Читать книгу Love Collection II - Clare Dowling - Страница 18
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ОглавлениеLily war stolz auf sich, weil sie sich auf dem Weg ins Erdgeschoss des Beaumont’schen Hauses nur ein Mal verlief. Aber der Umweg und ihr Magen, der sich über die lange Zeit, seit er das letzte Mal etwas bekommen hatte, vernehmlich beschwerte, hatten in ihr den Wunsch geweckt, jemand hätte eine Spur aus Brotkrumen gelegt. Sie wäre nicht nur nützlich gewesen, um ihr den Weg zu weisen, sie hätte auch gleich etwas Essbares gehabt, das ihr über die Zeit bis zum Frühstück hinweghalf, und selbst die Vorstellung, Brotkrumen vom Boden zu klauben, hatte etwas Verlockendes. Dieses Haus war einfach riesig, und sie war von irgendwo tief im Inneren des westlichen Flügels aufgebrochen, wo man ihr und Zach Zimmer zugewiesen hatte.
Bei dem Gedanken daran vergaß sie ihren knurrenden Magen, und ihre Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln. Zweifellos hatte die Frau, die ihnen die nebeneinander liegenden Zimmer gegeben hatte, angenommen, sie würde ihnen damit auf diskrete Weise einen Gefallen tun. Die Beaumonts konnten ja nicht wissen, dass das eher so war, als wollte man jemanden zu einem Mord anstiften, wenn man sie so nahe beieinander unterbrachte.
Wobei das vielleicht nicht so ganz stimmte. Sie dachte darüber nach, während sie die Haupttreppe hinunterstieg. Gestern hatte sie einen anderen Zach kennen gelernt, und letzte Nacht hatte sie die professionelle, kompetente und willensstarke Seite einer Persönlichkeit gesehen, die vermutlich vielschichtiger war, als sie ursprünglich angenommen hatte. Okay, die »willensstarke« Seite war ihr inzwischen nur zu vertraut, da Zach kein Geheimnis daraus machte, dass er entschlossen war, sie aus dem Leben seiner Schwester zu entfernen. Aber in der vergangenen Nacht hatte Lily ihn für die Autorität, mit der er die Sache in die Hand nahm, tatsächlich bewundert.
Auch wenn Zach ihrer Meinung nach verbohrt war, was Glynnis anging, so zweifelte sie doch nicht an seiner Zuneigung für seine Schwester. Und zu ihrer Überraschung lernte sie allmählich, die zarten Hinweise zu deuten, die einen gewissen Einblick in seine Gedankengänge gewährten. So wusste Lily instinktiv, dass er vor Sorge um das Wohlergehen seiner Schwester ganz krank war, obwohl er sie nicht allzu deutlich zu erkennen gegeben hatte.
Sie erreichte das Ende der Treppe, und das dezente Klappern von schwerem Silber auf Porzellan sowie das leise Gemurmel von Stimmen lenkten sie zu einer Tür gegenüber dem Wohnzimmer, in dem sie sich vergangene Nacht aufgehalten hatten. Sie durchquerte die Halle.
Als sie in der Tür stehen blieb, stockten alle Gespräche. Dann lächelte Jessica ihr schüchtern zu. »Guten Morgen«, sagte sie mit sanfter Stimme. »Kommen Sie doch herein; es geht hier nicht besonders förmlich zu. Haben Sie Hunger?« Ohne Lilys Antwort abzuwarten, deutete sie auf die Anrichte. »Beim Frühstück bedienen wir uns alle selbst. Teller und Schüsseln finden Sie dort, hinter der Kaffeekanne.«
Auf dem Weg zur Anrichte ging Lily die Anwesenden durch. Außer Jessica hatten sich Zach, Richard und Mrs. Beaumont eingefunden. Es fehlten lediglich Jessicas Mann Christopher und ihre attraktive Schwester Cassidy. Aber da Montagmorgen war, waren die beiden vermutlich schon unterwegs zur Arbeit. Erpicht darauf, endlich etwas zu essen zu bekommen, wandte sie ihre Aufmerksamkeit dem Frühstücksbüfett zu, das vor ihr aufgebaut war. Zu ihrer Enttäuschung war die Auswahl ziemlich mager.
