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Von der Ventilposaune zur Zugposaune

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1883 ging die Zahl der Posaunisten im Orchester drastisch zurück, da Wilhelm Jahn in diesem Jahr beschloss, von der seit 1835 im Opernorchester üblichen Ventilposaune auf die Zugposaune umzusteigen. Aber keiner der fünf Posaunisten konnte sie spielen! Man gewährte ihnen ein Jahr, um sich an das neue Instrument zu gewöhnen. Die drei ältesten Mitglieder lehnten ab und wurden als dienstunfähig mit sofortiger Wirkung in den Ruhestand versetzt. Dabei war Soloposaunist August Turek seit 1862 im Orchester, Johann Mettenleitner seit 1863, Johann Schuöcker seit 1865. Die beiden anderen, Ferdinand Schubert, zweite Posaune seit 1879, und Karl Malischek, Tenor- und Bassposaune seit 1870, erklärten sich bereit, die neue Posaune zu erlernen, doch Malischek war dazu nicht in der Lage und wurde seinerseits 1884 in den Ruhestand versetzt: Er starb vier Jahre später im Alter von 37 Jahren in einer »Irrenanstalt« in Oberösterreich, an »Erschöpfung«, wie die damalige Diagnose lautete. Allein Ferdinand Schubert gelang es, sich an das neue Instrument zu gewöhnen.

Um die drei gleichzeitig entstandenen Lücken aufzufüllen, ließ die Generalintendanz drei Posaunisten aus Deutschland kommen, die Arthur Nikisch, der ehemalige Philharmoniker und nunmehrige Kapellmeister an der Leipziger Oper, empfohlen hatte. So kamen drei Musiker neu ins Orchester: Otto Berthold als Soloposaunist, Julius Mehlig als zweiter Posaunist und Fritz Alex als Bassposaunist. Berthold und Mehlig sollten ihre Karriere in Wien beenden, Ersterer verließ das Orchester erst 1923 nach 40 Dienstjahren. Alex schied jedoch schon 1891 unter unglücklichen Umständen wieder aus: Schulden, Kindstod, ganz zu schweigen von der Epilepsie, an der er litt. Ein Jahr nach dem Engagement der drei Leipziger Musiker scheiterte auch Karl Malischek an der neuen Posaune, und es musste ein vierter Musiker für die Tenorposaune gefunden werden. Diesen Umständen verdankte Wilhelm Schwaneberg, vom Ungarischen Nationaltheater Budapest, sein Engagement.

Die neue Posaune hatte sich bereits in vielen Orchestern durchgesetzt, nicht jedoch in Wien. Brahms komponierte die Posaunenpartien seiner 2. Symphonie für die Ventilposaunen der Philharmoniker. Er war so an deren Spiel gewöhnt, dass er sich mit den Zugposaunen der Meininger Hofkapelle, die seine 4. Symphonie zur Uraufführung brachte, nicht anfreunden wollte. Aber der Lauf der Geschichte ging eindeutig in die Richtung der weit mensurierten deutschen Zugposaune. Durch seinen vollen, runden Ton eignete sich dieses Instrument besonders für die Musik von Brahms, Bruckner und Wagner, allerdings mit der Gefahr einer gewissen Schwere und Unschärfe im klassischen Repertoire.

Bis zur Berufung von Ferdinand Schubert im Jahr 1879 gab es keinen gesonderten Unterricht für Posaune und Tuba am Wiener Konservatorium. Für diese Instrumente war der Kontrabasslehrer zuständig, was höchst wahrscheinlich daran liegt, dass in den Blasmusikensembles seit jeher die Bassstimme ad libitum von einem Streichkontrabass oder einem Blasinstrument gespielt wurde. Es ging mehr um die musikalische Funktion der Basslinie als um das Instrument selbst. Die Posaunisten Turek und Malischek waren ebenso wie der Tubist Huber Schüler des Kontrabassisten Anton Slama. Die Professionalisierung der Tuba erfolgte sehr spät. Dass Ferdinand Schubert zugleich als Lehrer für Posaune und Trompete bestellt wurde, zeigt, dass das Instrument und die damit verbundene Technik damals weniger wichtig genommen wurden als Ton, Stil und musikalischer Vortrag. Selbst als später eine gesonderte Klasse für Posaune eröffnet wurde, war es bis zum Zweiten Weltkrieg üblich, die Instrumentalisten dazu anzuhalten, beide Klassen zu besuchen: So besuchte Franz Bahner sowohl die Posaunenklasse von Otto Berthold als auch die Kontrabassklasse von Max Dauthage, und der Kontrabassist Erich Görner war Schüler von Max Dauthage für den Kontrabass und von Friedrich Tritt für die Tuba. In kleineren deutschen Orchestern, gerade in Ostdeutschland, war dies übrigens bis ins späte 20. Jahrhundert der Fall.

Diese Blasmusiktradition ist typisch für die noch nicht vollzogene Trennung von Volksmusik und E-Musik im Wien des 19. Jahrhunderts. Auch die Musiker spielten hier wie dort, zum Beispiel hatte der 1866 engagierte Posaunist Michael Ertel vorher im Johann-Strauß-Orchester gespielt. Im Gegenzug baten die Brüder Strauß die Hofoperndirektion 1870, ihre Musiker weiterhin in ihren Orchestern spielen zu lassen. Eduard Strauß ging sogar so weit, dass er um die Erlaubnis bat, dem Philharmoniker Moritz Friedberg beim ersten »Volkskonzert« ein Violinkonzert von Paganini als Solist anvertrauen zu dürfen. Die Erlaubnis wurde erteilt, allerdings nur unter der Bedingung, dass Friedberg nicht als »Mitglied des Hofopernorchesters« im Programm geführt wird. Auch im Repertoire waren die Richtungen nicht so deutlich getrennt, wie man es sich heute vorstellt: Die Strauß-Kapellen spielten schließlich auch Wagner!

Die Wiener Philharmoniker

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