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Als Zach aufwachte, schneite es. Fluchend setzte er sich auf und schälte sich aus seinem Schlafsack, der von einer dichten, nassen Schneeschicht bedeckt war. Über dieser verflixten Fahrt lag ein Fluch.

Wenigstens hatte er Voraussicht bewiesen und den Poncho, der zu seiner Ausstattung gehörte, über den Schlafsack gebreitet, bevor er sich gestern Nacht hingelegt hatte. Sich den Geruch eines feuchten Schlafsacks zu ersparen war zwar nur ein schwacher Trost, aber man musste nehmen, was man kriegte.

Nicht dass er gleich eingeschlafen wäre, als er sich hingelegt hatte. Er hatte sich hin und her geworfen, nachdem Lily endlich Ruhe gegeben und das Licht im Jeep ausgemacht hatte. Der kurze Moment, den er sie in den Armen gehalten hatte, war ihm nicht aus dem Kopf gegangen, immer wieder hatte er ihn in Gedanken durchlebt. Seine Haut brannte überall dort, wo sie ihn berührt hatte. Das hatte ihm gerade noch gefehlt.

Kalt, steif und genervt streifte er sich seine Schuhe über, dann breitete er den Poncho mit der nassen Seite nach unten an der Stelle aus, an der er gelegen hatte, um darauf seinen Schlafsack zusammenzurollen. Er klemmte sich das Bündel unter den Arm und ging zum Jeep. Gerade als er die Hand nach dem Griff der Heckklappe ausstreckte, bahnte sich eine Schneeflocke ihren Weg über seinen Nacken, und er zuckte zusammen.

Die Tür war abgeschlossen, und er klopfte seine Hosentaschen nach dem Schlüssel ab, bis ihm einfiel, dass er ihn im Zündschloss stecken gelassen hatte. Er ging um den Jeep herum und versuchte sein Glück an der Fahrertür — Fehlanzeige. Er fluchte und spähte ins Wageninnere, während über den Bäumen langsam die Dämmerung anbrach und den bleigrauen Himmel ein wenig aufhellte. Alle Türen waren fest verschlossen, und Lily lag schlafend auf der Rückbank, von Kopf bis Fuß in die rote Fleece-Decke eingewickelt. Das Einzige, was er von ihr sehen konnte, waren ein paar blonde Haarsträhnen.

Er klopfte an das Fenster und verspürte ein ganz und gar nicht ritterliches Gefühl der Befriedigung, als sie unter ihrer Decke zusammenfuhr. Sie hob den Kopf, dann richtete sie sich langsam auf einem Ellbogen auf und sah sich um, als wüsste sie nicht, wo sie war. Ihre Blicke trafen sich durch das Fenster, und sie blinzelte und lächelte ihn verschlafen an.

Es war ein freundliches, ein süßes Lächeln, und bei diesem Anblick zog sich etwas in seiner Brust zusammen. Allerdings verlangte noch etwas anderes nach seiner Aufmerksamkeit. Kurzerhand ignorierte er beides mit zusammengebissenen Zähnen. »Machen Sie die Tür auf.«

Er konnte genau sehen, wann ihr Kopf so klar wurde, dass sie sich daran erinnerte, dass er kein Freund von ihr war. Sie war gerade dabei, nach der Türverriegelung zu greifen, um seinem Befehl nachzukommen, als sie plötzlich innehielt. Sie ließ ihre Hand wieder sinken und richtete sich mühsam auf, wobei sie die Fleece-Decke eng um sich gewickelt hielt. Was, zum Teufel — war das etwa seine Jacke, die sie da anhatte? »Würden Sie bitte aufmachen?«, knurrte er. »Lassen Sie mich rein.«

»Nein«, sagte sie.

»Verdammt, Lily, öffnen Sie die Tür! Es schneit hier draußen.«

»Das sehe ich. Ist Ihnen vielleicht kalt?«

»Ja!« Tatsächlich, sie hatte seine Jacke an. Der Umstand, dass sie ihr ungefähr zehn Nummern zu groß war, verriet sie.

