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Am nächsten Morgen stand Lily nackt vor der Spiegeltür des Kleiderschranks und musterte ihre Figur. Je länger sie schaute, desto mürrischer wurde sie. Wer hatte bloß so große Spiegel erfunden? Sie hätte wetten mögen, dass es ein Mann mit einer sadistischen Ader war.

Okay, damit tat sie vielleicht jemandem Unrecht. Vielleicht war er ja ein ganz netter Kerl — einer, der vollkommen vernarrt war in seine elfenhafte Frau, und er hatte das Ding erfunden, damit sie ihren gertenschlanken, sicherlich knabenhaften Körper nach Herzenslust von Kopf bis Fuß betrachten konnte. Abgesehen davon war es ja auch nicht so, dass das Bild, das Lily entgegenblickte, so schlimm war. Wenn sie allein ihre Maßstäbe anlegte, dann würde sie vermutlich sogar sagen: Nicht toll. Könnte durchaus einige Verbesserungen vertragen. Aber insgesamt gesehen nicht schlecht für eine Fünfunddreißigjährige, die leidenschaftlich gerne isst.

Nur leider war ihr Blick beeinflusst von der Erinnerung an Zach Taylors kalte graue Augen, die über ihren Körper gewandert waren, und zu wissen, dass er sicherlich niemals gegen Orangenhaut kämpfen musste, war auch nicht gerade erhebend. Sie zog ihren Bauch ein, reckte sich, so weit es ging, in die Höhe und drehte sich vor dem Spiegel hin und her. Ihr Spiegelbild gewann dadurch allerdings kaum. Sie war einfach so furchtbar ... rundlich.

Sie stieß die Luft wieder aus und musterte die verschiedenen Teile, die das Ganze ausmachten. Einige konnte man durchaus lassen. Sie mochte ihre Schultern, und auch ihre Arme waren gut geformt. Sie hatte schöne Haut, und ihre Brüste waren okay. Wenn sie ein Wörtchen hätte mitreden dürfen, hätte sie kleinere gewählt, aber so groß, dass die Leute gafften, waren sie glücklicherweise auch nicht. Und sie waren noch immer dort, wo sie sein sollten — das musste man ihnen lassen.

Das waren also die Pluspunkte, der Rest war ein bisschen heikler. Sie hatte eine kurze Taille, und ihre Hüften und ihren Hintern konnte sie nur als Strafe des Schicksals bezeichnen. Sie wollte lieber gar nicht erst darüber nachdenken, mit diesen überflüssigen Zentimetern würde sie sich niemals abfinden. Und da sie nur einen Meter sechzig groß war (nun ja, um genau zu sein, ein Meter achtundfünfzigeinhalb), wuchsen ihre Beine auch nicht gerade in den Himmel. Glücklicherweise hatte sie wenigstens schöne gerade Schultern, sonst hätte sie wie eines dieser Stehauf-Männchen ausgesehen, die, egal, wie oft man sie umwarf, immer wieder in die Höhe schnellten.

Aber Gott sei Dank gab es ja die Segnungen der Kosmetik und all die anderen Dinge, die das Leben einer Frau leichter machten. Was soll’s?, dachte sie, als sie nach einem ihrer Lieblingswäschestücke griff, jeder sieht angezogen besser aus. Sie schlüpfte in den winzigen eisblauen Slip, hüllte ihre Brüste in den passenden Spitzen-BH und rückte die Träger zurecht. Dann zog sie ihre frisch gebügelten Designer-Jeans an und stieg in ein Paar rote Riemchensandalen, die sie zehn Zentimeter größer machten, und streifte einen farblich passenden, ärmellosen Pulli mit V-Ausschnitt über. Als krönenden Abschluss legte sie einen goldenen Kettengürtel um und rückte ihn auf dem seidigen Jersey-Stoff zurecht, bis er locker zwischen Taille und Hüfte saß. Sie trat einen Schritt zurück und nickte zufrieden. Ein Hauch Gold verlieh jedem Outfit das gewisse Etwas, und mit Hilfe des Gürtels konnte sie ihre Kurven betonen und gleichzeitig ihre Figur modisch strecken.

