Philharmoniker einzutragen, zum Beispiel 1877 und 1881. Ab 1884, als er zum Leiter der Ballettmusik ernannt wurde, gab es überhaupt keine Eintragungen mehr: Offenbar stellte er seine Tätigkeit als Philharmoniker ein, um sich ganz auf seine neue Aufgabe an der Oper zu konzentrieren. Er folgte auf diesem Posten Moritz Kässmayer nach, der eine ähnliche Laufbahn hinter sich hatte – typisch für eine Zeit, in der weder Spezialisierung noch Hierarchie zwischen den Musikgenres so ausgeprägt waren wie später: Kässmayer, der 1856 ins Orchester eingetreten war, wurde 1870 zweiter Ballettdirigent. 1876 wurde er außerdem Ballettkonzertmeister, womit er der alten Tradition der Doppelfunktion von Dirigent und Konzertmeister folgte, die vor ihm Strebinger ausgefüllt hatte. Die Nachfolge Kässmayers war für Josef Hellmesberger jun. eine Beförderung, allerdings auch eine Art Rückzug, da man ihn nicht zum Nachfolger seines Vaters als Konzertmeister ernennen würde.

Der Geiger Josef Bayer schlug einen ähnlichen Weg ein wie Hellmesberger jun. 1883 zum zweiten Ballettdirigenten ernannt, wurde er bis 1898 in der Liste der Sekundgeigen der Oper geführt, doch ab 1890 nicht mehr bei den Philharmonikern. Dies führte zu einem Organisationsproblem: Mit dem Abgang von Hellmesberger und Bayer fehlten ein Prim- und ein Sekundgeiger für die Abonnementkonzerte. Beide Musiker waren neben ihren Tätigkeiten als Geiger und Dirigent auch Komponisten, eine Tradition, die verloren gehen sollte. Hellmesberger jun. wird in den meisten Biografien fälschlicherweise als Konzertmeister bezeichnet. Diese Funktion übten jedoch nur Jakob Grün beziehungsweise Arnold Rosé aus. Auch im Haus-, Hof- und Staatsarchiv findet sich ein Vertrag von 1888 mit ihm als »Konzertmeister« – was er jedoch nur bei Ballettaufführungen war. Auf den Listen des Opernorchesters wird er als »Orchesterdirigent und Solospieler« angeführt.

An der Organisation und der Beschaffenheit des Orchesters änderte sich zwischen 1870 und 1900 nichts: Das Orchester war solide aufgestellt. Wilhelm Jahn, Operndirektor von 1880 bis 1897 – ein Rekord, den in Wien nur Ioan Holender gut ein Jahrhundert später schlagen sollte –, kann daher 17 Jahre lang das Repertoire erweitern: Nun wurden auch Leoncavallo, Humperdinck, Mascagni, Massenet, Smetana und Johann Strauß in den Spielplan aufgenommen, ebenso wie alle Werke Wagners, mit Ausnahme von Parsifal, dessen Exklusivrechte in Bayreuth lagen. In dieser für das Orchester stabilen Zeit fand der Generationswechsel unter den Musikern in einem regelmäßigen Rhythmus statt. Eine Ausnahme stellte die kurze, nur einjährige Mitgliedschaft des Solocellisten Friedrich Hilpert dar: Der gebürtige Bayer zog es vor, nach Deutschland zurückzukehren, um erst in die Meininger Hofkapelle unter der Leitung Hans von Bülows einzutreten und später in die Münchner Hofkapelle. 1882 wirkte er an der Uraufführung von Parsifal mit. Durch den überstürzten Abgang von Hilpert war es Reinhold Hummer möglich, im Rang aufzusteigen und Solocellist zu werden, auf Empfehlung von Richard Lewy, dem ehemaligen Solohornisten und nunmehrigen »artistischen Oberinspektor«. Zur gleichen Zeit übernahm Hummer den Cellopart im Hellmesberger-Quartett.

1877 wurde eine Schlüsselposition des Orchesters durch den Abgang von Hellmesberger sen. frei: Einer der beiden Konzertmeisterposten musste neu besetzt werden. Automatisch rückte Jakob Grün an die erste Stelle, aber so leicht war die Nachfolge von Hellmesberger nicht zu entscheiden. Im Orchester gab es mehrere brillante Solisten wie etwa das ehemalige Wunderkind Richard Sahla, der 1878 im Alter von 23 Jahren engagiert worden war und mit dem weltberühmten spanischen Violinvirtuosen und Komponisten Pablo de Sarasate verglichen wurde. Der Name Josef Hellmesberger jun. stand 1879 an erster Stelle der Verpflichtungsliste des Orchesters – offenbar vertrat er interimistisch seinen Vater.

Die Wiener Philharmoniker

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