Peinlich berührt wurde ihr bewusst, dass man ihr das Missfallen angesichts des dürftigen Angebots an kalten Cornflakes und ebenso kaltem Toast wohl angesehen hatte, denn Mrs. Beaumont sagte in ihrer wohlerzogenen Art: »Ich muss mich für das unzulängliche Frühstücksbüfett entschuldigen, aber ich fürchte, Ernestine, unsere Köchin, ist außer sich und musste sich wieder hinlegen.« Ihre Unterlippe zitterte. »David ist ihr Liebling, müssen Sie wissen.«
»Haben Sie heute Morgen schon irgendetwas gehört?«
»Kein Wort. Wenn meinem David etwas passiert, weiß ich nicht, was ich tue.«
Zach richtete sich auf seinem Stuhl auf. Die abrupte Bewegung ließ Lily aufschauen. Ihre inneren Alarmglocken schrillten. Obwohl er nichts sagte und kühl und beherrscht wirkte, wusste sie, dass er bis zum Äußersten angespannt war — das musste an einer Art telepathischer Verbindung liegen, die ihr schon letzte Nacht gesagt hatte, wie besorgt er wegen Glynnis war. Niemandem sonst schien an seinem Verhalten etwas Ungewöhnliches aufzufallen, aber für sie war es so klar, als hätte er damit begonnen, kleine Signalflaggen über seinem Kopf zu schwenken. Dass er ein tomatenrotes Polohemd trug, erschien ihr nur allzu passend — er war ein einziges großes Warnschild.
Seine Gereiztheit schien irgendetwas mit Mrs. Beaumont zu tun zu haben, und teils, weil Lily die Hausherrin davon abhalten wollte, weiterhin etwas zu tun, das ihn ärgerte, teils, weil sie es keinen Tag länger ertrug, zweitklassiges Essen vorgesetzt zu bekommen, wandte sie sich von der Anrichte ab und trat zu Mrs. Beaumont.
»Es tut mir Leid«, sagte sie. »Sie müssen mich für schrecklich unhöflich halten. Es ist nur so, dass ich Essen über alles liebe, und das, was wir auf der Fahrt von Kalifornien hierher bekommen haben, war so fürchterlich, dass ich mich auf ein richtiges Frühstück gefreut habe. Aber ich hätte einen Vorschlag, der vielleicht uns allen etwas bringt. Kochen ist meine Leidenschaft, und ich könnte für Ernestine einspringen, bis sie wieder auf den Beinen ist.«
Das Angebot war zweifellos verlockend, dennoch sagte Mrs. Beaumont höflich: »O nein. Sie sind unser Gast. Wir können doch nicht von Ihnen verlangen, in der Küche zu schuften.«
Lily lachte. »Sie haben es nicht verlangt, und für mich ist es keine Schufterei. Zach und ich standen unangemeldet vor Ihrer Tür, und Sie haben uns großzügigerweise aufgenommen. Bitte erlauben Sie mir, mich dafür wenigstens ein bisschen zu revanchieren, indem ich das übernehme.«
Richard, der auf der anderen Seite des Tisches schweigend an seinem Kaffee genippt hatte, strich sich seine glänzenden braunen Haare aus der Stirn und griff über den Tisch, um seiner Tante die Hand zu drücken. »Das ist ein großzügiges Angebot, nimm es doch an.«
Mrs. Beaumont sah von ihm zu Lily. »Nun ja, wenn Sie meinen, dass es Ihnen nichts ausmacht...«
»Ganz bestimmt nicht. Es würde mir sogar Spaß machen, und wenn mir vielleicht jemand den Weg zur Küche zeigt, werde ich ein schönes, warmes Frühstück zubereiten. Jeder hier steht unter großer Anspannung. Da ist es wichtig, gut zu essen.«
Jessica legte ihren angebissenen Toast auf den Teller. »Ich zeige Ihnen den Weg.«
Als sie sich vom Tisch erhob, lehnte Zach sich auf seinem Stuhl zurück und sah Lily mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Ich weiß, dass Sie kochen können«, sagte er, während er seinen Blick über sie gleiten und einen Augenblick lang auf der dreireihigen Kette aus glitzernden Steinen auf ihrem Busen verweilen ließ. »Aber es ist ein Unterschied, ob man für ein oder zwei Leute kocht oder für eine Gruppe von dieser Größe. Sind Sie sicher, dass Sie das schaffen?« Für sieben Leute kochen? Und so viele waren es nicht mal, wenn Cassidy und Christopher nicht noch kamen. Es gelang ihr, nicht die Augen zu verdrehen. »Oh, ich denke, ich komme damit schon klar.«
Während sie Jessica durch einen kurzen Flur, der von der Halle abging, folgte, hörte sie sie verwundert vor sich hin murmeln: »Eine ›Gruppe von dieser Größe‹?«
Sie lachte. »Ich weiß«, sagte sie. »Warum glauben Männer eigentlich, nur weil wir Lippenstift tragen und Körperteile haben, die wackeln, hätten wir nichts im Hirn? Oh!«, entfuhr es ihr, als sie die Küche betrat. »Das ist fantastisch.« Diese Küche war ein hochmoderner Arbeitsraum mit allen Schikanen, ihre persönliche Vorstellung vom Himmel.