Sie tänzelte ins Bad und schaltete ihre elektrischen Lockenwickler ein. Während sie darauf wartete, dass sie heiß wurden, trug sie flüssiges Make-up auf, puderte ihre T-Zone, pinselte einen Hauch Rouge auf ihre Wangenknochen, und danach schminkte sie ihre Augen sorgfältig mit Farben, die ihr ein natürliches Aussehen verliehen.

Gerade als sie Wimpernzange und Mascara zurück in das Badezimmerschränkchen legte, leuchtete das Lämpchen auf, das anzeigte, dass die Lockenwickler heiß genug waren. Sie wickelte ihre Haare auf, putzte sich die Zähne, legte einen hübschen rosa Lippenstift auf und nahm die Lockenwickler wieder heraus. Einen Augenblick ließ sie die Haare auskühlen, dann bürstete sie sie durch, warf die Bürste in das Schränkchen, beugte sich nach vorne und fuhr sich mit beiden Händen durch die Locken. Wieder aufgerichtet, zupfte sie ihre Frisur hier und da noch ein wenig zurecht und ging zurück ins Zimmer, um sich erneut vor dem Spiegel zu mustern. »Schon viel besser«, murmelte sie. »Auf einem Nacktfoto sieht auch jeder erst nach einer gehörigen Retusche wirklich gut aus, da bin ich mir sicher.«

Trotzdem ging ihr auf dem Weg in die Küche durch den Kopf, dass es nicht schaden könnte, wieder einmal eine kleine Diät einzulegen. Vielleicht sollte sie sich mit einem Stück Obst zum Frühstück begnügen.

Es war ein guter Vorsatz — der sich allerdings sofort in Luft auflöste, als sie die Kühlschranktür öffnete und ihr Blick auf einen Karton mit Eiern fiel. Sie nahm eine Orange heraus, aber gleichzeitig ließ sie zwei Eier mitgehen, einen großen Egerling, eine Frühlingszwiebel und eine Tomatenhälfte und legte alles auf die Arbeitsplatte neben dem Herd. Dann erinnerte sie sich an den verlockend aussehenden geräucherten Gouda im Käsefach, nahm auch den heraus und schnitt eine Ecke ab. Sie träufelte etwas Olivenöl in eine Bratpfanne, stellte sie auf den Herd und zündete das Gas an. Als die blauen Flammen am Rand der Pfanne hochleckten, schlug sie die Eier in eine Schüssel, die sie aus dem Schrank geholt hatte. Sie gab ein wenig Milch und Salz und Pfeffer dazu und rührte die Mischung mit einem Schneebesen schaumig, dann stellte sie sie beiseite, um schnell die anderen Zutaten zu schneiden.

Sie liebte gutes Essen, und zwar alles daran — den Geruch, den Geschmack, die Konsistenz. Diese Leidenschaft für Essbares und alle Arten seiner Zubereitung hatte sie dazu veranlasst, gleich nach der High School eine Kochschule zu besuchen und danach eine Reihe von Praktika und Lehrgängen bei den berühmtesten Köchen Kaliforniens zu absolvieren.

Während sie die Eiermischung in die heiße Pfanne gab und das Gemüse und den klein gewürfelten Käse gleichmäßig darauf verteilte, summte sie vor sich hin. In der Zeit, bis das Omelett so weit gestockt war, dass sie es zusammenklappen konnte, deckte sie den Tisch mit einem hübschen Teller, einer Stoffserviette und silbernem Besteck. Dann machte sie sich noch rasch eine Tasse Tee, schnitt zwei dünne Schnitze der Orange zurecht und dekorierte damit den Teller. An die Spüle gelehnt, aß sie den Rest der Orange.

