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6. KAPITEL 1897–1907. Die Reformen Mahlers

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Als Gustav Mahler (1860–1911) am 15. Oktober 1897 sein Amt als Direktor der Wiener Hofoper übernahm und 1898 als Dirigent der philharmonischen Abonnementkonzerte auf Hans Richter folgte, fand er ein Orchester vor, dessen Organisation und Arbeitsmethoden seit der Vergrößerung von 1869 nicht mehr verändert worden waren. Etliche Schlüsselpositionen wie die Solocelli waren 25 Jahre, die Solostellen bei Bratsche, Kontrabass und Flöte 28 Jahre lang nicht neu besetzt worden. Biografen und Musikwissenschaftler haben ausführlich darauf hingewiesen, wie sehr sich die Direktion Mahlers auf die Modernisierung des Repertoires und der Regie ausgewirkt hat, und die geradezu manische Akribie hervorgehoben, mit der er auf die Qualität der Vorstellungen geachtet hat. Viel weniger betont wurde, was er für das Orchester geleistet hat. In den zehn Jahren seiner Operndirektion wirkten sich sein besessener Perfektionismus und sein unerhörter Reformeifer auch auf sein Arbeitsinstrument, das Orchester, aus, mit dem er täglich zu tun hatte: als Operndirektor und als Dirigent.

Das ging nicht ohne Spannungen ab: Während Mahler an der Hofoper Alleinherrscher war, war er es bei den Philharmonikern nicht. So verwundert es nicht, dass er nur drei Jahre Leiter der philharmonischen Konzerte blieb und nicht 23 wie sein Vorgänger. So viele Uraufführungen er auch dirigiert haben mag, war Richter zur Jahrhundertwende doch ein Mann der Vergangenheit. Er musste mit Gustav Mahler einem Musiker Platz machen, dessen Blick in die Zukunft gerichtet war. Robert Hirschfelds Kritik über Mahlers Interpretation der 5. Symphonie von Beethoven zeigt, was für ein musikalischer Schock das für Richters zahlreiche Anhänger gewesen sein muss: »Das Schicksal ›pocht‹ nicht mehr, es reisst die Pforten ein. Und das ist kein bloßer Überfall, sondern Einbruch in eine neue Empfindungswelt. Beethoven nicht als Vollender der klassischen Entwicklung, wie ihn in seiner erhabenen Ruhe Hans Richter darstellt, sondern der gewaltige Weckrufer eines neuen dramatischen Stiles der Tonkunst, wie Hagen ruft: Nun lasst das Lachen, mut’ge Mannen!«

Mahler führte eine weitere wichtige Neuerung ein: Während sich die Philharmoniker bisher mit Gastspielen in Salzburg, Graz, Brünn und Budapest, also innerhalb der Monarchie, beschieden hatten, fuhren sie 1900 zum ersten Mal ins Ausland, nach Paris. Wirtschaftlich war das Gastspiel ein Misserfolg, was teilweise auf eine schlechte Werbekampagne zurückzuführen ist, andererseits hat diese Initiative Mahlers das Ensemble zusammengeschweißt und Energien gebündelt.

Bevor Mahler grundsätzliche Reformen anpackte, beschäftigte er sich mit den Konzertmeistern. Im Herbst 1897 ging Jakob Grün mit 60 Jahren in den Ruhestand, blieb aber bis 1909 weiter Lehrer am Konservatorium. Zu seinem Nachfolger wurde der deutsche Geiger Karl Prill bestimmt. Er musste sich den Posten jedoch mit Arnold Rosé teilen, der jetzt offiziell zum ersten Konzertmeister avancierte, der er praktisch schon lange war. Karl Prill hatte diese Funktion schon in der Bilse’schen Kapelle ausgeübt, dem Vorläufer des Berliner Philharmonischen Orchesters, bevor er ins Gewandhaus nach Leipzig gewechselt war. Der Vertrag mit Prill war am 8. April 1897, noch unter der Leitung von Jahn, unterzeichnet worden: Prill war definitiv nicht Mahlers Wahl. Obgleich Preuße, fühlte sich der Berliner Karl Prill der Wiener Schule verbunden, da er bei Joseph Joachim, seinerseits Schüler von Joseph Böhm und Georg Hellmesberger, studiert hatte. Anscheinend hatte Rosé vor dem Engagement Prills Fritz Kreislers Bewerbung um den Konzertmeisterposten abgewiesen, mit der Begründung, er könne schlecht vom Blatt lesen und habe kein Rhythmusgefühl.24 Es ist nicht auszuschließen, dass er den Vergleich mit dem jungen Virtuosen fürchtete, sehr wahrscheinlich aber hat er dessen vibratoreiches Spiel missbilligt. In dieser Hinsicht war Rosé den 1870er Jahren verhaftet geblieben, ohne den modernen Tendenzen gegenüber Konzessionen zu machen.

