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1.3 Das Rot als Disposition der Rose
ОглавлениеEs besteht die Möglichkeit, das Rot als „Disposition“ der Rose zu verstehen. Eine Disposition wäre eine Fähigkeit bzw. ein Vermögen der Rose, in einem wahrnehmenden Subjekt den Eindruck der Röte hervorzurufen.
Diese Ansicht darf keineswegs mehr als naiv oder unreflektiert bezeichnet werden. Vielmehr ist sie ein geschickter Schachzug, um die vermeintlich subjektive Röte dennoch der Rose und somit der objektiven Realität zuzusprechen. Bereits der französische Philosoph und Mathematiker René Descartes (1596-1650) kam zu dem Schluss „dass das, was wir in den äußeren Gegenständen mit dem Namen des Lichtes, der Farbe, des Geruchs, des Geschmacks, des Tones, der Wärme, der Kälte und anderer sinnlicher Eigenschaften oder substantieller Formen bezeichnen, nur verschiedene Zustände [lat.: dispositiones] jener Dinge sind, welche bewirken, dass unsere Nerven verschieden bewegt werden.“ [7]
In diesem Sinne erscheint uns das Rot zwar subjektiv, ist aber tatsächlich eine reale und somit objektiv existierende Disposition der Rose. Das Rot bleibt folglich eine Eigenschaft der Rose, die unabhängig davon, ob sie verwirklicht wird oder nicht, existent ist. Eine Wissenschaft, die in der Lage wäre, diese Disposition adäquat zu erfassen, könnte somit auch einem Blinden vermitteln, was die Farbe Rot grundsätzlich ausmacht.
Rund ein halbes Jahrhundert später griff der englische Philosoph John Locke (1632-1704) diesen Gedanken auf und entwikkelte ihn weiter. Locke unterteilte die Dinge um uns herum in primäre und sekundäre Qualitäten:
„§ 9. (Erste Eigenschaften.) Wenn man die Eigenschaften in den Körpern so betrachtet, so ergeben sich zunächst solche, welche von dem körperlichen Gegenstande ganz untrennbar sind, gleichviel in welchem Zustande er sich befindet; er behält sie trotz aller Veränderungen, die er erleidet, und aller gegen ihn gebrauchten Kraft; sie werden in jedem Stofftheilchen wahrgenommen, das noch wahrnehmbar ist, und die Seele findet, dass sie von keinem Stofftheilchen abgetrennt werden können, selbst wenn diese so klein sind, dass sie von unsern Sinnen nicht mehr wahrgenommen werden können.
Man nehme z.B. ein Weizenkorn und theile es in zwei Theile; jeder Theil hat noch Dichtheit, Ausdehnung, Gestalt und Beweglichkeit; man setzt nun die Theilung fort, bis die Theile nicht mehr wahrnehmbar sind, und die Theilchen müssen dennoch all diese Eigenschaften behalten. Keine Theilung (und mehr vermag weder die Mühle, noch ein Stösser, noch sonst ein Körper, wenn er einen Gegenstand auf unsichtbare Theilchen zurückführt) kann die Dichtheit, Ausdehnung, Gestalt und Beweglichkeit einem Körper entziehen; es werden dadurch nur zwei oder mehr Gegenstände aus einem gemacht; diese Theile können als so viele bestimmte Körper angesehen und nach der Theilung gezählt werden.
Diese Eigenschaften der Körper nenne ich die ursprünglichen oder ersten, und man bemerkt, dass sie einfache Vorstellungen in uns, wie Dichtheit, Ausdehnung, Gestalt, Bewegung oder Ruhe und Zahl, hervorbringen.“ [8]
Die Dichte, Ausdehnung, Gestalt, Bewegung, Ruhe und Zahl der Rose und all ihrer Bestandteile sind somit Vorstellungen (in Lockes Terminologie: „ideas“ – Ideen), die in uns durch ihre primären Qualitäten verursacht werden. Nach Locke sind diese immer vorhanden, nicht wegdenkbar, ja gerade das, was die Rose an sich überhaupt ausmacht. Es ist gang und gäbe, dass diese Vorstellungen mit den primären Qualitäten gleichgesetzt werden. So unterstellt man Locke eine Naivität, die nicht zutreffend ist. Er ist durchaus kritisch:
„§ 7. (Vorstellungen in der Seele; Eigenschaften in den Körpern.) Um die Natur unserer Vorstellungen besser zu erkennen und verständlicher von ihnen zu sprechen, muss man sie, so weit sie Vorstellungen oder Wahrnehmungen in unserer Seele sind, von den Veränderungen des Stoffes in den Gegenständen unterscheiden, welche diese Wahrnehmungen in uns verursachen, damit man sie nicht (wie gewöhnlich geschehen mag) für die genauen Abbilder von Etwas in dem Gegenstande ansehe, da die meisten dieser Wahrnehmungen in der Seele den äusseren Gegenständen so wenig gleichen, wie die Worte den damit bezeichneten Vorstellungen, obgleich bei dem Hören dieser Worte diese Vorstellungen erweckt werden.
§ 8. Alles, was die Seele auffasst, oder was unmittelbar der Gegenstand der Auffassung, des Denkens oder des Verstandes ist, nenne ich Vorstellung; dagegen nenne ich die Kraft, eine Vorstellung in unserer Seele hervorzubringen, Eigenschaft des Gegenstandes, indem diese Kraft enthalten ist. So hat ein Schneeball die Kräfte, die Vorstellungen von Weiss, Kalt und Rund in uns hervorzubringen, und ich nenne deshalb diese Kräfte in dem Schneeball seine Eigenschaften, und die Wahrnehmungen oder Auffassungen derselben in unserm Verstande nenne ich Vorstellungen, und wenn ich von diesen Vorstellungen mitunter so spreche, als wenn sie in den Gegenständen selbst wären, so meine ich damit die Eigenschaften in den Gegenständen, welche jene Vorstellungen in uns erwecken.“ [9]
Locke unterscheidet somit explizit, zwischen den objektiven Dingen der Realität und den subjektiven Vorstellungen unserer Wirklichkeit, die jene durch ihre Kräfte (engl.: „powers“; vergleichbar mit den „dispositiones“ von Descartes) in uns hervorrufen. Dies gilt sowohl für die primären Qualitäten als auch die sekundären:
„§ 10. (Zweite Eigenschaften.) Zweitens giebt es Eigenschaften, welche in Wahrheit in den Gegenständen selbst nichts sind, als Kräfte, welche verschiedene Empfindungen in uns durch ihre ursprünglichen Eigenschaften hervorbringen.“ [10]
Das Rot der Rose selbst ist somit keineswegs eine sekundäre Qualität im Sinne von Locke – wie ebenfalls oft angenommen wird –, sondern vielmehr ein Produkt ihrer sekundären Qualitäten. Diese selbst sind Kräfte (Dispositionen), die wiederum durch die „ursprünglichen Eigenschaften“ (die primären Qualitäten) der Rose hervorgebracht werden und in uns Empfindungen wie Farbe und Geruch verursachen.
Es ist diese Vorstellung von Locke, auf der auch heute noch Vertreter der dispositionalen Position aufbauen. (Vgl. McGinn, 1983: The Subjective View [11]; Johnston, 1992: How to Speak of the Colors [12]; Harvey, 2000: Colour-Dispositionalism and Its Recent Critics [13] & Levin, 2000: Dispositional Theories of Color and the Claims of Common Sense [14])