»Oh, das tut mir aber Leid. Allerdings erinnere ich mich daran, dass es Sie auch nicht gekümmert hat, als mir gestern Nacht kalt war.«

»Hey, habe ich Ihnen etwa nicht angeboten, zu mir in den Schlafsack zu kriechen?« Fehler. Denn zum einen verzog sich ihre Unterlippe geringschätzig, und zum anderen erinnerte sich sein Schwanz plötzlich an den Moment, als er ihr diesen Vorschlag unterbreitet hatte, und die Vorstellung, sie könnte darauf eingehen, hatte ihn in einen halb erigierten Zustand versetzt. Er rüttelte an der Tür. »Lassen Sie mich endlich rein!«

»Zuerst müssen wir einiges besprechen.«

Er sah sie misstrauisch an. »Zum Beispiel?«

»Ich möchte, dass Sie mir ein paar Zugeständnisse machen.«

»Scheiße.« Aber er wusste, dass er ohne vermutlich nicht ins Auto kommen würde — zumindest nicht, wenn er nicht die Tür aufbrechen wollte. Er überlegte, wie weit er gehen würde. »Was wollen Sie?«

»Zunächst einmal möchte ich, dass Sie an einer Raststätte halten, wenn ich aufs Klo muss, ohne dass ich darum betteln muss.«

»Oh.« Im ersten Moment war er überrascht, dann bekam er ein schlechtes Gewissen. Dass er ihr das gestern verweigert hatte, war wirklich gemein von ihm gewesen. »Ja, in Ordnung.«

»Und dass Sie mir versprechen, sich fortan zivilisiert zu benehmen.«

Nun, das war nicht ganz so einfach, besonders in Anbetracht dessen, in welcher Laune er sich in letzter Zeit befand. Aber er nickte. »Können Sie haben.« Er beobachtete durch das Fenster, wie sie ihre Füße neben ihren runden kleinen Hintern auf den Sitz schob, ihre Socken — nein, seine Socken, verdammt — an der Spitze packte und sie auszog, um sie gegen ihre Sandalen zu tauschen. Wie weit war es eigentlich mit ihm gekommen, dass ihn schon die nackten Füße einer Frau nervös machen konnten? Er fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. »Was noch?«

Sie stellte ihre Füße auf den Boden, streckte sich und warf ihm einen strengen Blick zu. »Ich möchte Wasser haben, damit ich mich waschen kann. Heißes Wasser.«

»Ich sorge dafür — sobald ich an meinen Campingkocher komme.«

»Schön.« Sie griff über den Vordersitz, um den Türknopf auf der Fahrertür hochzuziehen, und damit waren alle Türen entriegelt.

Das war leichter gewesen, als er gedacht hatte — und er kam um einiges billiger weg als erwartet. Er ging zur Heckklappe und öffnete sie, als Lily aus dem Jeep stolperte und mit steifen Beinen und einem Haufen Taschentücher in der Hand zu den Bäumen stakste. Der Anblick zauberte ein amüsiertes Lächeln auf Zachs Lippen, und er nahm den Campingkocher, um das Wasser für sie warm zu machen. Verdammt, was war denn das?

Seine gute Laune verflog augenblicklich, als er sah, dass seine Besitztümer über die gesamte Ladefläche verstreut waren, und sie verschlechterte sich noch, als er nach einem trockenen T-Shirt zum Anziehen suchte und entdecken musste, dass seine beiden langärmligen Thermo-Shirts verschwunden waren. Er konnte sich nur schwer beherrschen, als Lily kurz darauf zurückkehrte. »Geben Sie mir meine Shirts.«

»Wie heißt das?« Sie zog fragend eine Augenbraue in die Höhe.

Die Worte, die er sich runterzuschlucken zwang, schmeckten bitter wie Galle. »Bitte.«

Zu seiner Überraschung zog sie seine Jacke augenblicklich aus und legte sie auf die Ladefläche. Dann packte sie sein dunkelrotes Shirt am Saum und zog es sich über den Kopf. Als sie anschließend das hellgraue auszog, schob sich ihr Unterhemd ein Stück nach oben und legte einen Streifen goldbrauner Haut oberhalb ihren Jeansbundes frei.

