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Der Glaube als das Ergreifen der Passion

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„Des Blut zeichnet unsre Tür, das hält der Glaub dem Tode für. Der Würger kann uns nicht rühren“

Wie in der Theologie Luthers hat der Glaube auch in diesem Lied eine zentrale Bedeutung. Er hat die Schlüsselrolle inne, denn er führt den glaubenden Menschen zur Rettung vor dem Tod. Indem der Glaube das Blut Christi, also sein Sterben für uns, dem Tod entgegenhält, vollzieht sich die Peripetie im Schicksal des Menschen, der Tod Christi wirkt sich auf ihn aus. Der Sieg des Lebens über den Tod, den Christus errungen hat, kommt dem Menschen zugute, denn der Tod hat seine Gewalt über den Sünder verloren. Er muß seinen Anspruch auf den Menschen, den er aufgrund von dessen Sünde hatte, preisgeben. Dies erkennt der hier wie auch der Glaube personifiziert dargestellte Tod in dem Augenblick, in dem er das Blut Christi zwischen sich und den Menschen gestellt sieht.

Das Ergreifen der Passion durch den Glauben ist dabei nicht als vom Menschen initiiertes Handeln zu verstehen, sondern als Geschehen am Menschen. Der Glaube ist kein „Akt, zu dem sich der Mensch aufschwingt“, sondern „Werk Gottes selbst im Menschen“1. Glauben als „responsorische Entsprechung und Bejahung“ ist „opus dei“, zu dem der Mensch nicht aus sich heraus fähig ist, sondern „der Mensch ist dadurch ausgezeichnet, daß er (nicht: Glauben ‚kann‘, sondern) diejenige Kreatur ist, mit der Gott so und dahingehend sein will, daß er ihn zum Glauben öffnet. Er tut es so, daß er dieser Kreatur das Wort zuspricht, das sich die Antwort des Glaubens schafft.“2 Diese Antwort des Glaubens beschreibt Luther in seinen Thesen „De fide“, in denen er die fides acquisita seu Sophistarum von der fides vera unterscheidet:

„Sed vera fides dicit: Credo quidem filium deum passum et resuscitatum. Sed hoc totum pro me, pro peccatis meis, de quo certus sum. … Fides vera extensis brachiis amplectitur laeta filium dei pro sese traditum et dicit: Dilectus meus mihi et ego illi.“ 3

Der wahre Glaube ergreift die Passion, indem er mit Gewißheit darauf schaut, daß der Gottessohn für die Sünden des Glaubenden gelitten hat. Er umfaßt Christus freudig wie eine Braut ihren Geliebten (Hld 2,16). Er weiß um das Leiden Christi für den Menschen und verläßt sich darauf, daß er nun ihm zugehört. Subjekt des Ergreifens ist der Glaube. Indem er als in erster Ursache von Gott gewirkt zu verstehen ist, ist in diesem Akt der Zueignung nicht der Mensch der sich das Heil aneignender, sondern Gott als der im Glauben im Menschen Handelnde derjenige, der ihm dieses zueignet.

„Mit einem Wort: Durch den Glauben an Christus wird die Gerechtigkeit Christi unsere Gerechtigkeit. Alles, was ihm gehört, ja er selbst, wird unser Eigentum. Aus diesem Grunde proklamiert der Apostel in Röm 1,17 diese Gerechtigkeit als Gerechtigkeit Gottes: Die Gerechtigkeit Gottes wird im Evangelium offenbart, wie geschrieben steht: ‚Der Gerechte lebt aus Glauben.‘ Ein solcher Glaube wird in Röm 3, 28 sogar als ‚Gerechtigkeit Gottes‘ bezeichnet: Wir halten dafür, daß der Mensch durch den Glauben gerecht wird. Es ist das eine grenzenlose und alle Sünde augenblicklich verschlingende Gerechtigkeit, weil an Christus unmöglich Sünde haften kann. Wer nun aber an Christus glaubt, der haftet an Christus, ist eins mit Christus und hat dieselbe Gerechtigkeit wie er. So ist es unmöglich, daß noch Sünde in ihm bleibt.“4

Indem die Sünde des Menschen vermittels des Glaubens nun durch die Gerechtigkeit Gottes ersetzt ist, gibt es nichts mehr an ihm, das dem Tod den Zugriff auf ihn ermöglichen würde.

In diesem Zusammenhang wird deutlich, inwiefern der Begriff des Glaubens für die reformatorische Perspektive auf den Einzelnen vor Gott von Bedeutung ist.

Das Heilswerk Gottes vollzieht sich außerhalb des Menschen, vor seiner Zeit und ohne seine Mitwirkung. Im Glauben aber wird die so erworbene iustitia aliena dem einzelnen zugeeignet.

Der Glaubensbegriff verbindet das kollektive und das individuelle, das dem Inhalt der christlichen Religion im reformatorischen Verständnis Eigen ist.

Diese Verbindung wird im Lied offenbar, indem der Kampf zwischen Tod und Leben in einer mythischen Vorzeitigkeit und die Zueignung im Glauben und ihre sinnliche Erfahrbarkeit im Mahl in direkter Zuspitzung auf das „wir“ der feiernden Gemeinde und ihre Gegenwart formuliert ist.

Der Glaube taucht an zwei Stellen des Liedes als handelndes Subjekt auf, ausgerichtet in zwei verschiedene Richtungen: auf den alten und auf den neuen Herrn. Zuerst wie oben gesehen auf den Tod als Begrenzung von dessen Macht und in der letzten Strophe ausgerichtet auf den Stifter des Glaubens, Christus: „Der Glaub will keins andern leben“. Der Glaube ist nicht nur Vollzug des Heilswirkens Gottes am Menschen, sondern er bedeutet auch umgekehrt eine Ausrichtung des Glaubenden auf Christus. Sein Wollen ist nunmehr ganz auf den neuen Herrn gerichtet, der ihn aus der Herrschaft des Todes befreit hat. Diese Bewegung entspricht dem Greifen nach dem Sohn Gottes. So wird deutlich, daß das Greifen nicht allein eine Bewegung der Abwehr der Macht des Todes ist, sondern gleichzeitig die Bewegung auf den Herrn zu, der nun die Herrschaft über den Glaubenden errungen hat. Der Glaube „will“ die Übereignung an den neuen Herrn. Der Mensch in seiner ganzen Existenz will im Glauben diesem angehören; man kann darin ein Abbild der Willenseinheit des Sohnes mit dem Vater sehen. In dem Wollen ist sichtbar, daß es sich bei der Herrschaft Christi um eine – von Christus initiierte – beiderseitige Ausrichtung von Christus und Glaubendem aufeinander hin handelt. Daß der Glaubende Christus als seinen Retter vor dem Tod erkannt hat, ist durch sein „Wollen“ implizit deutlich geworden: Glauben ist nicht nur Ergreifen, sondern auch Erkennen.

Die Passion Jesu im Kirchenlied

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