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Häufiger Pultwechsel

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Die letzten zwei Jahrzehnte des Jahrhunderts bilden das Ende einer Epoche: Als 1878 der Trompeter Adalbert Maschek in den Ruhestand ging, gab es kein Gründungsmitglied mehr bei den Philharmonikern. Bei all den Neuengagements gelang es nicht immer, den idealen Bewerber für gewisse Schlüsselstellen zu finden. Eine Solotrompeterstelle etwa wurde nur mangels eines Besseren besetzt, wie aus dem Protokoll des Probespiels hervorgeht: »Von den vier Kandidaten für den freigewordenen Posten des Trompeters Wilhelm Kühnert ist keiner ein vollkommen geeigneter Kandidat. Adolf Stiegler der relativ beste, provisorisches Engagement für ein Jahr.« Nach dieser damals unüblichen Probezeit wurde Stiegler doch bestätigt.

Die interne Beförderung, die in den ersten Jahren häufig praktiziert wurde, misslang mehrmals: Für die 1882 vakante, fast 30 Jahre von Karl Pöck bekleidete Solooboistenstelle gab man dem zweiten Oboisten Leopold Swoboda die Chance, sich als erster zu bewähren. Dabei konkurrierte er aber mit einem anderen Bewerber, Johann Cink, der sich als der deutlich Bessere erwies. In einem Brief der Direktion wurde Swoboda eindeutig geraten, wieder den zweiten Platz einzunehmen, was er auch tat, sodass Cink die Solistenstelle erhielt.

Die 1890er Jahre weisen zwei höchst wichtige Neuengagements am Pult der Soloklarinette auf: 1892 wurden gleichzeitig Alois Schmidl und Franz Bartolomey engagiert, die etwas verbindet: Beide gründeten eine philharmonische Dynastie. Viktor, der Sohn von Alois Schmidl, sollte wie dessen Enkel Peter erster Klarinettist im Orchester werden. Der Sohn von Franz Bartolomej, Franz II., wurde Sekundgeiger und seine beiden Enkel Ernst und Franz III. Sekundgeiger respektive Solocellist. Mit Unterbrechungen blieb der Name Schmidl bis 2010 im Orchester präsent, der Name Bartolomey bis 2012, in beiden Fällen also mehr als hundert Jahre.

Die Lebensgeschichte dieser beiden Musiker erzählt uns einiges über die unterschiedlichen Beziehungen zwischen der Monarchie und ihren Nationalitäten. Die Schmidls kamen aus Galizien, das seit 1773 zur Habsburgermonarchie gehörte, aber eine multikulturelle Bevölkerung besaß: Ruthenen, Polen, Armenier, Moldawier, Deutsche, Juden, Roma. Schmidl war die Eindeutschung des polnischen Namens Kowalski (polnisch kowal = Schmied). Bartolomej war Böhme und wurde mit 27 Jahren vom Nationaltheater Prag abgeworben, wo er als Soloklarinettist tätig war. Für seine zahlreichen Prager Vorgänger im philharmonischen Orchester hatte sich das Problem der Austrifizierung nicht gestellt: Man denke hier an den Bratschisten Král, an die Cellisten Borzaga, Kretschmann, Popper, an die Kontrabassisten Janausch, Pawla, Simandl, Sladek, Slama und Wrany, an die Harfenisten Stanek und Holy und an der Trompeter Blaha. Erst mit dem Erwachen der Nationalitäten änderte sich die Lage.

František Bartolomej, der später seinen Vornamen auf Franz eindeutschte, als er nach Wien kam, war mit 23 Jahren ans Nationaltheater Prag geholt worden, welches 1881 mit Smetanas Libuše eingeweiht wurde. Die Eröffnung dieses Theaters, in dem anders als im Deutschen Theater tschechisch gesungen wurde, war ein eindeutig patriotischer Akt. Bartolomej bewarb sich am 17. Mai 1892 schriftlich um die Stelle eines Soloklarinettisten an der Wiener Hofoper, kurz bevor er am 31. Mai an einem Gastspiel der Prager Oper zur Musik- und Theaterausstellung in Wien teilnahm. Die Prager spielten hier Die verkaufte Braut von Smetana. Die Verhandlungen zwischen Prag und Wien bezüglich der Freistellung des Klarinettisten von seinen Verpflichtungen gestalteten sich schwierig. In einem Brief vom 13. August 1892 erklärte Šubert, der Direktor der Prager Oper, seinem Wiener Amtskollegen Jahn, dass er das Ausscheiden Bartolomejs nur akzeptiere, wenn er sicher sein könne, ihn durch einen gleichrangigen Musiker ersetzen zu können. Er bat daher, dass man ihm in Wien einige Kandidaten empfehle, die dem Niveau Bartolomejs am nächsten kämen, »gleichviel ob Czeche oder Deutscher«. Diese Bemerkung zeigt, wie brüchig die Kategorie »österreichisch« damals war. Šubert klagte darüber, der Abgang Bartolomejs sei ein schwerer Verlust, zumal er gerade auch seinen zweiten Klarinettisten verloren habe, den er durch einen Musiker ersetzen musste, welcher überhaupt keine Theatererfahrung besäße.

Als letzter Versuch, Wien davon abzubringen, diesen hervorragenden Musiker abzuwerben, betonte der Prager Operndirektor, dass Bartolomej nicht Deutsch spreche. Wien gab nicht nach, aber das Argument ist insofern aufschlussreich, als es vor dem Erwachen der Nationalitäten in der Donaumonarchie von keinerlei Bedeutung gewesen wäre. Folge dieses langen Briefwechsels war, dass Bartolomej seine Stelle nicht am 1. September, sondern erst am 1. Oktober antrat: Das erklärt auch, warum er auf den Namenslisten immer nach dem anderen Soloklarinettisten Alois Schmidl angeführt wird, der zugleich mit ihm engagiert worden ist. Später sollte man Bartolomej sogar nahelegen, die Differenz zwischen dem Gehalt, das man seinem Nachfolger Gustav Troll in Prag angeboten hatte, und dem Gehalt, das dieser verlangte (120 Gulden mehr!), aus eigener Tasche zu zahlen. Drei Jahre nach dem Tschechen Bartolomej wurde 1895 ein Ungar, der Bratschist Anton Ruzitska, engagiert, der sehr schnell Solobratschist wurde und in das Rosé-Quartett eintrat.

Die Wiener Philharmoniker

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