»Bei Ihnen wackelt wenigstens was«, sagte Jessica leise. »So viel Glück hätte ich auch gerne. Und was den Lippenstift angeht ...«
Ihre sanfte Stimme unterbrach Lily in ihrer begeisterten Inspektion der Küchengeräte, und sie sah Jessica zum ersten Mal richtig an. »Sie sollten unbedingt welchen tragen«, sagte Lily entschieden, nachdem sie sie eingehend gemustert hatte. »Die meisten Frauen würden für so volle Lippen wie die Ihren einen Mord begehen. Ich habe einen Lippenstift, der Ihnen wunderbar stehen würde, da gehe ich jede Wette ein. Die Farbe heißt Pink Smooch, und im Laden war ich ganz hingerissen davon, aber als ich nach Hause kam, stellte ich fest, dass sie überhaupt nicht zu meinem Teint passt. Ich werde ihn für Sie heraussuchen, sobald ich das Frühstück fertig habe.«
Jessica sah sie so hilflos an, dass Lily unwillkürlich lächeln musste. »Ich nehme an, dass Sie meine Leidenschaft für Make-up nicht teilen.« Sie legte eine Hand auf ihre Brust. »Das ist sehr, sehr bedenklich.«
»Meiner Schwester zufolge ist es geradezu Ketzerei.«
Lily lachte. »Mindestens.«
»Na ja, nicht alle von uns sind Sklavinnen der Mode.«
»Aber natürlich sind wir das. Sie haben offensichtlich nur noch nicht die richtige Beraterin gefunden.« Bis jetzt. In Lilys Augen gab es nichts Frustrierenderes als ungenutztes Potenzial, und das von Jessica weckte in ihr den dringenden Wunsch, eine Rundumerneuerung an ihr vorzunehmen.
Das Gesicht Jessicas war nicht nur frei von Make-up, ihre mittelbraunen Haare waren auch viel zu lang und dick für ihr schmales Gesicht und erdrückten ihre feinen Züge. Lily erkannte ein hochwertiges Kleidungsstück auf den ersten Blick, und sie war sich sicher, dass es sich bei Jessicas Pullover um ein teures Stück handelte. Aber die Farbe stand ihr überhaupt nicht, sie ließ ihren blassen Teint grau erscheinen, und außerdem schlackerte er an ihr herum. Die Jeans waren in Ordnung, aber diese Schuhe — ein Albtraum. Sie sahen aus wie die klobigen Schuhe eines Kartoffelbauern.
Es stand ihr jedoch nicht zu, sich in das Leben anderer Leute einzumischen, deshalb lächelte sie nur und wandte sich wieder der großartigen Küche zu, in der sie nun schalten und walten durfte. Aber während sie anerkennend mit ihren lackierten Zehen wackelte, die in hochhackigen, vorne offenen Pumps im Stil der Fünfzigerjahre steckten, dachte sie; Nein, ich werde mich nicht einmischen. Das kann noch einen Tag warten.
