Читать книгу Contractor Compliance - Christoph LL.M. Frieling - Страница 70
Оглавление2. Teil Der Arbeitgeberbegriff in der deutschen Rechtsordnung › 3. Kapitel Definition des steuerrechtlichen Arbeitgeberbegriffs › I. Einführung
I. Einführung
1
Das Steuerrecht kennt weder eine eigenständige noch eine einheitliche Definition des „Arbeitgebers“. Es besteht auch keine (rechtliche) Bindung an die Definitionen anderer Rechtsgebiete, etwa im Arbeits- oder Sozialrecht (vgl. zur Definition im Arbeitsrecht 2. Teil 1. Kap. Rn. 1 ff. sowie im Sozialrecht 2. Teil 2. Kap. Rn. 1 ff.).
2
Im Steuerrecht muss im Ausgangspunkt streng zwischen den unterschiedlichen Steuerarten differenziert werden, die jeweils eigene Anforderungen kennen. Es besteht allerdings im Ergebnis weitgehend Deckungsgleichheit. Eine teils unterschiedliche Verwendung von Begriffen – etwa im Einkommensteuerrecht einerseits und dem Umsatzsteuerrecht andererseits – macht es dem Rechtsanwender aus Laiensicht nicht einfach, die Begriffe jeweils mit dem auch nach Auffassung der Finanzverwaltung zutreffenden Inhalt zu füllen.
3
Einigkeit besteht jedenfalls darin, dass die Frage der Selbstständigkeit natürlicher Personen für die Einkommen-, die Gewerbe- und die Umsatzsteuer im Allgemeinen nach denselben Grundsätzen zu behandeln ist.[1] Bei zutreffender rechtlicher Würdigung muss dies ertrag- wie umsatzsteuerlich zu gleichen Ergebnissen führen.[2] Dabei steht steuerrechtlich häufig die Abgrenzung zwischen der Selbstständigkeit i.S.d. § 18 EStG in Abgrenzung zur – Gewerbesteuer auslösenden – gewerblichen Tätigkeit nach § 15 EStG im Vordergrund, seltener die Abgrenzung zur nichtselbstständigen Tätigkeit (etwa als Arbeitnehmer) i.S.d. § 19 EStG.
4
Der hier kapitelübergreifend behandelte Begriff der „Scheinselbstständigkeit“ prägt dagegen in erster Linie das Arbeits- und Sozialversicherungsrecht. Steuerrechtlich hat es allerdings ebenso gravierende Auswirkungen, wenn – wie auch hier meist: unbewusst – der angestrebte Rechtsrahmen im Spannungsfeld zwischen Anstellungs- und freiem Beschäftigungsverhältnis verfehlt wird, auch wenn diesbezüglich terminologisch nicht durchgängig von einer „Scheinselbstständigkeit“ die Rede ist.
5
Innerhalb des Einkommensteuerrechts ist der Begriff der Selbstständigkeit übereinstimmend in den §§ 15, 13, 18 EStG sowie § 19 EStG auszulegen. Nach § 19 Abs. 1 S. 1 EStG erzielt Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit, wer als Arbeitnehmer tätig ist. Damit schließen sich mit Blick auf eine konkrete, abgrenzbare Tätigkeit diese Arbeitnehmereigenschaft einerseits und eine Selbstständigkeit bzw. Unternehmereigenschaft nach §§ 15, 18 EStG wechselseitig aus.
