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Die erste massive Vergrößerung

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1869, das Jahr der Eröffnung des neuen Opernhauses, sah den größten Zuwachs in der Geschichte des Orchesters, zugleich mit dem Auftrag über 55 neue Streichinstrumente an Geigenbauer Anton Hofmann. Bei der Einweihung der Oper am Ring wurde zum ersten Mal die Grenze von 100 Musikern überschritten, wie aus der Liste mit 107 eingetragenen Mitgliedern hervorgeht. Zwar verließen 1869 8 Musiker das Orchester, doch wurden 25 neu engagiert. Auch 1870 war der Saldo noch positiv mit 12 Neuzugängen bei 8 Abgängen. Besonders die Streicher legten zu: Die Primgeigen bekamen 4 neue Stellen, die Sekundgeigen 5, die Bratschen 5, die Celli 2 (eigentlich 3, inklusive einer 1870 neu eingerichteten Stelle), sodass das Orchester insgesamt 18 Primgeiger, 17 Sekundgeiger, 12 Bratschisten, 10 Cellisten, 10 Kontrabassisten, 4-fache Holzbläser, 7 Hornisten (8 ab 1874), 4 Trompeter, 5 Posaunisten, 1 Tubist und 5 Schlagwerker (2 Paukisten und 3 Schlagwerker) zählte. Diese Zahlen entsprechen jenem Antrag, der am 21. Januar 1869 an die Operndirektion gestellt wurde und die Unterschriften von Otto Dessoff, Josef Hellmesberger, Jakob Grün, Mathias Strebinger, Franz Doppler und Franz Dobyhal trug: Um die Forderung nach neuen Streicherstellen zu rechtfertigen, legten die Unterzeichner die Idealbesetzung für große Opern bei einer Anzahl von 14–14–10–8–8 und für kleine Opern und Ballettaufführungen bei 10–10–8–6–6 fest.

Im Jahr 1869 erhielt das Orchester damit mehr oder weniger seine moderne Gestalt. Die Besetzung mit 12 Bratschisten, 10 Cellisten und 10 Kontrabassisten blieb fast unverändert bis zum Zweiten Weltkrieg, die der Bläser bis 1903. Verdiente Musikerpersönlichkeiten verließen das Orchester, wie etwa der Geiger und Ballettmusikdirektor Mathias Strebinger, der auf Wunsch des Obersthofmeisters, Fürst Hohenlohe-Schillingsfürst, welcher sich regelmäßig über die schlechte Qualität der Ballettaufführungen beklagte, in den Ruhestand versetzt wurde. Auch der Klarinettist Thomas Klein, Orchestermitglied seit 1828, schied aus, blieb aber bis 1881 Lehrer am Konservatorium.

Bald machte sich eine gewisse Instabilität bemerkbar. Durch die Nachbesetzungen und neu geschaffenen Posten kam man auf 33 neue Engagements in zwei Jahren. Einzelne Musiker blieben nur wenige Monate, aus verschiedenen Gründen: Der Geiger Gottfried Obrog starb mit 31 Jahren an einem Herzinfarkt, der russische Geiger Adolf Brodsky folgte einem Ruf ans Moskauer Konservatorium, machte eine Solistenkarriere und brachte am 4. Dezember 1881 das ihm gewidmete Violinkonzert von Tschaikowski mit seinen ehemaligen Philharmoniker-Kollegen unter Hans Richter zur Uraufführung. Dagegen erklärt kein Dokument das Ausscheiden des Geigers Karl Leidler 1870, der erst 1869 engagiert worden war. Vielleicht hielt er künstlerisch nicht, was man sich von ihm versprochen hatte.

Im Großen und Ganzen bewies die Jury bei dieser Menge an Neuengagements mehr als einmal eine glückliche Hand, zum Beispiel bei Siegmund Bachrich. Bachrich, dessen Vater eine wichtige Rolle in der jüdischen Gemeinde Ungarns spielte, war erst Konzertmeister und Kapellmeister am Theater an der Wien gewesen und Dirigent am Théâtre lyrique de Paris, bevor er Bratschist bei den Philharmonikern, beim Hellmesberger-Quartett und später beim Rosé-Quartett wurde. Als ebenso bedeutend erwies sich das Engagement des tschechischen Kontrabassisten Franz Simandl. Er galt als Konkurrent des italienischen Virtuosen und Komponisten Giovanni Bottesini, der als »Paganini des Kontrabasses« angesehen wurde. Noch im gleichen Jahr wurde er Lehrer am Konservatorium und führte dort die böhmische Schule weiter, die seit Anton Slama nachhaltig das Kontrabassspiel in Wien bestimmt hatte. Von neun Kontrabassisten zählten 1869 vier zu Slamas Schülern, und tatsächlich stammte mit Simandl, Wrany, Pawla, Holly und Hraba mehr als die Hälfte der Kontrabassgruppe aus Böhmen. Simandl und Wrany (sein Vorgänger am Wiener Konservatorium) waren Vertreter der Prager Tradition von Hause/Hrabě. Man kann also mit gutem Recht sagen, dass die Wiener Kontrabassschule im Wesentlichen böhmisch geprägt war.

So positiv sich der massive Zuwachs an Musikern für das Orchester auswirkte, stellte er die Philharmoniker auch vor große Probleme. Denn während das Gehalt der Mitglieder des Hofopernorchesters vom kaiserlichen Hof festgesetzt wurde, wurden die Einnahmen der philharmonischen Konzerte anteilsmäßig unter den Mitwirkenden verteilt. Mit der Schaffung von 21 neuen Stellen allein im Jahr 1869 verringerten sich zwangsläufig die Einkünfte für jeden Einzelnen. In einem gemeinsamen, von Otto Dessoff unterzeichneten, Brief an die Generalintendanz erklärten zwölf Mitglieder des Orchesters (darunter die beiden Konzertmeister), »dass durch die Vermehrung des Orchesterpersonals eine Steigerung der Concerteinnahmen als dringend geboten erscheint«. Die Eintrittspreise zu erhöhen, schlossen die Unterzeichneten als Lösung aus. In der Generalversammlung vom 10. September 1869 wurde daher der Antrag verabschiedet, ein philharmonisches Orchester auf zwei Ebenen zu schaffen: Nur die vor Ende der Saison 1869/70 eingetretenen Musiker hatten Anspruch auf ihren vollen Anteil. Die Neuen mussten sich mit einem geringeren begnügen. So betrug in der Saison 1869/70 das Einkommen eines regulären Philharmonikers 147 Gulden, das eines Neuankömmlings 72. Der Konflikt zwischen den etablierten Mitgliedern, die kaum bereit waren, die Einkünfte zu teilen, und ihren jungen Kollegen sollte sich mit jeder Orchestervergrößerung verschärfen, besonders 1903, zu Beginn der 1920er Jahre und in der Zeit von 1964 bis 1973. Am Ende wurde der Frieden wiederhergestellt, der finanzielle Konflikt wirkte sich jedoch weiterhin auf die Beziehungen zwischen den Musikergenerationen aus.

Die Wiener Philharmoniker

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