»Sie bekommen das hier«, sagte sie liebenswürdig und reichte ihm das hellgraue Shirt mit der Waffelpikee-Struktur. »Das passt am besten zu Ihren Augen. Das dunkelrote behalte ich — zumindest, bis mir wieder warm ist.« Sie streifte es sich über den Kopf und krempelte die Ärmel wieder hoch, die ihr sonst bis über die Fingerspitzen hingen.

Ohne ihre üblichen hochhackigen Schuhe reichte sie ihm gerade mal bis an die Brust, und sein Shirt war ihr nicht nur an den Ärmeln zu lang, sondern hing ihr auch bis zu den Knien. »Sie sehen wie ein Kind aus, das sich als Erwachsene verkleidet«, neckte er sie. Aber kein Mensch würde sie jemals mit einem Kind verwechseln. Nicht mit diesen Wahnsinnshüften und der wunderbaren Rundung ihrer Brüste, die sich gegen das Shirt abzeichnete.

Diese körperliche Anziehung gefiel ihm überhaupt nicht. Doch als sie gleich darauf den warmen Waschlappen gegen ihr Gesicht drückte und vor Behagen leise aufstöhnte, musste er unwillkürlich an Sex denken, an puren harten Sex in den verschiedensten Stellungen, von denen ihm jede auf seinem geistigen Bildschirm geiler erschien als die vorherige. Genervt stapfte er davon, blieb in einiger Entfernung von ihr stehen und hielt sein Gesicht in den leise fallenden Schnee.

Scheiße. Unhöflichkeit gegenüber Frauen mochte ja gegen seine Erziehung sein, aber sie war ein verdammt guter Schutz gegen die erotische Ausstrahlung von Lily gewesen. Und dieser Schutz war nun dahin, denn ausgemacht war ausgemacht, und er hielt immer sein Wort.

Ob der neuerdings höfliche Umgang zwischen ihnen etwas Gutes für ihn bedeutete, war äußerst fraglich, und dieser unangenehme Gedanke beschäftigte ihn so sehr, dass er den alten Ford LTD nicht bemerkte, der hinter der Holztafel mit dem Lageplan geparkt war, als sie bald darauf an ihm vorbeifuhren.

Stunden später musste Zach einräumen, dass auch ein Mann sich manchmal irrte. Seine Zähne taten ihm bereits weh vom vielen Zusammenbeißen, während er durch das ausgedehnte Weideland von Südoregon fuhr. Verdammt, habe ich das vielleicht verdient? Da hielt man sein Wort, und wohin brachte einen das? Knietief in sexuelle Frustration.

Genau das hatte er befürchtet, und Lily bei ihren kleinen weiblichen Ritualen zu beobachten, das hatte die Sache gewiss nicht besser gemacht. Auf dem Zeltplatz hatte sie sich seinem Wunsch, schnell aufzubrechen, gebeugt und sich nur das Gesicht gewaschen und die Zähne geputzt, um dann wortlos wieder Ordnung in das Durcheinander in seiner Tasche zu bringen. Aber sobald sie unterwegs waren, hatte sie ihren Kosmetikkoffer auf den Schoß genommen und ihr weibliches Ritual begonnen.

Sie hatte Lotionen und Wässerchen und Kriegsbemalung aufgetragen, und zwar mit einer Könnerschaft und dem für Frauen typischen Vergnügen an solchen Dingen, die man nicht anders als erotisch nennen konnte. Aus dem Augenwinkel hatte er gesehen, wie ihr Mund sich ein wenig öffnete, als sie sich zum Spiegel vorbeugte, um ihre Wimpern zu tuschen, beobachtet, wie sich ihre Lippen verzogen, als sie Lippenstift auftrug. Sie hatte sich die Haare gekämmt und an ihnen herumgezupft, dann irgendetwas hineingeschmiert und verteilt, sodass ihre Haare zum Schluss aussahen, als habe sie sie gerade dem Griff eines Mannes nach olympiareifem Oralsex entwunden.