6
Von besonderer Bedeutung im Rahmen des Einkommensteuerrechts sind die Vorschriften der § 38 ff. EStG. Danach ist zu ermitteln, wer lohnsteuerrechtlich als Arbeitgeber i.S.d. § 38 Abs. 1 S. 2 EStG gilt. Der jeweilige Arbeitgeber ist vor allem verpflichtet, die Lohnsteuer – die keine besondere Steuerart, sondern lediglich Vorauszahlung auf die nach Ablauf des Kalenderjahres entstehende Einkommensteuer ist – einzubehalten und an das Finanzamt abzuführen. Die Ermittlung im Einzelfall ist nicht immer einfach, insbesondere in Dreiecksverhältnissen, etwa in Fällen der Arbeitnehmerüberlassung. Im Rahmen des Lohnsteuerabzugsverfahrens bedient sich der Fiskus eines Dritten – nämlich des Arbeitgebers –, um die Steuer unmittelbar an der Quelle zu erheben, indem der Arbeitgeber bei jeder Arbeitslohnzahlung die Steuer einzubehalten und an das Finanzamt abzuführen hat. Bei Verstoß gegen diese Verpflichtung kann der Arbeitgeber unter den Voraussetzungen des § 42d EStG in Haftung genommen werden.[3]
7
Zentraler Begriff im Umsatzsteuerrecht ist dagegen nicht der „Arbeitgeber“, sondern der „Unternehmer“, § 2 Abs. 1 UStG. Eine Bindung an die ertragsteuerliche Beurteilung besteht für das Umsatzsteuerrecht dabei ausdrücklich nicht.[4]
8
Wesentlicher noch als unterschiedliche Begrifflichkeiten im Steuerrecht selbst ist allerdings, dass je nach Rechtsgebiet die unterschiedlichen Herangehensweisen nicht zu einheitlichen Ergebnissen führen. Dies soll folgendes Beispiel veranschaulichen:
9
Der BFH hatte mit Urteil v. 17.2.1995[5] entschieden, dass eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) im lohnsteuerlichen Sinne Arbeitgeber sein könne, unabhängig davon, ob zivilrechtlich die GbR als Vertragspartner der Arbeitnehmer in Betracht komme. Zwar hat der BGH heute die Teilrechtsfähigkeit der GbR anerkannt,[6] geht also inzwischen nicht mehr – wie noch im Jahre 1995 – davon aus, dass sie zivilrechtlich gar keine eigene Rechtspersönlichkeit habe. Dennoch mag dieses Beispiel im Zusammenhang mit dem Thema Compliance die grundsätzlichen Schwierigkeiten verdeutlichen, die sich auch heute noch daraus ergeben, wenn im außersteuerlichen Bereich eine Arbeitgebereigenschaft bejaht, im Steuerrecht dagegen verneint wird. Nach dieser Entscheidung des BFH war Schuldner der Lohnsteuer die GbR und nicht die einzelnen Gesellschafter. Nach der arbeitsgerichtlichen Definition waren (damals) demgegenüber Arbeitgeber die Gesellschafter, weil die GbR nicht Vertragspartner eines Arbeitsvertrages sein könne. Hiervon abweichend sah das BSG unter Hinweis auf eine im Arbeitsrecht früher herrschende Meinung nach Sozialrecht wiederum die GbR als Arbeitgeberin an.[7]
10
Es kann also steuerrechtlich ein Dienstverhältnis vorliegen, nach dem Arbeits- und Sozialversicherungsrecht dagegen nicht. Zwar hat es indizielle Bedeutung auch für das Steuerrecht, wenn Arbeits- bzw. Sozialversicherungsrecht ein unselbstständiges Beschäftigungsverhältnis annehmen, diese Einordnung hat jedoch keine Bindungswirkung für die steuerrechtliche Einschätzung, weil dem Steuerrecht der Gedanke der sozialen Schutzbedürftigkeit fremd sei.[8]
11
Aus diesem Grunde hält die steuerrechtliche Rechtsprechung weiterhin daran fest, dass im (Einkommen-)Steuerrecht der Arbeitgeberbegriff nicht durch Rückgriff auf Arbeits- oder Sozialrecht als definiert anzusehen sei, weil das Steuerrecht einerseits und das Arbeits- bzw. Sozialrecht andererseits unterschiedlichen Zwecken folgten.[9] Das führt unter Compliance-Gesichtspunkten vor Augen, dass im Steuerrecht Definition und Aufgaben des Arbeitgebers in jedem Fall gesondert beachtet werden müssen.
12
Die Abweichungen gehen so weit, dass etwa der gesetzliche Vertreter juristischer Personen steuerrechtlich Arbeitnehmer ist, nach der im Arbeitsrecht überwiegenden Ansicht dagegen nicht. Auch geht u.U. der steuerrechtliche Arbeitslohnbegriff ebenfalls weiter als etwa derjenige des Arbeitsrechts.[10]
13
Die Einführung zeigt, dass unter Compliance-Gesichtspunkten der Erfassung der steuerrechtlichen Arbeitgebereigenschaft besondere Bedeutung zukommen muss, insbesondere weil ein Fehlverständnis – und damit ein (steuerliches) Fehlverhalten über viele Jahre – nach Aufdeckung durch die Finanzverwaltung zu erheblichen Steuer- und Zins(nach)zahlungen führen kann. Darüber hinaus haftet der Auftraggeber (als Arbeitgeber) für Steuernachforderungen als Haftungsschuldner (vgl. dazu 4. Teil 3. Kap. Rn. 2 ff., 18 ff.).