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Der Pensionsfonds

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Das Fehlen einer Sozialversicherung für die Musiker wurde im Lauf der Jahre zu einem immer gravierenderen Problem. Seit 1872 gab es zwar für das Personal der Hofoper einen Pensionsfonds, nicht jedoch für die Philharmoniker. Schon der Gründer des Orchesters, Otto Nicolai, hatte davon geträumt, keiner seiner Nachfolger hatte jedoch die Idee umsetzen können. Schließlich reichten am 1. Januar 1879 der Trompeter Franz Blaha und der Bratschist Alois Buchta die Statuten für einen Fonds ein, der die vom Flötisten Franz Doppler gegründete »Unterstützungskasse« ablösen sollte. Das Ziel dieser privaten Krankenversicherung war es, den Mitgliedern des Orchesters im Fall einer längeren Abwesenheit ein Krankengeld auszuzahlen: 7 Gulden wöchentlich bei einem ärztlich attestierten Krankenstand bis zu sechs Monaten, die Hälfte für die folgenden sechs Monate.

Die nächste Etappe war die Einrichtung einer Altersversicherung für die Philharmoniker. Der überwältigende Erfolg des Konzerts vom 6. Januar 1880, in dem Hans Richter Beethovens Neunte dirigierte, nachdem Pablo de Sarasate Mendelssohns Violinkonzert gespielt hatte, berechtigte zu der Hoffnung, den Fonds finanzieren zu können. Nur: Ein großer Teil der Philharmoniker sah das anders. Sie waren nicht bereit, auf einen Teil ihrer Einnahmen zugunsten künftiger Beiträge zu verzichten. Ihr Wortführer war Ballettkonzertmeister Moritz Kässmayer, der ein vernichtendes Pamphlet19 verfasste, welches die Atmosphäre so vergiftete, dass bei der außerordentlichen Generalversammlung am 29. Mai 1880 die Befürworter einer Pensionskasse in die Minderheit gedrängt wurden. Im Verlauf der äußerst lebhaften Sitzung wurde Blahas Antrag mit 53 zu 22 abgelehnt: ein Triumph für die Gegner des Pensionsfonds, namentlich für den Klarinettisten Franz Otter und den Hornisten Wilhelm Kleinecke. Acht Komiteemitglieder traten sofort zurück: Konzertmeister Jakob Grün, Solobratschist Johan Král, die Bratschisten Siegmund Bachrich, Alois Buchta (Sekretär) und Rudolf Zöllner, der Cellist Karl Udel, der Kontrabassist Karl Katzmayr (Kassier) und der Trompeter Franz Blaha: Noch nie war es seit der Gründung des Orchesters zu einem derartigen Aufstand gekommen. Bei der Hauptversammlung am 30. Juni kritisierte auch Hans Richter vehement die Musiker, indem er ihnen vorwarf, ein Projekt zum Scheitern verurteilt zu haben, das »für die Zukunft des Orchesters von großer Wichtigkeit« gewesen wäre. Schließlich kehrten fünf der ausgetretenen Mitglieder wieder in ihre Funktionen zurück und wurden durch Neuzugänge verstärkt, die schon bald eine wichtige Rolle spielen sollten, darunter der Cellist Ferdinand Weidinger jun., Sohn des ehemaligen Paukisten und außergewöhnliches Organisationstalent, sowie der Geiger Florian Stelzig, der bis 1900 Kassier blieb.

Auch wenn der Dirigent der philharmonischen Konzerte gemäß den Statuten seit 1842 das Amt des Vorstands ausübte, ließ sich zu Beginn der 1880er Jahre eine wachsende Emanzipation der Musiker beobachten. Nicht nur erwies sich Hans Richter als unfähig, das Orchester in der Frage des Pensionsfonds in seinem Sinne zu beeinflussen, auch sein Projekt, in der Saison 1880/81 sämtliche Beethoven-Symphonien in Form eines Zyklus zu spielen, wurde vom Komitee abgelehnt. Der Hornist Kleinecke brachte das Argument vor, ein solcher Zyklus würde die Programme der folgenden Saison einengen. Beethoven bildete tatsächlich das Rückgrat der Konzertprogramme, und man fürchtete zweifellos, ihn ein Jahr lang nicht mehr ins Programm nehmen zu können, wenn er kürzlich bereits zur Gänze aufgeführt worden wäre. Richter musste auf sein Projekt verzichten.

Ein weiteres Mal stieß er an die Grenzen seiner Macht, als seine Idee, drei große Werke von Brahms in der Saison 1881/82 aufzuführen, am erbitterten Widerstand des Komitees scheiterte, denn der Geiger David Pollak meinte, mehr als die Hälfte des Orchesters würde sich weigern, die 1. Symphonie von Brahms zu spielen. Auch der Geiger Josef Steiner, der Bratschist Franz Scheurer und der Hornist Michael Pichler waren dagegen, da sie fürchteten, dass die Besucherzahlen zurückgehen könnten. Hans Richter, der Brahms versprochen hatte, seine Symphonie zu spielen, erklärte dem Orchester, dieses Programm sei seine Entscheidung und nicht die des Komitees. 1882/83 zog er jedoch die Konsequenzen aus der Opposition der Musiker und trat von der Leitung der Abonnementkonzerte zurück. Er wurde unmittelbar durch Operndirektor Wilhelm Jahn abgelöst. Doch bereits in der nächsten Saison kehrte er als Leiter zurück und blieb bis 1898.