Mann, Taylor. Er rutschte auf seinem Sitz herum. Was bist du eigentlich, ein Masochist? Hör auf, an so was auch nur zu denken.

Seine Gedanken schweiften jedoch immer wieder in diese Richtung. Vor kurzem hatte sie entschieden, dass ihr warm genug war, und sein Thermo-Shirt ausgezogen. An sich eine recht nüchterne Angelegenheit, aber es hätte ihn nicht mehr erregen können, wenn sie die Hauptattraktion in einem Striptease-Club gewesen wäre. Ungefähr zu diesem Zeitpunkt hatte er auch festgestellt, dass das hellgraue T-Shirt, das er trug — und das »am besten zu seinen Augen passte« –, nach ihr roch. Mann, die Sache geriet langsam außer Kontrolle. Warum, zum Teufel, konnte sie keine große Brünette sein? Das alles wäre kein Thema für ihn, wenn sie eine große dunkelhaarige Frau wäre, denn aus irgendeinem seltsamen Grund hatte er sich für diesen Typ nie interessiert.

Und warum sagte sie nichts? Gestern war es ihm ganz recht gewesen, die Fahrt schweigend zu verbringen, aber heute hätte er ein bisschen Ablenkung gut gebrauchen können. Hey, er würde sogar ein Gespräch über David Beaumont führen, obwohl er ein widerlicher Mitgiftjäger und geldgeiler kleiner Pisser war. Aber auch wenn Zach dauernd zu hören meinte, dass Lilys üppige Kurven ihm zuflüsterten: Komm, nimm mich, hatte sie außer der Bitte um einen kurzen Halt vor ungefähr vierzig Minuten in den drei Stunden, die sie unterwegs waren, kein Wort von sich gegeben.

Doch er wollte nicht ungerecht sein, vielleicht wartete sie ja darauf, dass er seinen guten Willen demonstrierte und selbst ein Gespräch anfing. Allerdings fiel ihm nichts ein, was er sagen könnte.

Als hätte sie seine Gedanken gelesen, drehte sich Lily plötzlich auf ihrem Sitz zu ihm um. »Glynnis hat mir mal erzählt, dass sie in Afrika geboren wurde.«

Gut. Damit ließ sich was anfangen. »Ja, das stimmt.« »Sie sagte, sie sei zu jung gewesen, um sich daran zu erinnern, aber Sie beide hätten eine ganze Weile dort gelebt.«

»Ja.« Eine Plaudertasche bist du ja nicht gerade, Alter. Er sollte sich besser ein paar mehrsilbige Antworten ausdenken, oder er wäre bald wieder da angelangt, wo er begonnen hatte — und das wollte er um jeden Preis vermeiden. »Ich habe bis zu meinem elften Lebensjahr in verschiedenen kleinen Dörfern im süd- und ostafrikanischen Busch gelebt.«

»Im afrikanischen Busch«, wiederholte sie verträumt. »Das klingt wie in einem Roman von Karen Blixen. Das muss schrecklich interessant gewesen sein. Und Ihre Eltern? Ihre Schwester hat erwähnt, dass sie Ärzte waren, die sich auf die Arbeit mit den Eingeborenen dort spezialisiert hatten. Ich weiß, dass sie sehr stolz auf sie ist. Ihnen wird es nichts anders gehen.«

»Stolz? Ja, vielleicht.« Allerdings erinnerte er sich vor allem an eine ungestillte Sehnsucht, wenn er an seine Eltern dachte. Ihre Liebe füreinander und ihre Leidenschaft für die Arbeit hatten nur wenig Raum für irgendetwas anderes gelassen, und die sorglose Vernachlässigung, die seine Kindheit geprägt hatte, hatte ihn schon früh gelehrt, dass man sich nicht auf andere verlassen konnte, was die Befriedigung emotionaler Bedürfnisse anging. Aber auch wenn er sich oft übergangen gefühlt hatte, so hatte er doch immerhin die Freiheit des Buschlandes gehabt. Mit den nomadisch lebenden Stammesangehörigen der Massai in der Savanne unterwegs zu sein hatte in ihm die Lust am Abenteuer geweckt und oft seine Einsamkeit gemildert.

