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Der schwierige Umgang mit dem Personal

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Als markantes Merkmal von Mahlers Direktion erwies sich seine aktive Rolle in Personalentscheidungen. Mehrere Musiker, die gewisse Entscheidungen des Direktors, zum Beispiel bei Beförderungen, als willkürlich empfanden, fühlten sich enttäuscht und zurückgesetzt. Am schlimmsten erging es in dieser Hinsicht dem Cellisten Franz Schmidt. Er war 1896 mit 22 Jahren, ein Jahr, bevor Mahler sein Amt antrat, als Tutticellist engagiert worden und machte sich als hochbegabter Musiker Hoffnungen auf eine Solistenstelle – die Mahler ihm nie anbieten sollte.

Dabei erneuerte Mahler während seiner ersten Jahre die Cellogruppe komplett, vor allem an der Spitze: Als Reinhold Hummer und Ferdinand Hellmesberger das Orchester verließen und Josef Sulzer aus Gesundheitsgründen oftmals abwesend war, wurden 1900 der Wiener Friedrich Buxbaum und der Böhme Wilhelm Jeral engagiert. Buxbaum, Cellist des Rosé-Quartetts, war Solocellist der Philharmoniker bis 1938. 1902 wurde der Deutsche Rudolf Krasselt ans erste Pult geholt, nach dessen baldigem Abgang der Niederländer Willem Willeke. Jedes Mal sah sich Schmidt um den Posten betrogen. Mahler schätzte ihn immerhin so sehr, dass er ihn aus den Tuttispielern herausholte. Ein Schreiben der Direktion von 1903 legte die Rangordnung am ersten Pult der Cellisten folgendermaßen fest: Buxbaum, Willeke, Jeral, Schmidt und Klein. Tatsächlich durfte Schmidt regelmäßig Soli an der Oper spielen, allerdings ohne je den Titel und die Befugnisse eines Solocellisten zu erhalten: Wie frustriert und verbittert er war, kann man in seiner Schrift Autobiographische Skizze nachlesen. Die Situation änderte sich auch nicht unter Mahlers Nachfolger Felix Weingartner, denn 1908 wurde Kornelius van Vliet, ebenfalls Niederländer, Nachfolger von Willeke. Sein Nachfolger wurde 1913 wieder ein Niederländer, Engelbert Röntgen. Franz Schmidt hatte endgültig genug.

Er neigte dazu, in der Feindschaft Mahlers und in seiner persönlichen Auseinandersetzung mit Arnold Rosé den alleinigen Grund dafür zu sehen, dass er in Ungnade gefallen war. Doch auch bei seinen Kollegen hatte er sich nicht unbedingt beliebt gemacht: 1903 ins Komitee gewählt, trat er schon nach drei Jahren wieder aus, weigerte sich 1906, an einem Gastspiel in London teilzunehmen, und drohte 1907 nach einem heftigen Streit mit dem Sekretär Franz Heinrich zum ersten Mal, aus dem Orchester auszutreten.

Sein Kollege Wilhelm Jeral und er fühlten sich beide gekränkt, da ihnen Franz Heinrich vorgeworfen hatte, bei einer Probe aus der Dirigierpartitur und nicht aus ihrer Stimme gespielt zu haben. Sie seien ständig aufgestanden, um ihre Noten zu korrigieren, worauf jedes Mal ein Ordnungsruf an sie ergehen musste.

Tatsächlich trat Schmidt 1911 aus, als seine Bitte abgewiesen wurde, man möge ihn wegen seiner Verpflichtungen an der Musikakademie von der Generalprobe des Nicolai-Konzerts befreien. Letztendlich trugen beide Seiten Schuld: Einerseits fühlte sich Schmidt von Mahler ungerecht behandelt und wurde immer verbitterter, andererseits hatte er sich den Unmut einiger Philharmoniker zugezogen, weil er glaubte, er habe eine bevorzugte Behandlung verdient. Schmidt behielt aber bis 1914 offiziell seinen Opernposten, wenn er auch aus Gesundheitsgründen meistens beurlaubt war. Später wurde dieser vielseitige Musiker Professor an der Wiener Musikhochschule, 1925 ihr Direktor und 1927 ihr Rektor. Hauptsächlich widmete er sich jedoch seiner Karriere als Komponist; der Nachwelt ist er durch seine Oper Notre-Dame, sein Oratorium Das Buch mit sieben Siegeln und seine 4. Symphonie bekannt.