Diese Beobachtung machte auch Otto Strasser. Als dieser 1922 als Geiger engagiert wurde, saßen Arnold Rosé und Franz Schalk in der Jury. Als Strasser die Kantilene spielte, die den Einzug von Lohengrin und Elsa in die Kathedrale im 2. Akt von Wagners Oper begleitet, und dabei reichlich Vibrato verwendete, wurde er von einem scharfen »Meckern S’ nicht so!« unterbrochen. Tatsächlich hört man auf den wenigen Tonaufnahmen, die von Rosé existieren, nur ein sehr sparsames Vibrato.25

1897 schied Arnold Rosé bei den Philharmonikern aus, offenbar aus Gehaltsgründen. Josef Hellmesberger jun., immer noch Leiter der Ballettmusik, sprang für ihn 1897/98 interimistisch ein. Rosé kehrte zwar zurück, verließ das Orchester aber sofort wieder, diesmal für längere Zeit. Auch wenn er den Philharmonikern von 1902 bis 1928 nicht angehörte, blieb Rosé mehr denn je eine Stütze in der Oper. Dort war er Mahlers rechte Hand, erst mit dem Titel eines Inspektors, dann als musikalischer Direktor mit einer beträchtlichen Macht über seine Kollegen. Die beiden Männer hatten sich vorher nicht gekannt, aber Mahler soll miterlebt haben, wie Rosé eine Aufführung der Walküre bei den Bayreuther Festspielen rettete, als der Dirigent den Faden verlor und das Orchester aus dem Takt kam. »Das ist ein Konzertmeister!«, soll der Komponist daraufhin ausgerufen haben. Die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Mahler und Rosé sollten sich bald in familiäre verwandeln. 1898 begannen Rosé und Justine, eine Schwester Mahlers, eine Liebesbeziehung. Sie heirateten aber erst am 10. März 1902, am Tag nach der Hochzeit Mahlers mit Alma Schindler: Der Komponist hatte seiner Schwester verboten, vor ihm zu heiraten! Die Familienbande wurden weiter verstärkt durch die Heirat von Rosés Bruder Eduard, Solocellist der Weimarer Hofkapelle, mit Emma, Mahlers anderer Schwester. Mahler und Rosé – das war in Wahrheit eine Doppeldirektion, der das Hofopernorchester unterstand.

Seit seinem ersten Auftritt als junger Solist hatte sich Rosé zu einer der tragenden Figuren des zeitgenössischen Wiener Musiklebens entwickelt. Am 18. März 1902 spielte er im Musikverein die erste Geige bei der Uraufführung der Verklärten Nacht von Schönberg, zusammen mit fünf anderen Philharmonikern: Albert Bachrich, zweite Geige, Anton Ruzitska, erste Bratsche, Franz Jelinek, zweite Bratsche, Friedrich Buxbaum, erstes Cello, und Franz Schmidt, zweites Cello. Mit anderen Worten spielte das Rosé-Quartett mit zwei zusätzlichen Kollegen (Schmidt und Jelinek). Am 8. Februar 1907 spielte Rosé die erste Geige bei der Uraufführung von Schönbergs Kammersymphonie op. 9, zusammen mit Paul Fischer, zweite Geige, Ruzitska, Bratsche, Buxbaum, Violoncello, Georg Benesch, Kontrabasss, Ary van Leeuwen, Flöte, Alexander Wunderer, Oboe, Anton Jandourek, Englischhorn, Franz Behrends und Nikolaus Danner, Klarinette, Bruno Wesser, Fagott, Karl Wittmann, Kontrafagott, Karl Stiegler und Karl Romagnoli, Horn, und als einziger Nichtphilharmoniker Anton Powolny, Bassklarinette. Im Einklang mit seinem Schwager setzte sich Rosé intensiv für moderne Musik ein.

Die Wiener Philharmoniker

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