Читать книгу Die Passion Jesu im Kirchenlied - Christina Falkenroth - Страница 47
2.2.3.2 Die Bearbeitung der musikalischen Vorlage
ОглавлениеDie musikalische Gestalt hat Luther aus der Sequenz „Victimae paschali laudes“ entwickelt. Dabei sind charakteristische Elemente der Tonführung in die entstandene Liedform eingegangen.
Die erste Choralzeile ist ein um eine Quinte höher versetztes Zitat der ersten musikalischen Einheit der Sequenz.
Ambitus und Grundbewegung der 2. Sequenzeinheit, der gestufte Abgang von a’ zu d’, gehen in zweite Liedzeile ein. Auch die 2. Sequenzeinheit des zweiten Verses weist eine der zweiten Zeile Luthers ähnliche Bewegung auf.
Ein gestufter Quartaufgang, aus einer Terz und einer Sekunde gebildet, bildet den Beginn aller drei folgenden Sequenzverse. Er wird durch eine Verdoppelung in der fünften Choralzeile aufgenommen und intensiviert.
Die sechste Choralzeile zitiert „et gloriam … resurgentis“ aus dem 3. Sequenzvers, wieder um eine Quint nach oben gerückt (auf der Reperkussa statt der Finalis) und in um einige schweifende Töne verminderter und so gestraffter Weise.
Die Bewegung der Zeile 7 entspricht der Sequenzzeile „sepulcrum …“ (3. Sequenzvers) und ist durch die Vergrößerung der Sekunde zu einer Terz verstärkt; der Tonraum der Zeile 7 entspricht der Sequenzzeile „a mortuis“ (4. Sequenzvers), deren Bewegung, d.h. die aufsteigende Terz und das Durchschreiten des Tonraumes von einem relativen Maximum zum Basiston, wird nachgeahmt.
Der Halleluja-Ruf der Zeile 8 schließlich nimmt eine charakteristische Zeilenendbewegung der Sequenz auf, doch Luther hat sie in seiner Fassung gestrafft und hat ihr so den schweifenden Charakter genommen.
Die Sequenz ist dadurch geprägt, daß am Zeilenbeginn aufsteigende Intervalle stehen. Diese nimmt Luther besonders in seinem zweiten Teil auf, nimmt ihnen allerdings den Initium-Charakter und verleiht ihnen den Charakter einer Figur.
An einigen Stellen ist ein tonales relatives Maximum bzw. ein aufsteigendes Intervall mit einem inhaltlich und sprachlich mit einem Akzent versehenen Wort verbunden, z.B. „et gloriam …“ (Str.3). , so nimmt es Luther in seiner musikalisch entsprechenden Stelle auf: „Gott loben“.
Im Allgemeinen ist weder in die Sequenz noch in Luthers Lied ein strenger Wort-Ton-Zusammenhang hineinkomponiert. Sondern die Intervallik an den benannten einzelnen Stellen entspricht in ihrer Bewegung dem Inhalt der Textierung.
Insgesamt läßt sich beobachten, daß die Bewegungen in der Tonführung der Sequenz eher schweifend sind, in der Aufnahme bei Luther aber zielgerichtet und auf die aufsteigenden und absteigenden Bewegungen konzentriert. Dies ist wahrscheinlich der Form „Lied“ geschuldet, auf die sich Luther in seinem Tonsetzen richtet.
Luther hat in seiner Bearbeitung die wesentlichen Charakteristika der modalen Tonart aufgenommen: dorisch auf d, das Tonzentrum in der Reperkussio a’ und der Finalis d’ als Zielton am Zeilenende, in der Tonführung der Charakter des Bewegens um das Tonzentrum, die fließende Bewegung der Sequenz, die durch die gleichbleibenden Notenwerte, die seltenen rhythmischen Bewegungen und die Spannungsbögen über die ganze Zeile gegeben ist. Dadurch ist beiden ein nicht-metrischer Charakter zueigen. Es entstehen demzufolge keine Schwerpunkte gemäß einer Gliederung in Takte. So bilden die einzelnen Sequenzeinheiten wie auch die Zeilen im Lied Luthers über das gesamte Lied einen Spannungsbogen. Aus diesem Grunde gibt es keine direkten Wort-Ton-Entsprechungen; die musikalischen Akzente liegen oft im Bereich der maximalen Tonhöhe, aber nicht direkt auf ihr (Z2,5,6), besonders auf den Melismen (Z1,6,7). Es entsprechen sich aber Textinhalt und Tonführung in ihrer Gestik und ihrer Aussage von Inhalt und Tonführung in einer musikalischen Einheit.
Der zentrale Tonraum der Sequenz ist der Raum zwischen Reperkussio und Finalis, zwischen a’ und d’. Viermal ist er in der Sequenz nach oben durchbrochen in die Oberquarte.
Anders ist es in Luthers Melodie: Hier erhält der obere Tonraum das größere Gewicht, nicht nur quantitativ, sondern vor allem sind auch die Bewegungen im oberen Bereich energetisch stärker. Die Zeilen, die im unteren Bereich liegen, führen entweder zu dem oberen hin (Z5) oder erscheinen als dem oberen Ton des Bereiches, dem a’ zugeordnet.
Der Vergleich von Sequenz und Lied zeigt, daß Luthers Bearbeitung der Sequenz zu einer in sich geschlossenen Liedform in einer Weise geschieht, die musikalische Elemente aufnimmt und sie gemäß den der Liedform innewohnenden Fakturgesetzen abwandelt. Das musikalisch charakteristische der Sequenz und ihr Ausdrucksgehalt gelangt so in das Lied. Dem Lied ist dennoch sein eigener Charakter verliehen.
So kann man sagen, daß Luther sichtbar in seinem Liedschaffen an die Tradition anschließt, aus der er sich speist. Theologisch und musikalisch nimmt er den Gehalt der Sequenz auf und bindet so Textgehalt und musikalische Gestalt der tradierten Güter in seine Vorstellung von einem reformatorischen Passions-und Ostergesang ein. So ist der liturgische Charakter der Sequenz in seinem Lied gegenwärtig, aber in das Gottesdienst-Feiern in erneuertem Gewand eingeführt.
Luther wird so zum Mittler zwischen Tradition und Gegenwart.