Wenig später ließ sie das Omelett auf ihren Teller gleiten und setzte sich damit an den Tisch. Einen Moment lang sog sie genießerisch den Duft ein und bewunderte den appetitlichen Anblick des von Orangenschnitzen umrahmten Omeletts auf dem blauen Teller. Dann nahm sie mit ihrer Gabel einen Bissen davon und steckte ihn in den Mund. Sie schloss die Augen. Ah, das war köstlich. Wie sehr liebte sie doch gutes Essen. Noch war der Tag nicht gekommen, an dem sie eine leckere Mahlzeit nicht mehr zu schätzen wusste. Gut, manchmal, wenn sie schlechter Laune war, verging ihr zwar kurz der Appetit, aber zu ihrem Glück — oder auch Unglück, bedachte man, dass alles, was sie sich zwischen die Zähne steckte, ohne Umweg auf ihren Hüften landete — war sie von Natur aus ein hoffnungsfroher Mensch.

Dieses hoffnungsfrohe Naturell bekam einen schweren Dämpfer verpasst, als sie während des Essens ein Kribbeln in ihrem Nacken aufblicken ließ und sie Zach in der Tür herumlungern sah.

Er hatte sich mit einer seiner breiten Schultern lässig gegen den Türrahmen gelehnt und betrachtete sie mit einem äußerst seltsamen Gesichtsausdruck. Aber schon im nächsten Moment war der rätselhafte Ausdruck aus seinem Gesicht verschwunden, und er löste sich vom Türrahmen und schlenderte in die Küche. Er blieb neben dem Tisch stehen und bedachte sie mit einem missmutigen Blick. »Sind Sie immer noch da?«

Lily ließ ihre Gabel sinken. »Ja«, sagte sie, »und damit wir nicht immer wieder dasselbe Gespräch führen müssen, werde ich versuchen, das Ganze in so schlichte Worte zu fassen, dass selbst Sie es verstehen. Ich. Werde. Nicht. Gehen. Und schon gar nicht, weil Sie von der lächerlichen Idee besessen sind, dass ich Glynnis um ihr Erbe bringen will. Ihre Schwester war so freundlich, mir ein Zimmer anzubieten, als ich auf der Straße stand, nachdem meine Wohnung den Besitzer gewechselt hatte, und solange sie mich nicht bittet zu gehen, werde ich hier auch nicht das Feld räumen.« Zumindest nicht bis zur letzten Maiwoche, wenn sie wieder ihre Stelle als Köchin auf einer Firmenjacht antreten würde — allerdings empfand Lily nicht das geringste Bedürfnis, Glynnis’ Bruder davon in Kenntnis zu setzen.

Sie sah ihn an. Warum musste ein solcher Idiot bloß so attraktiv sein? Er hatte, seinem frischen Aussehen nach zu urteilen, gerade geduscht, seine Haare waren noch feucht und seine Wangen glatt und glänzend von der Rasur. Er sah ganz einfach umwerfend aus. Es war doch mal wieder typisch, dass der erste Mann seit langem, der ihre Hormonproduktion wieder ankurbelte, sich als komplette Flasche erwies! Das Leben war einfach ungerecht.

Und wie um diese Feststellung zu bestätigen, fragte er sie mit seinem weichen Bariton: »Hat meine Schwester eigentlich erwähnt, dass das Haus auf meinen Namen läuft und nicht auf ihren?«

Zach sah zu, wie Lily seine Worte verdaute. Einen Moment lang schien sie wie vor den Kopf geschlagen, aber sie fasste sich schnell, das musste man ihr lassen. Sie reckte ihr fein geschnittenes Kinn in die Höhe und warf ihm einen kühlen Blick zu.