Doch auch das war ihm nicht lange nach Glynnis’ Geburt genommen worden, als seine Mutter und sein Vater, die sie beide angeblich so sehr liebten, ihn und seine kleine Schwester in die Staaten geschickt hatten. »Glynnis hatte eigentlich nie die Gelegenheit gehabt, unsere Eltern kennen zu lernen«, hörte er sich sagen. »Ich habe ihr vielleicht ein etwas zu romantisches Bild von ihnen vermittelt.«

»Wie das?«

Diese Frage war mit solch unschuldiger Neugier gestellt, dass er ihr einfach nicht widerstehen konnte. Selbst der zynische Verdacht, dass ihr Interesse an ihm kaum besonders groß sein dürfte, konnte ihn nicht davon abhalten, auf ihre Aufmerksamkeit zu reagieren. »Sie nahmen sich die Not der Leute dort sehr zu Herzen, was sie zu ausgezeichneten Ärzten machte. Aber sie waren nicht unbedingt die aufmerksamsten Eltern. Sie verfrachteten uns zu unseren Großeltern nach Philadelphia, als Glynnie noch nicht einmal sechs Monate alt war, und die paar Mal, die sie zu Besuch kamen, um sie zu sehen, lassen sich an fünf Fingern abzählen. Ich konnte ihr ja wohl kaum erzählen, dass andere Menschen ihren Eltern offensichtlich wichtiger waren als sie, oder? Man hat schließlich nur die einen Eltern.« Er zuckte die Schultern, um zu zeigen, dass ihm selbst das natürlich gleichgültig gewesen war. »Also erzählte ich ihr immer wieder, welche Anforderungen ihr humanitäres Engagement an sie stellte.« Er warf ihr einen kurzen Blick zu und richtete seine Aufmerksamkeit dann wieder auf die Straße. »Um Glynnis’ willen hatte ich immer gehofft, dass sich unsere Eltern eines Tages anders besinnen würden, aber wie Sie wahrscheinlich schon wissen, wurde das Dorf, in dem sie arbeiteten, von einem Fieber heimgesucht, und sie starben, als Glynnis acht Jahre alt war.«

»Ja, das tut mir Leid.«

Er zuckte die Schultern. »Bei den Bedingungen, unter denen sie arbeiteten, musste so etwas eines Tages passieren.«

Aber Lily sah, wie dabei einen Moment lang der Ausdruck des Schmerzes über sein Gesicht zuckte, und ihr Herz zog sich seltsamerweise kurz zusammen. Okay, vielleicht ist er ja doch nicht so gefühlskalt, wie ich gedacht habe. Sie betrachtete aus dem Augenwinkel heraus sein Profil. Seine Hoffnungen auf einen Wandel im Leben seiner Eltern hatten sich vermutlich nicht ausschließlich auf Glynnis’ Wohl bezogen. Unweigerlich drängte sich ihr die Frage auf, wo, zum Teufel, er bei der ganzen Sache geblieben war? Er hatte davon gesprochen, dass seinen Eltern andere Menschen mehr am Herzen lagen als seine Schwester, aber was war mit ihm? Er war schon elf Jahre alt, als Glynnis auf die Welt kam — was war während dieser Zeit geschehen, das ihren Sohn offensichtlich dazu gebracht hatte, keine Aufmerksamkeit für sich zu beanspruchen? Zum ersten Mal, seit sie ihn in der Küche in Laguna Beach zu Gesicht bekommen hatte, betrachtete sie ihn nicht mehr nur als gut aussehenden Mann oder als ekelhaften Neandertaler, sondern als interessantes Rätsel, das sie gerne lösen würde.