Sie war in tiefe Bewunderung angesichts all der wunderbaren Küchengeräte und der gut gefüllten Speisekammer versunken, als Jessica unsicher sagte: »Sie wollen mich wahrscheinlich lieber aus dem Weg haben.«
Lily drehte sich zu ihr um. »O nein, bleiben Sie. Sie könnten mir helfen und mir zeigen, wo ich alles finde. Das heißt — ach, du meine Güte, ich bin unmöglich, ich gehe einfach davon aus, dass Sie nichts Besseres zu tun haben oder sich auch nur eine Minute länger als nötig in einer Küche aufhalten wollen. Tut mir Leid. Halte ich Sie von irgendetwas ab?«
Jessica lachte, und es klang so, als hätte ihr gerade jemand einen herrlich unanständigen Witz erzählt. »Nein, Sie halten mich von nichts Wichtigem ab. Ich sitze gerade an einem Quilt, und wie Ihnen hier alle sofort erklären würden, ist das nur ein Hobby. Und was meinen Aufenthalt in Küchen angeht — nachdem ich für das unsägliche Angebot verantwortlich bin, das Sie heute Morgen im Speisezimmer vorgefunden haben, überlasse ich Ihnen die Entscheidung, ob Sie mich überhaupt hier haben wollen.«
Lily grinste und ging dann zum Kühlschrank, um nachzusehen, was er zu bieten hatte. »Lassen Sie mich mal raten, ich nehme an, dass Sie aufs Kochen nicht so versessen sind wie ich.«
»Ehrlich gesagt glaube ich, dass es mir Spaß machen könnte, aber ich hatte bislang nicht viel Gelegenheit, das herauszufinden.«
»Warten Sie, sagen Sie es nicht. Liegt das vielleicht daran, dass Sie immer eine Köchin hatten?«
»Das trifft es so ungefähr.«
»Ach, Sie armes reiches Mädchen. Sie erwarten hoffentlich nicht allzu viel Mitgefühl von mir.« Erst als die Worte schon heraus waren, wurde Lily klar, was sie da eben gesagt hatte. Sie merkte plötzlich, dass sie sich mit dieser Frau fast genauso wohl fühlte wie mit ihrer Freundin Mimi in Laguna. Das erklärte auch, warum sie keine Hemmungen hatte, sie aufzuziehen.
Zu ihrer Erleichterung schien es Jessica ähnlich zu gehen. »Im Gegenteil«, sagte sie, »ich finde, dass Sie sehr viel Mitgefühl für mich haben sollten. Sie haben ja keine Ahnung, was für eine traurige Geschichte ich Ihnen erzählen könnte.«
»Ach ja?« Lily begann, verschiedene Lebensmittel aus dem Kühlschrank zu nehmen, und warf Jessica einen Blick von der Seite zu, während sie die Sachen an sie weiterreichte, damit sie sie auf die Arbeitsfläche legte. Sie machte eine hoheitsvolle Geste, als würde sie eine Audienz gewähren. »Schießen Sie los.«
»Richard, Cassidy und ich sind — können Sie das auch verkraften? — die ›armen‹ Verwandten im Clan der Beaumonts.«
Lily stöhnte übertrieben auf.
Jessicas Lächeln ließ ihr unscheinbares Gesicht fast schön erscheinen. »Ich weiß. Das ist ein echter Schock. Mama gehörte zu den Frauen, für die nur der äußere Schein zählt, deshalb hatten wir natürlich eine Köchin, wie alle in unserer Familie. Der Unterschied bestand darin, dass wir bloß reich zu sein schienen, während es alle anderen tatsächlich waren. Wenn in unserem Zweig der Familie wirklich Geld da gewesen wäre, hätte ich vielleicht in die Küche gedurft. Aber nur wirklich reiche Mädchen können es sich leisten, sich so zu benehmen, als hätten sie nichts außer einem guten Namen. Was wir hatten«, sagte sie mit einem Schulterzucken, »waren Verbindungen.« Dann fügte sie leicht bitter hinzu: »Ja, wirklich. Wir haben tatsächlich diese ach so wichtigen Verbindungen.«
Lily kannte sie nicht gut genug, um zu fragen, was das alles zu bedeuten hatte, deshalb erwiderte sie leichthin: »Na ja, außerhalb der Gastroszene verbindet keiner etwas mit meinem Namen. Aber halten Sie sich an mich, meine Liebe, ich kann Ihnen zumindest Kochen beibringen.«