Somit hatte das Orchester zwar seine demokratischen Vorrechte verteidigt, aber nicht die Sympathie der Fachpresse gewonnen. So warf der große Brahms-Anhänger Eduard Hanslick dem Orchester seine schlechte Repertoirepolitik vor und meinte, dass sich hier gewisse Personen zum »Richter« über die Qualität der aufzuführenden Werke aufschwängen und nicht den entscheiden ließen, der diesen Namen trägt. Die Deutsche Kunst- und Musikzeitung war noch strenger: »Ein Orchesterstatut, das seinen Dirigenten, also die oberste Leitung, in merkwürdigem Schach hält, ihr jeden freien Lebensnerv unterbindet, sie in allen Fragen von dem dümmsten Urtheile des letzten Trommelschlägers abhängig macht, ist ein Unsinn.«20 Bei allem polemischen und überspitzten Ton hat der Autor des Artikels nicht ganz unrecht. Aber auch wenn die Launenhaftigkeit und das mangelnde Urteilsvermögen des Orchesters mitunter ärgerlich sind, handelt es sich doch um die erste Emanzipation einer demokratischen Orchestergemeinschaft von ihrem Dirigenten.

Nicht lange nach dem Scheitern des Pensionsfonds 1880 gelang schließlich doch die Gründung eines privaten Pensionsfonds der Philharmoniker: Am 27. September 1886 wurden die Statuten des sogenannten »Vereins Nicolai« ins Vereinsregister eingetragen. (Der Flötist Roman Kukula hatte vergeblich versucht, ihn nach dem Gründer der allerersten Versicherungsgesellschaft des Orchesters »Verein Doppler« zu nennen.) In die Versicherungsgesellschaft konnte jedes ordentliche Mitglied des Opernorchesters eintreten, sofern es sich dazu verpflichtete, einen jährlichen Beitrag von 5 Gulden zu zahlen und einmal in der Saison an einem vom Pensionsfonds organisierten Konzert mitzuwirken: Bei dem Konzert, das außerhalb des Abonnements stattfand, handelte es sich um das sogenannte »Nicolai-Konzert«, dessen Einnahmen in den Nicolai-Fonds eingezahlt wurden. Das erste fand am 13. Februar 1887 statt.

Die ersten Auswirkungen der Gründung eines auch als Krankenversicherung wirkenden Pensionsfonds ließen nicht lange auf sich warten. Als der 36-jährige Geiger Karl Böhm in einer Wiener »Irrenanstalt«, wo er am 28. Oktober 1884 aufgenommen worden war, an progressiver Paralyse starb, schrieb die Operndirektion an das Spital, dass die Hofoper über keine Krankenkasse verfüge, die Musiker aber ihre eigene private Kasse gegründet hätten und einem Mitglied beziehungsweise seiner Frau für die ersten sechs Monate 1 Gulden pro Tag für die Spitalskosten auszahlen würden. Andere Musiker suchten um Darlehen oder um eine außerordentliche Unterstützung an, zum Beispiel der Kontrabassist Franz Braun, der die Versicherungsgesellschaft 1892 aufgrund der Krankheit beziehungsweise des Todes seiner 18-jährigen Tochter um eine Unterstützung bat. Von Fall zu Fall organisierte das Orchester auch Wohltätigkeitskonzerte, um einzelnen Mitgliedern zu helfen: so 1891 für den Posaunisten Fritz Alex und den Klarinettisten Johann Stiassny im Ronacher.

Die private Kasse der Philharmoniker enthob jedoch den Hauptarbeitgeber, die Hofoper, nicht gänzlich seiner Pflichten. Der Geiger Julius Werner wandte sich zum wiederholten Male mit Bittgesuchen, die von einer außerordentlichen Unglücksserie erzählen, an die Opernverwaltung. 1883 suchte er wegen der Krankheit seiner Frau um Beurlaubung an. In der Folge bat er um eine finanzielle Unterstützung in der Höhe von 200 Gulden, die ihm Generalintendant Hofmann aus seiner privaten Schatulle bezahlte. 1884 stellte Werner mehrere Anträge auf einen Gehaltsvorschuss und verlangte 1885 wegen einer fälligen Versicherungspolice 20 Gulden, »um Schmach und Tod aus dem Wege zu gehen«. Seinen Gesuchen fügte er Briefe bei, die seine Frau und andere Familienmitglieder unterschrieben hatten.

1886 suchte der verschuldete Albert Goldberg um Bezahlung von zwei Kautschuk-Stampiglien an, was die Oper als Privatangelegenheit ablehnte. Auch eine neuerliche Bitte um finanzielle Hilfe wurde abgelehnt, ebenso mehrere Ansuchen um Gehaltsvorschüsse und eine Aktivitätszulage 1887. Später wandte Goldberg sich mit der Bitte an die Oper, ihm seine Lebensversicherung gegen monatliche Auszahlungen abzukaufen, ersuchte 1889 nach dem Tod eines seiner Kinder erneut um einen Vorschuss und 1891 um eine Beurlaubung, weil der Bruder seiner Frau sich nach einem Eisenbahnunfall beide Füße amputieren lassen musste.

Die Wiener Philharmoniker

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