Auch der Oboist Alexander Wunderer, der mit Franz Schmidt befreundet war und dessen Biograf wurde, musste mit einigen Enttäuschungen fertig werden. Als 23-Jähriger war er 1900 als Nachfolger des zweiten Oboisten Leopold Swoboda engagiert worden und hoffte, im folgenden Jahr Solooboist zu werden, als Mahler Johann Cink zurückstufte. Aber Mahler holte sich aus Prag Anton Jandourek, den er zufällig vom Gang aus spielen gehört hatte. Wunderer musste sich mit der neu geschaffenen Springerstelle zufriedengeben, wo er je nach Bedarf zweite oder erste Oboe spielen musste. Er schien es Mahler nicht übel zu nehmen, wusste er doch, dass ihn der Komponist schätzte. Auch wenn er zugab, verletzt zu sein, war er so klug, zu behaupten, die Zurücksetzung habe ihn angespornt, und er müsse jetzt beweisen, dass er besser sei als Jandourek. Ein Trost dürfte gewesen sein, dass der Flötist Ary van Leeuwen ihn einlud, bei der Bläservereinigung mitzuspielen. Wunderer musste dennoch auch nach dem Abgang Mahlers um Anerkennung kämpfen: Als Richard Baumgärtel 1914 in Pension ging, wurde Wunderer zwar als erster Oboist eingesetzt, bekam aber noch immer nicht den Titel. Opernkapellmeister Leopold Reichwein erklärte ihm zynisch, er habe geringe Chancen, befördert zu werden, denn der Direktion käme es sehr gelegen, ihn immer für die erste Oboe zur Verfügung zu haben, ohne ihn bezahlen zu müssen. Man könne jederzeit einen anderen Oboisten engagieren, wenn man wirklich den Soloposten besetzen müsse. Schließlich bekam Wunderer 1918 doch den Posten, nachdem er Direktor Franz Schalk mit der Kündigung gedroht hatte. Er entwickelte sich zu einer Galionsfigur des Orchesters und des Wiener Musiklebens, war von 1919 bis 1938 der bedeutendste Lehrer für Oboe und Kammermusik an der Akademie und von 1923 bis 1932 hochgeachteter Vorstand der Philharmoniker.

Gerade die Familie Wunderer machte auch positive Erfahrungen mit Mahlers Temperament. Einer von Alexanders jüngeren Brüdern, der Trompeter Adolf, kann sich rühmen, aus der unberechenbaren Launenhaftigkeit des Hofoperndirektors Gewinn gezogen zu haben. Der Vater der vier Brüder, der Hornist Anton Wunderer, war Leiter der Bühnenmusik an der Oper. 1905 stürzte sich Mahler eines Tages, nachdem er Pique Dame dirigiert hatte, auf Vater Wunderer und fragte ihn, wer das Trompetensignal hinter der Kulisse geblasen habe. Wunderer, der an die Wutausbrüche seines Chefs gewöhnt war und von ihm in der Regel für alle Pannen der Bühnenmusik verantwortlich gemacht wurde, rechnete damit, wieder einmal heruntergeputzt zu werden, und stammelte: »Mein Sohn«, worauf Mahler antwortete: »Famos! Den brauch ich im Orchester.« Und schon brachte er die Generalintendanz dazu, eine sechste Trompeterstelle einzurichten.

Manche Musiker waren so verletzlich, dass sie bei der kleinsten Änderung der Probeneinteilung glaubten, in Ungnade gefallen zu sein. So schrieb der Klarinettist Franz Behrends, den Mahler aus Hamburg hatte kommen lassen, am 28. September 1906: »Erlauben Sie mir bei Euer Hochwohlgeboren höflichst anzufragen, wie es kommt, dass ich wiederholt bei den Aufführungen unter Ihrer geschätzten Leitung nicht musiciren darf? Da es mir stets die größte Ehre war und ist, unter Ihnen musiciren zu dürfen, und ich auch fest der Meinung bin, dass ich künstlerisch auf derselben Stufe stehe als andere Herren Collegen, so fühle ich mich sehr verletzt.« Anstelle Mahlers erklärte ihm Konzertmeister Rosé am 4. Januar in trockenen Worten, dass er nur deshalb nicht an allen Proben für Der Barbier von Sevilla teilgenommen habe, weil auch Franz Bartolomej in einigen Proben habe spielen müssen. Das sei der einzige Grund, warum Herr Behrends nicht auf dem Plan stehe, man habe nicht die geringste Absicht, ihn zu beleidigen. Behrends war zu dieser Zeit kein vollwertiger Soloklarinettist, sondern Springer. Am 19. März 1907 stellte er den Antrag, in die Gehaltsklasse eines ersten Klarinettisten hochgestuft zu werden, doch ohne Erfolg. Als am 6. November 1907 der zweite Kapellmeister Franz Schalk Behrends’ Entlassung wegen Disziplinlosigkeit beantragte, unterstützte Rosé den Antrag, während Mahler ihn zurückwies beziehungsweise bis zur Nominierung seines Nachfolgers hinauszögerte: Tatsächlich hielt Weingartner an Behrends fest.

Behrends war bei Weitem nicht der Einzige, dem Disziplinlosigkeit vorgeworfen wurde. Der Oboist Johann Strasky wurde beispielsweise von Mahler zu einer Geldstrafe verdonnert, weil er sich während einer Ballettaufführung von seinem Platz erhoben hatte, um die Beine der Tänzerin Irene Sironi zu bewundern.

Die Wiener Philharmoniker

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