»Wirklich?«
»Aber ja. Ganz sicher.«
Jessica stellte sich neben sie. »Was wollen Sie machen?« »Heute Morgen nur etwas Einfaches, da wir nicht viel Zeit haben. Wir werden mit Rührei gefüllte Pitabrote und einen Melonen-Heidelbeer-Salat machen. Frühstücken Ihr Mann und Ihre Schwester mit uns?«
»Ich... nehme es an.«
»Ich war mir nicht sicher, ob sie nicht schon zur Arbeit gegangen sind.«
»O nein, das Büro von B Networks ist im oberen Stockwerk des Westflügels.«
»Okay, dann gehen wir von sieben Personen aus.« Sie deutete auf die Eier, die Pilze, die roten Paprikaschoten, die Zwiebeln und den Käse, die vor ihnen auf dem Tisch lagen. »Ist da irgendetwas dabei, das einer nicht essen kann?«
»Nein.«
»Ausgezeichnet. Ich werde zuerst ein Mohndressing für den Salat machen, damit es durchziehen kann, während ich alles andere zubereite.«
»Und was kann ich tun?«
»Kümmern Sie sich um den Salat, und schneiden Sie die Melone«, sagte Lily und griff nach einer Schüssel. »Schneiden Sie sie in schmale Streifen.«
Jessica zog fragend die Augenbrauen hoch, und Lily zeigte ihr, was sie meinte, sie schnitt die Melone längs auf und reichte das Messer dann an Jessica weiter. Dann wandte sie sich wieder ihrer Arbeit zu, leerte einen Becher Vanillejoghurt in eine Schüssel und gab etwas Zitronensaft und Mohn dazu. Ein paar Minuten später sah sie von der Orange, deren Schale sie gerade über der Schüssel abrieb, auf. »Ich glaube, ich habe im Kühlschrank einen Kopfsalat liegen sehen. Wenn Sie fertig sind, dann können Sie auf jeden Teller ein paar Blätter davon legen. Dann legen Sie vier oder fünf Streifen von der Melone dazu, und streuen eine Hand voll Heidelbeeren darüber.« Sie verrührte das Dressing, deckte die Schüssel mit Frischhaltefolie ab und stellte sie ins Gefrierfach, damit es kurz kühlen konnte. Anschließend begann sie, das Gemüse zu schneiden.
»Wie machen Sie das bloß?«, fragte Jessica einen Augenblick später.
»Was?«
»So schnell hacken, ohne sich dabei in die Finger zu schneiden.«
Lily lachte. »Reine Übungssache.«
»Können Sie mir das beibringen?«
»Klar. Kommen Sie her.« Als Jessica sich neben sie stellte, hielt Lily ihre linke Hand in die Höhe. »Der Trick besteht darin, die Finger zu krümmen. Sehen Sie?« Sie führte vor, wie man eine Zwiebel festhielt, ohne dass die Finger aus Versehen unter das Messer gerieten. Nachdem sie die Zwiebeln klein gehackt hatte, schnitt sie die roten Paprika in feine Streifen, dann hielt sie Jessica das Messer hin. »Wollen Sie es mal probieren?«
Jessica stellte sich geschickter an, als sie erwartet hatte, aber sie war nicht annähernd so schnell wie Lily. Sie lachte und machte sich wieder daran, die Schale von den Melonenstreifen zu entfernen. »Ich merke schon, dass es ein wenig Übung benötigt.«
Lily zwinkerte ihr zu. »Kommen Sie eine Stunde vor jeder Mahlzeit zu mir in die Küche, und Sie können sich jede Menge Übung verschaffen.«
»Vielleicht tue ich das.« Jessica lächelte und warf die Schalen in den Komposteimer, den Ernestine neben die Spüle gestellt hatte. Damit hatte sie nicht gerechnet, ging es ihr durch den Kopf, während sie sich die Hände wusch und abtrocknete, Salatteller aus dem Schrank nahm und nebeneinander auf die Arbeitsplatte stellte, um sie mit Salatblättern zu belegen. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass sie Lily so sehr mögen und sofort diese Art Verbundenheit mit ihr fühlen würde, als seien sie seit dem Kindergarten die besten Freundinnen und hätten sich gerade wieder getroffen und genau da weitergemacht, wo sie aufgehört hatten.
