Читать книгу rosenrot - Christian Zippel - Страница 7
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Ein kleines Mädchen, ein Physiker, ein Biologe und ein Psychologe betrachten eine Rose. Das Mädchen sagt gerade raus: „Die Rose ist rot.“ Der Physiker korrigiert: „Das Licht, das von der Rose reflektiert wird, ist rot.“ Der Biologe entgegnet: „Die visuellen Cortexareale des Gehirns konstruieren den Eindruck der Röte.“ Schließlich der Psychologe: „Die Röte liegt allein im Geiste. Alles von euch ist nur Materie.“
Plötzlich tritt ein Blinder in die Runde: „Sagt mal, wovon sprecht ihr da eigentlich? Was hat es auf sich mit dieser Röte? Könnt ihr mir das erklären?“
Nichts ist uns so nah und doch so fern, wie unsere bewusste Wahrnehmung. Wir scheinen genau zu wissen, was Farben sind, aber auch nur, solange wir nicht über sie nachdenken oder in Worte zu fassen versuchen.
Ein Stift kann zwar in einer bestimmten Farbe schreiben, aber kann er auch beschreiben, was das ist: Farbe? Vermag ein Wissenschaftler das Wesen, die Bedingungen und die Eigenschaften von Farbe in das Gewand solch anschaulicher Gedanken zu kleiden, dass auch ein Blinder das Phänomen der Farbe so umfassend verstehen kann wie ein Sehender?
Wie entsteht das Rot der Rose? Wo entsteht es? Und warum entsteht es überhaupt? Ist es eine Eigenschaft der Rose, wie es das kleine Mädchen annimmt? Oder hat der Physiker recht, nach dessen Ansicht Rot mit einer bestimmten Wellenlänge des Lichtes zu vergleichen ist und die Dinge selbst farblos sind? Wie steht es um die Ansicht des Biologen, für den Farbe weder den Dingen noch dem Licht zukommt, sondern einem bestimmten Gehirnzustand?
Doch ist die Rose de facto nur dann rot, wenn wir sie betrachten und sonst nicht? Warum haben wir dann den Eindruck, als würde das Rot untrennbar an der Rose haften und zu ihr gehören wie ihre Dornen, wenn dieses Rot in Wirklichkeit ein Konstrukt unseres Gehirnes ist und somit nicht zu der Rose gehört, sondern zu uns? Wie gelangt diese Konstruktion aus dem Inneren unseres Schädels auf die Blütenblätter dieser Pflanze? Wie ist es möglich, dass ein Haufen gräulicher Neuronen, die in ihrem gesamten „Leben“ noch nie das Licht der Welt erblickt haben, ein farbiges Universum erschaffen können?
Wie steht es um den Einwand des Psychologen, nach dem die gesamte physische Welt – also sowohl die Rose als auch das Licht als auch das Gehirn – allesamt von materieller Beschaffenheit sind, Farbe jedoch etwas Geistiges ist? Trifft dies wirklich zu? Falls ja, wie kann dann die Rose, das Licht oder das Gehirn dieses geistige Rot erschaffen? Wie können Materie und Geist miteinander wechselwirken? Können sie das überhaupt? Was ist eigentlich der Geist? Und wenn wir das fragen, müssen wir auch fragen: Was ist Materie? Gibt es sie überhaupt oder gibt es vielleicht sogar nur den Geist?
Schließlich erleben wir direkt ja auch nur das geistige Rot; und all die anderen Gedanken über eigenständig existierende Dinge, Lichtwellen und Gehirne, sind nichts weiter als abstrakte Vorstellungen in unserem Denken und somit ebenfalls erst einmal nichts weiter als Produkte des Geistes. In unseren Träumen erleben wir ganz alltägliche, bunte und scheinbar materielle Welten – allesamt sind sie jedoch Erscheinungen unseres Geistes. Könnte es da nicht sein, dass auch unsere gesamte Welt nichts weiter ist als rein geistig?
Die Tragweite des Rosenrots
Wie wir sehen, ist unsere Auseinandersetzung mit dem Rot der Rose alles andere als eine philosophische Quisquilie. Sie birgt gewichtige philosophische Fragen.
Dabei scheinen die Farben zwischen den Stühlen zu stehen. Sie blicken janusgesichtig sowohl in die Welt objektiver, physikalischer Prozesse als auch in die Sphären subjektiver, mentaler Erlebnisse.
„In dem sich mit der naturwissenschaftlichen Zugangsweise entwickelnden Konzept von Objektivität und der mit ihm verbundenen Trennung von physikalischen und mentalen Phänomenen stellen die Farben einen Aspekt unserer Erfahrung dar, bei dem Physikalisches und Mentales auf geheimnisvolle Weise miteinander verflochten zu sein scheinen. Wie in keinem anderen Phänomenbereich der Psychologie bündeln sich in den Farberscheinungen physikalische und psychische Aspekte in einer untrennbaren Einheit.“ Reiner Mausfeld [1]
Wie man die obigen Fragen beantwortet, so entscheidet man sich auch für ein entsprechendes, dahinter stehendes Weltbild. Wir wollen uns mit diesem Thema beschäftigen: Welche Lösungsansätze gibt es für die obigen Fragen? Was gibt es für Fakten und wofür sprechen sie? Welche Theorien, Paradigmen und Weltbilder stehen hinter den einzelnen Perspektiven? Was bedeuten sie? Was spricht für sie? Wie lassen sie sich kritisieren? Und was bleibt am Ende übrig? Zu welchem Ergebnis werden wir gelangen? Was sind Farben wirklich? Können wir überhaupt angemessen über sie reden oder sollten wir lieber über sie schweigen?