»Ich nehme an, Sie wollen damit die Gültigkeit meines Vertrages mit Glynnis in Frage stellen?«

»Kann sein.« Er verschränkte die Arme vor der Brust und starrte auf sie hinunter. Aber was er da sah, war viel zu hübsch, daher richtete er seine Aufmerksamkeit auf den Teller, der vor ihr stand und auf dem das appetitlichste Omelett lag, das ihm je unter die Augen gekommen war. Es war dessen verführerischer Geruch gewesen, der ihn überhaupt erst in die Küche gelockt hatte, und jetzt, da er es in seiner goldbraunen Vollkommenheit vor sich liegen sah, lief ihm das Wasser im Mund zusammen. Sein Magen knurrte.

»Dann werden wir uns wohl vor Gericht wieder sehen«, sagte Lily und lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf sie. Mit flammend roten Wangen und blitzenden Augen von einem so strahlenden Blau, dass er vermutete, sie trage farbige Kontaktlinsen, schob sie ihren Stuhl vom Tisch zurück und erhob sich. Sie trug ihren Teller zur Spüle und kratzte die Reste ihres Essens in den Müll. Dann warf sie ihm über die Schulter einen langen, ruhigen Blick zu. »Weil ich nämlich nicht ausziehen werde.«

Einen Moment lang war Zach das vollkommen egal. Er sah das perfekte Omelett im Mülleimer verschwinden und hätte beinahe laut aufgeheult. Nur weil sie es nicht aufessen wollte, hieß das doch nicht, dass man es wegwerfen musste! Er hätte sich seiner schon angenommen. Er konnte sich nicht erinnern, wann er zuletzt eine anständige Mahlzeit bekommen hatte; während der letzten vierundzwanzig Stunden sicher nicht. Hunger, Schlafmangel und die Sorge um seine Schwester hatten an seinen Nerven gezerrt, sodass er sich jetzt drohend vor ihr aufbaute. »Wo ist Glynnis?«, fauchte er, wohl wissend, dass sein Zorn zu nichts führte.

Lily erwiderte nichts, aber etwas in ihren Augen bestätigte Zach, dass sie die Antwort wusste, und entgegen seiner sonstigen Art verlor er für einen Moment die Beherrschung, packte Lily an den Oberarmen und schüttelte sie. Er senkte den Kopf und brüllte sie an: »Wo, zum Teufel, ist sie?«

Zuerst spürte er die Wärme und Weichheit ihrer Haut. Dann sah er, wie ihre kristallblauen Augen sich weiteten, und die Angst, die in ihnen stand, traf ihn bis ins Mark. Fluchend ließ er sie los, trat einen Schritt zurück und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. »Ich möchte einfach nur wissen, wo meine Schwester ist.« Als er den entschuldigenden Ton in seiner Stimme hörte, knurrte er gleich wieder: »Offensichtlich hat es Ihnen nicht genügt, es sich hier bequem zu machen.«

»Was soll das denn heißen? Meinen Sie vielleicht, dass ich ihr etwas angetan habe? Mein Gott, sie ist verreist!« Lily verschränkte die Arme vor der Brust und rieb ihre Oberarme. »Vielleicht sollten Sie mal etwas wegen Ihrer Paranoia unternehmen und zum Seelenklempner gehen.«

Er schob das Schuldgefühl beiseite, das ihn überkam, als er sah, wie sie über die Arme rieb, als suche sie nach Verletzungen, und drang weiter auf sie ein. »Verreist? Wohin? Und mit wem?«

»In den Norden«, gab sie kühl zurück. »Mit einem Freund.« Mit in die Höhe gerecktem Kinn sah sie ihn aufmüpfig an. Aber sie konnte seinem Blick nicht standhalten.

Das sagte ihm mehr als alle Worte — dieser »Freund« war jemand, der ihm nicht gefallen hätte. »Oh, Scheiße! Sie ist schon wieder mal mit einem Hochstapler unterwegs, oder?«

»Womit Sie wohl andeuten wollen, dass ich auch einer bin. Oder etwa nicht?«

»Tja, Süße, wem der Schuh passt ...« Trotz ihres blonden Wuschelkopfes und dieses süßen Schmollmunds war es ganz sicher nicht ihre übliche Masche, die Unschuld zu spielen. Die kleine Miss Lily versuchte sich vermutlich öfter an der schwanztragenden Bevölkerung.