Bevor sie Gelegenheit hatte, sich zu überlegen, wie sie das anstellen sollte, überraschte sie Zach mit der Frage: »Und Sie? Leben Ihre Eltern noch?«

»Oh, ja.« Sie lachte. »Und wie!« Einen Moment lang war sie versucht, es dabei zu belassen, um zu sehen, ob er genug Interesse hatte, sie nach weiteren Einzelheiten zu fragen, aber dann entschied sie sich dagegen. Nachdem er fast zweihundert Meilen kein Wort gesagt hatte, standen die Chancen, dass er plötzlich Details aus ihrem Leben wissen wollte, wohl nicht besonders gut. Ihm schien es offensichtlich kein Problem zu bereiten, den Tag schweigend zu verbringen.

Was sie von sich nicht behaupten konnte. Die letzten Stunden hatten sie fast zur Verzweiflung getrieben. »Meine Familie scheint das glatte Gegenteil von ihrer zu sein, auf jeden Fall, was das Milieu angeht. Meine Eltern haben geheiratet, als sie beide gerade mal siebzehn waren, und mussten die Schule abbrechen.«

Er wandte seinen Blick nicht von der Straße. »War Ihre Mutter damals mit Ihnen schwanger?«, fragte er. »Oder mussten sie wegen eines älteren Geschwisters heiraten?«

»Nein, ich war der Grund. Ich wurde, wie sie mir erzählten, auf der Rückbank eines 62er Buick im Autokino eines winzigen Kaffs in Idaho gezeugt, von dem Sie garantiert noch nie etwas gehört haben.«

»Und wie waren sie als Eltern?« Er wandte seine Augen lange genug von der Straße, um sie kurz zu mustern. »Oder vielmehr, wie war Ihre Mutter?«

Sie sah ihn überrascht an. »Ich bin bei beiden Eltern aufgewachsen.«

»Sie sind immer noch verheiratet? Widerspricht das nicht jeder statistischen Wahrscheinlichkeit bei Paaren, die so jung geheiratet haben?«

»Nun, da haben die Statistiker meine Familie nicht kennen gelernt. Bis ich anfing, mich um ihre Finanzen zu kümmern, konnten sie nie mehr als ein paar Cent zusammenhalten, aber geliebt haben sie einander immer.« Sie bemerkte, dass Zach seine Augen gen Himmel verdrehte. »Das soll nicht heißen, sie hätten sich niemals so angebrüllt, dass die Wände wackelten. Aber eine Scheidung stand nie zur Debatte.«

Als er dieses Mal die Augen von der Straße wandte, bedachte er sie mit einem Blick, den sie nicht einmal ansatzweise zu deuten vermochte. »Dann hatten sie also eine behütete Kindheit in einem hübschen Häuschen?«

Lily konnte nichts dagegen tun — mit zurückgelegtem Kopf prustete sie laut los. »Tut mir Leid«, sagte sie, als sie sich wieder gefasst hatte und seine Verwirrung sah, »ich lache nicht über Sie. Aber nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein, als zu behaupten, ich hätte eine behütete Kindheit in einem Häuschen gehabt. Meine Eltern führten ein vollkommen rastloses Dasein. Wir zogen von Stadt zu Stadt. Meistens einmal, oft aber auch zwei – oder sogar dreimal im Jahr. Es war mein größter Wunsch, behütet in einem Häuschen zu leben.« Sie verzog das Gesicht. »Aber der wurde mir leider nicht erfüllt.«

»Hm.« Er verfiel in Schweigen, und seine Augen blickten konzentriert auf die Straße, während er einen Sattelschlepper überholte. Der Verkehr auf der Interstate nahm zu, je weiter sie sich Salem näherten, und Zach wollte offensichtlich nicht nur durchkommen, sondern schnell durchkommen.

Lily sah immer wieder zu ihm hinüber und fragte sich, was er wohl dachte, abgesehen davon, dass ihm die Geschwindigkeitsbegrenzung von neunzig Kilometer pro Stunde in Oregon eindeutig nicht passte. Sie hielten ein paar Mal an, damit sie aufs Klo gehen konnte oder um sich etwas zu essen zu besorgen, aber Zachs wachsende Ungeduld war deutlich spürbar. Erstaunlicherweise ärgerte Lily seine Unruhe nicht, sondern weckte vielmehr das Bedürfnis in ihr, ihre Hand auszustrecken und ihm beruhigend übers Knie zu streicheln. Sie konnte ihm hin und wieder ein paar kurze Worte entlocken, aber das war ungefähr so mühsam, wie Fussel von einem Mohairpulli zu entfernen.