Meine Aufgabe sehe ich weniger darin, vorschnelle Schlüsse zu ziehen, sondern vielmehr darin, die richtigen Fragen zu stellen und möglichst neutral zu argumentieren. Auf diese Weise bleibt es jedem einzelnen Leser überlassen, selbst zu entscheiden, zu welcher Weltsicht er sich entschließen möchte.
Was wir jedoch zuerst von uns abwerfen müssen, um unbelastet über das Rot der Rose zu philosophieren, ist die Selbstverständlichkeit, mit der wir es akzeptieren.
Wir sollten es als Wunder betrachten und uns den Blick nicht durch Scheuklappen verdecken lassen, die wir uns durch vorgefasste und unhinterfragte Meinungen haben anlegen lassen, ohne es zu merken. Wischen wir die Tafel leer. Lassen Sie uns gemeinsam schauen, welche Perspektiven es auf das Rot der Rose gibt und was wir daraus schließen können. Wir beginnen mit der Ansicht des kleinen Mädchens, gehen über die Naturwissenschaftler zum Psychologen und darüber hinaus.
Dabei sind wir nicht die ersten, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Große Namen zieren unseren Weg. Philosophen wie Descartes, Hobbes, Hume, Locke, Whitehead, Wittgenstein und viele mehr haben sich bereits eingehend mit diesem Thema befasst. Von ihnen und ihren Gedanken werden wir profitieren. Des Weiteren gibt es bedeutende Naturwissenschaftler, die unermüdlich Licht in die Welt der Farben gebracht haben, um darauf aufbauend ein bestehendes Paradigma zu festigen oder ein neues zu schaffen; Forscher wie Newton, Helmholtz, Maxwell und Einstein.
Die ersten sind wir bei weitem nicht. Wir haben jedoch die Möglichkeit, moderne naturwissenschaftliche Erkenntnisse hinzuzufügen und in Kontext mit den bereits bestehenden Fakten zu bringen. Die Disziplin der Neurobiologie macht täglich Fortschritte, befindet sich jedoch noch am Anfang ihrer Erkenntnisreise. Neue Erkenntnisse zum Thema Farben könnten uns jederzeit bevorstehen und wir befinden uns inmitten dieses spannenden Forschungsabenteuers.
Dass das Thema mitunter sehr emotional werden kann, zeigt die Geschichte. Bereits zwischen Newton und Goethe, aber auch zwischen Helmholtz und Hering ging es zum Thema der Farben hoch her. Heute ist das nicht anders. Wir werden versuchen, möglichst neutral zu urteilen. Wir wollen wir uns an die Fakten halten – wo es möglich ist.
Dabei machen wir eine wissenschaftliche Rundreise von der Physik bis hin zur Psychologie und wieder zurück: Bei den materiellen Dingen und dem Licht tummeln wir uns im Herrschaftsgebiet der Physik. Sobald diese Außenwelt von dem Körper eines Lebewesens wahrgenommen und in einen neuronalen Code transferiert wird, betreten wir die Welt der Biophysik und Neurophysiologie. Wie sich schlussendlich der physikalische Reiz auf unsere sinnlichen Erlebnisse auswirkt, ist Gegenstand der Psychophysik. Das abstrakte Einteilen und verbale Erfassen von Farbkategorien finden in der Kognitionspsychologie und Linguistik statt. Im Hinblick auf das bewusste Erleben von Farben gelangen wir zur Wahrnehmungspsychologie, die sich wiederum eng an die physikalischen Vorgaben hält. Doch das ist bei weitem nicht alles.
Farben sind ebenso wie in der Wahrnehmungsforschung auch in Kunst, Chemie und Industrie von Bedeutung. Diese drei Bereiche befassen sich jedoch eher mit der Produktion, Vermarktung und Komposition von Farben und tragen nur wenig zu unserem Ansinnen bei. Aus diesem Grund werden wir sie aus unserem Vorhaben ausklammern. Sie sollen nur Erwähnung finden, wenn sie hilfreiche Aspekte beitragen können. Eine Disziplin vermag dies auf jeden Fall: die Evolutionsbiologie. Doch dazu später mehr.
Es erhärtet sich bereits jetzt der Verdacht, dass Farben auf das Spannungsverhältnis von Körper und Geist, von Objekt und Subjekt hinweisen. Sie sind etwas Besonderes und doch ganz natürlich. Es ist offenkundig, dass wir vielen interessanten Fragen begegnen werden.
„Kein anderer Bereich erscheint so geeignet zu sein, Unterschiede in unseren Zugangsweisen zu einer Erforschung der Natur und der Stellung des Menschen dabei zu beleuchten, wie die Farben.“ Reiner Mausfeld [2]