»O Gott!« Sie schüttelte angewidert den Kopf und bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick. »Sie sind wirklich schwer von Begriff.«

»Na, dann geben Sie sich doch mal ein bisschen mehr Mühe. Warum setzen wir zwei uns nicht hin und machen es uns gemütlich. Dann können Sie mir erzählen, wohin genau Glynnis gefahren ist — und wer ihr verdammter Reisebegleiter ist.«

»Ganz wie Sie wünschen«, sagte sie mit kühler Stimme. »Und kann ich sonst noch etwas für Sie tun, wo wir schon mal dabei sind?«

»Zu einem dieser Omeletts würde ich nicht Nein sagen.«

»Selbstverständlich — aber bevor ich mich an die Arbeit mache, noch eines.« Sie streckte ihm ihren Hintern entgegen, klatschte sich auf eine der hübschen runden Backen und bedachte ihn mit einem liebreizenden Lächeln. »Sie können mich mal hier lecken.«

Er musterte das betreffende Körperteil eingehend und hob dann langsam den Blick. »Auch dazu würde ich nicht Nein sagen.«

Sie gab ein wütendes Schnauben von sich, machte auf dem Absatz kehrt und stolzierte aus dem Raum — diesen Eindruck erweckten zumindest ihre steifen, sanft gebräunten Schultern, als sie die Küche verließ. Richtiges Stolzieren musste auf so hohen Absätzen ganz schön schwer sein.

Er beobachtete das rhythmische Wippen ihrer Hüften, als sie davonstöckelte. Wie kann ein so netter Mensch wie Glynnis einen solchen Widerling zum Bruder haben? Ihre gestrigen Worte kamen ihm wieder in den Sinn, und sein Blick verfinsterte sich. Was war nur an ihr, das jegliche Zurückhaltung, die ihn normalerweise seine Zunge im Zaum halten ließ, zunichte machte? Zwei lausige Minuten in ihrer Gegenwart, und all die Manieren, die ihm über Jahre hinweg eingehämmert worden waren, waren dahin.

So mit Frauen zu sprechen hatte man ihm gewiss nicht beigebracht. Seine Großmutter würde sich im Grabe umdrehen — sie hatte sehr genaue Vorstellungen gehabt, wie ein Gentleman mit Frauen umzugehen hatte, und sie hätte ihm was erzählt, wenn sie mitbekommen hätte, wie wenig Respekt er Lily erwies.

Diese Frau ging einem aber auch ziemlich an die Nerven! Wie sie zum Beispiel gerade genug Parfüm auftrug, um den Wunsch in ihm zu wecken, ihr so nahe zu sein, dass er mehr davon riechen konnte. Oder wie sie es anstellte, dass sie so aussah, als sei sie gerade nach einem wirklich heißen Tête-à-tête aus dem Bett gekrochen. Ganz zu schweigen von der Art, wie sie ging, mit diesem Hüftschwung und den kleinen Trippelschritten. Mann, sie aß sogar verführerisch. Bei dem Anblick, wie sie einen Bissen Omelett in ihren Mund steckte, wäre er beinahe in die Knie gegangen. Er kannte Frauen, die während eines Orgasmus nicht halb so ekstatisch aussahen.

Er schüttelte den Kopf und versuchte, das Bild aus seinem Kopf zu verscheuchen. Er verstand das alles nicht. Was hatte sie nur an sich, das ihn so anzog? Lily war nicht unbedingt die schönste Frau, der er je begegnet war. Wenn man es genau nahm, nicht einmal die mit dem meisten Sex-Appeal. Aber er musste nur im selben Raum wie sie sein, und schon konnte er kaum seinen Blick von ihr abwenden, und das, ohne dass sie irgendwas Besonderes tat.