Nachdem sie die Grenze zwischen Oregon und Washington überquert hatten, fuhr er die erste Tankstelle an. »Hier.« Er drückte ihr ein paar Geldscheine in die Hand. »Holen Sie uns was zu essen. Ich werde inzwischen tanken, nachdem wir endlich in einem Staat sind, in dem man den Zapfhahn selbst bedienen darf.«

Sie spürte, wie sich ein Lächeln auf ihre Lippen schlich. Zach hatte das Gesetz, das verbot, dass man in Oregon selbst tankte, als persönliche Beleidigung aufgefasst. Zweifellos waren ihm die Tankwarte nicht schnell genug.

Während sie aus dem Angebot des Tankstellen-Shops ein paar Dinge aussuchte, die nicht mit zu vielen Konservierungsstoffen belastet waren, verspürte sie plötzlich das heftige Bedürfnis nach einem richtigen Essen. Sie hatte die Nase voll von Fast Food und Abgepacktem. Was würde sie dafür geben, aus ein paar frischen Zutaten eine richtige Mahlzeit zaubern zu können. Da sie letztlich jedoch eine praktisch veranlagte Frau war, versuchte sie, aus den begrenzten Möglichkeiten, die ihr zur Verfügung standen, das Beste zu machen.

Mit einer kleinen Tüte voll Proviant war sie zurück auf dem Weg zum Auto, als sich ihr plötzlich ein dunkelhaariger junger Mann in den Weg stellte.

»Entschuldigen Sie.« Er war hübsch und gut gebaut ... und sich dessen vielleicht ein bisschen zu sehr bewusst. Aber er lächelte sie höflich und auf gewinnende Weise schüchtern an. »Entschuldigung. Es tut mir Leid, wenn ich Sie aufhalte. Aber vielleicht dürfte ich Sie bitten, mir zu helfen?«

»Sicher. Was kann ich für Sie tun?«

»Mein Englisch ist nicht besonders gut —«

»Im Gegenteil, Sie sprechen ausgezeichnet Englisch.«

»Gracias, aber ich scheine mich dem Herrn dort nicht verständlich machen zu können –« Er deutete mit einer vagen Geste in Richtung Tankstelle oder vielleicht auch auf die Zapfsäulen daneben. »Und da wollte ich Sie fragen, ob Sie mir helfen würden.« .

»Gerne, wenn ich kann. Was haben Sie denn für ein —«

»Lily! Bewegen Sie Ihren Hintern! Wie lange soll ich noch warten, verdammt noch mal!«

Die Ungeduld in Zachs Stimme ließ sie zusammenfahren, und sie zuckte mit den Schultern. »Tut mir Leid, da spricht die liebliche Stimme meines Fahrers, ich kann Ihnen leider nicht helfen. Aber Ihr Englisch ist wirklich viel besser, als Sie denken«, versicherte sie ihm, als sie sich zum Gehen wandte. »Wenn Sie langsam sprechen, wird man Sie bestimmt verstehen.«

»Was sollte das?«, fragte sie einen Moment später, als sie in das Auto stieg. »Unter Höflichkeit verstehe ich etwas anderes.«

»Mann, ich bin den ganzen verdammten Tag über so höflich gewesen wie eine alte Dame bei einem Kaffeekränzchen«, knurrte er, während sie den Sicherheitsgurt anlegte. »Aber ich habe keine Lust, hier herumzutrödeln, nur weil Sie mit den Jungs flirten müssen. Machen Sie das, wenn Sie wieder allein sind. Mein Zeitplan drängt.« Damit trat er aufs Gas, und der Jeep schoss zurück auf den Freeway.

Love Collection II

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