Und du glaubst wirklich, dass das Zufall ist, Schlaukopf?

Zach fluchte. Verdammt. War der Blick eines Mannes erst mal an einem verwuschelten blonden Haarschopf und den Kurven eines solchen Luders hängen geblieben, dann übernahm todsicher ein anderes Körperteil als sein Hirn das Denken. Aber auch wenn Lily Morrisette die erotischste Frau war, die ihm jemals unter die Augen gekommen war, hatte sie doch eine Art, ihm gegenüberzutreten, keinen Zoll nachzugeben, die fast etwas Männliches hatte. Sie wusste offensichtlich ganz genau, was sie tat.

Er glaubte nicht, dass er irgendwelche voreiligen Schlüsse zog, wenn er ihre Motive anzweifelte. Es wäre schließlich nicht das erste Mal, dass Glynnis dem Falschen vertraute. Sie war in ihrem Leben schon an eine ganze Reihe echter Loser geraten, und mehr als ein Kerl hatte geglaubt, er hätte ausgesorgt, wenn er sie rumkriegte. Gut, nicht alle waren auf ihr Geld aus gewesen, daher misstraute er keineswegs von vornherein jedem Menschen, mit dem sie in Kontakt kam. Das musste er seiner Schwester zugestehen, sie hatte es geschafft, ein paar echte Freunde zu gewinnen. Allerdings waren alle ihre Freundinnen, die er bislang kennen gelernt hatte, in demselben Alter wie sie gewesen — junge Frauen Anfang zwanzig, die entweder zu kichern oder unverblümt zu flirten anfingen, wenn er versuchte, so etwas wie ein intelligentes Gespräch mit ihnen zu führen.

Sie hatten jedenfalls nichts mit Lily gemein. Ihnen fehlte zum Beispiel ihre Ausstrahlung, die daher rührte, dass sie das Spiel kannte. Es bedurfte langer Jahre und viel Erfahrung, diese Art von Weltläufigkeit zu erwerben. Auch wenn es nicht unbedingt zu seinen Stärken gehörte, das Alter von jemandem zu schätzen, ginge er jede Wette ein, dass Lily um einiges älter war als seine Schwester — eher Mitte dreißig wie er als Mitte zwanzig wie Glynnis.

Und unter solchen Umständen musste man sich doch fragen: Was wollte eine so selbstsichere Frau wie Lily von einem naiven Mädchen, das neun oder zehn Jahre jünger war, wenn nicht ihr Geld?

Jedenfalls musste er unbedingt der Frage nachgehen, woher sie sich kannten.

Lily lief aufgebracht in ihrem Zimmer auf und ab. Wie hatte sie nur immer davon träumen können, einen älteren Bruder zu haben! Wenn Mr. Ich-habe-das-Kommando-überalles-um-mich-herum als Beispiel gelten konnte, dann konnte sie sich glücklich schätzen, Einzelkind zu sein.

Es kostete sie einige Mühe, nicht vor Wut mit den Zähnen zu knirschen. Nein, also wirklich! Am gestrigen Abend hatte sie seine Unhöflichkeit damit entschuldigt, dass er offensichtlich müde war und deswegen nicht klar denken konnte, aber wie konnte er es wagen, so mir nichts, dir nichts anzunehmen, sie sei nicht integer? Ja, sie war eine vollbusige Blondine mit blauen Augen, die sich gerne schminkte und Schmuck liebte; und nur wenige Männer hatten sich bisher die Mühe gemacht, hinter diese äußere Fassade zu blicken. Aber es bestand doch ein gewaltiger Unterschied zwischen dem Umstand, für ein dummes Blondchen gehalten zu werden, und Zachs ekelhaften Unterstellungen.

Sie ließ sich auf die Bettkante sinken und konzentrierte sich darauf, ihr inneres Gleichgewicht wieder zu finden und die Situation ganz nüchtern und sachlich zu betrachten. Es dauerte eine gewisse Zeit, aber schließlich kehrte ihr Pulsschlag zu einem normalen Rhythmus zurück.

Dann klopfte es an ihrer Tür. Lily zuckte zusammen und gab zu ihrem Verdruss einen Schrei wie eine verschreckte Eule von sich. Sie sprang vom Bett auf und starrte die geschlossene Tür an, die Hände zu Fäusten geballt. Ihr Herz begann wieder zu rasen, und alle guten Vorsätze waren vergessen. »Hauen Sie ab!«

»Machen Sie die Tür auf, Lily Ich möchte mit Ihnen reden.«

»Na, wenn das so ist«, zischte sie. »Ich eile, ich fliege, großer Meister.«

»Ich habe genau gehört, was Sie gesagt haben.« Er besaß auch noch die Unverschämtheit, amüsiert zu klingen. Aber seine gute Laune hielt offensichtlich nicht lange an. Denn jetzt hämmerte er gegen die Tür. »Machen Sie endlich die verdammte Tür auf!«

Mit ein paar wütenden Schritten hatte sie das Zimmer durchquert, riss die Tür auf und starrte verärgert in sein gebräuntes Gesicht. »Sind Sie eigentlich auch imstande, einen einzigen winzigen Satz von sich zu geben, ohne dabei zu fluchen?«

Er blinzelte und sah zu ihrer Überraschung etwas betreten aus. »Tut mir Leid«, brummte er mit seiner tiefen Stimme. »Ich bin schon so lange Soldat, dass ich vergessen habe, dass man sich in der zivilen Welt ein wenig gesitteter verhält. Aber ich will mich bessern.« Dann schien er sich plötzlich daran zu erinnern, dass er ja eigentlich mit seinem Feind sprach. Er trat ins Zimmer und zwang sie, zurückzuweichen. Im nächsten Moment hatte sie sich jedoch wieder gefangen und gab keinen Zentimeter mehr preis. »Aber deswegen bin ich nicht hier«, sagte er. »Ich will wissen, wie Sie meine Schwester kennen gelernt haben.«

Und schon war er wieder da, dieser herrische Befehlston, der verlangte, dass man ihm Rede und Antwort stand, und zwar zack-zack. Lily hätte ihm beinahe geantwortet, er könne sie mal. Dann fiel ihr allerdings ein, dass sie das bereits gesagt hatte, und eine heiße Röte überzog ihr Gesicht, als sie an seine Reaktion dachte. Vermutlich war es besser, ihm ein für alle Mal den Wind aus den Segeln zu nehmen. Daher atmete sie ein Mal tief durch und antwortete wahrheitsgemäß: »Wir haben uns in einem Yoga-Kurs kennen gelernt.«

»Wo?«

»Bei Headlands, drüben am Harbor Drive in Dana Point.«

»Und wer war zuerst in dem Kurs?« Er ließ die Fragen auf sie niederprasseln, als sei er der Vorgesetzte und sie ein kleiner Rekrut. »Sie oder Glynnis?«

»Glynnis«, presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Er bedachte sie mit einem Blick, als hätte sie soeben seine schlimmsten Vermutungen bestätigt. »Aha.«

»Was soll das heißen, ›aha‹?« Als müsste man Hellseher sein, um zu wissen, worauf er abzielte. Sie straffte die Schultern. »Ich wohnte zu dieser Zeit noch um die Ecke, zwischen San Juan Capistrano und Dana Point. Glynnis ist diejenige, die den längeren Weg auf sich nahm, um den Kurs zu besuchen. Kennt Ihre Paranoia denn gar keine Grenzen?«

»Lassen Sie mich mal sehen, ob ich das alles richtig verstanden habe«, sagte er und blickte auf sie hinunter. »Eine Mittdreißigerin, die offensichtlich über kein Einkommen verfügt, besucht ganz zufällig denselben Yoga-Kurs wie meine reiche vierundzwanzigjährige Schwester — und ehe man sich’s versieht, zieht sie bei ihr ein.« Er zog seine Augenbrauen hoch. »Sie haben Recht, ich muss vollkommen paranoid sein. Ihr beide habt ja sonst so viel gemeinsam, nicht wahr?«

»Ich habe Ihnen gesagt, dass ich Miete zahle! Ihre ›reiche Schwester‹ ist die halbe Zeit über pleite, und deshalb haben wir von diesem Arrangement beide was, bis ich eine neue Wohnung gefunden habe! Abgesehen davon kennen Sie mich überhaupt nicht! Wie kommen Sie auf die Idee, dass ich kein Einkommen habe?«

»Stimmt, das muss sich noch zeigen. Aber heute ist ein ganz normaler Werktag, Schätzchen, und soweit ich sehe, haben Sie sich darauf eingestellt, den ganzen Tag zu Hause herumzulümmeln.« Seine kalten grauen Augen wanderten schnell an ihr auf und ab, bevor er ihr wieder ins Gesicht sah. »Aber wenn Sie tatsächlich Glynnis’ Treuhandvermögen aufstocken, können Sie das doch ganz einfach beweisen, oder? Zeigen Sie mir einfach einen Kontoauszug mit der Mietüberweisung.«

Verdammter Mist, das geht nicht. »Ich habe in letzter Zeit keine Auszüge bei der Bank geholt.«

»Na, das hätte ich mir doch gleich denken können.«

Das erste Mal in ihrem Leben war Lily nahe dran, jemanden zu schlagen. Sie trat einen Schritt auf ihn zu. »Ich habe jetzt endgültig genug von Ihrem Gerede. Ich will, dass Sie augenblicklich aus meinem Zimmer verschwinden.«

Er sah auf sie hinunter und machte keine Anstalten zu gehen, bis sie ihm einen Schubs gegen die Brust gab. Daraufhin bequemte er sich dazu, langsam einen Schritt rückwärts zu machen, blieb dann aber wieder stehen, bis sie ihn erneut schubste. Er trat in den Flur.

Lily starrte zu ihm hinauf. »Sie wollen wissen, was Glynnis und ich gemeinsam haben, Sie Möchtegerngeneral?«

Er zog eine Augenbraue hoch.

»Wir fragen uns beide, wie es kommt, dass manche Männer solche Idioten sind«, sagte sie und zählte die Klagen all ihrer Bekannten auf, die schon eine Weile auf der Suche nach dem richtigen Mann waren. »Entweder wollen sie dich ändern, dich bumsen oder die Kontrolle über dein Leben haben. Na? Erkennen Sie sich in dieser Kurzbeschreibung wieder?« Mit einem lauten Krachen fiel die Tür vor seiner Nase ins Schloss.

Einen Moment lang blieb es auf der anderen Seite still, dann sagte Zach: »Ich will wissen, wo meine Schwester ist.« »Und ich will, dass endlich der Hunger auf der Welt besiegt wird. Es sieht so aus, als würden wir beide enttäuscht werden.«

»Mag ja sein, dass Sie sich damit ein bisschen übernommen haben, aber ich werde meine Antwort kriegen. Sie werden es mir sagen. Wollen wir wetten?«

Darauf kannst du warten, bis du schimmelig wirst, dachte sie und starrte die geschlossene Tür an. Nichts auf der Welt würde sie dazu bringen, diesem Kontrollfreak, der seine Schwester offensichtlich für zu naiv hielt, um eigene Entscheidungen treffen zu können, auf die Nase zu binden, dass Glynnis auf dem Weg zu einer Insel im Staat Washington war, um die Familie ihres Verlobten kennen zu lernen.

Love Collection II

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