Aber wer hätte auch damit rechnen können? Die blonde, aufreizende Lily mit ihrem Glitzerschmuck ,und dem gekonnten Hüftschwung gehörte zu dem Typus Frau, der Jessica normalerweise das Gefühl vermittelte, so aufregend wie die Mode vom letzten Jahr zu sein. Sie gehörte zu der ultrafemininen Sorte, den Vollblutfrauen, die instinktiv all das zu wissen schienen, wovon Jessica keine Ahnung hatte. Welche Farben man trug, welches Make-up man kaufte, wie man Sachen miteinander kombinierte, um die eigenen Vorzüge am besten zur Geltung zu bringen. Eine Frau wie Cassidy.
Mit dem Unterschied, dass sie sich in Lilys Gegenwart nicht unzulänglich fühlte. Sie brachte sie zum Lachen, dachte Jessica froh. Sie gab ihr das Gefühl ... nützlich zu sein.
»Sieht gut aus.« Lily deutete mit einem Kopfnicken auf das auf den Salatblättern angerichtete Obst. Sie nahm das Mohndressing aus dem Gefrierfach und reichte es Jessica. »Rühren Sie es noch einmal durch, und geben Sie dann ein, zwei Löffel davon auf die Früchte. Und wenn Sie mir zeigen, wo ich einen großen Teller finde, dann fülle ich schnell das Rührei in die Brote, und wir können gehen.«
Wenige Minuten später folgte Jessica Lily mit einem Tablett, auf das sie die Salatteller gestellt hatte, zurück ins Speisezimmer. Sie war so zufrieden mit ihrer Leistung, als hätte sie sich das Frühstück selbst ausgedacht.
Der Erste, den sie sah, als sie den Raum betrat, war Christopher, und die Freude, die sie jedes Mal empfand, wenn sie ihren Ehemann erblickte, ließ ihr Lächeln noch breiter werden. Sie stellte fest, dass ihre Schwester immer noch nicht aufgetaucht war — nicht, dass das irgendetwas zu sagen hatte. Cassidy kam immer zu spät ... und dass Christopher heute Morgen ebenfalls zu spät im Speisezimmer erschien, war bestimmt reiner Zufall.
Sie umrundete den Tisch und servierte zuerst dem dunkelhaarigen, schweigsamen Marine, der sie offen gestanden ziemlich nervös machte, einen Teller mit Salat und danach den Mitgliedern ihrer Familie.
»Wunderbar«, sagte Tante Maureen und blickte von dem hübschen Arrangement auf dem Teller zu Lily, die gerade jedem ein gefülltes Pitabrot servierte. »Das ist ganz erstaunlich. Sie waren nur zehn Minuten weg. Wie, in aller Welt, haben Sie es geschafft, in so kurzer Zeit etwas so Leckeres zuzubereiten?«
Lily zuckte die Schultern. »Das ist mein Beruf — ich bin Köchin. Außerdem hatte ich eine hervorragende Assistentin.« Sie grinste Jessica kurz an und drehte sich dann wieder zu Maureen um. »Um genau zu sein, hat Ihre Nichte den Salat gemacht.«
»Nein, ich habe eigentlich nur Ihre Anweisungen befolgt«, sagte Jessica. Nachdem sie die restlichen Teller vor die unbesetzten Plätze am Tisch gestellt hatte, lehnte sie das Tablett gegen die Anrichte und setzte sich neben Christopher.
»Ja, unsere Jessie ist gut im Befolgen von Anweisungen.« Cassidy stürmte in das Zimmer. Sie war perfekt angezogen, einschließlich des auffälligen Schmucks, und ihre Haare hatte sie zu einer modisch zerzausten Frisur hochgesteckt, für die sie, wie Jessica wusste, eine Ewigkeit brauchte. »Guten Morgen allerseits.« Sie ließ sich auf dem freien Stuhl neben Zach nieder, auf den gerade Lily zugesteuert war, und sah auf den Salatteller, der vor ihr stand. »Welchen Beitrag hast du denn geleistet, Jess? Hast du den Salat geputzt?«
Jessica hatte ein Gefühl, als würde sie unsichtbar werden, sich einfach auflösen, bis sie Teil des Mobiliars war, wie so oft in Gegenwart ihrer jüngeren Schwester.
Aber dann drückte Christopher unter dem Tisch ihren Oberschenkel, und gleichzeitig setzte sich Lily und sah Cassidy ruhig an, während sie die Stoffserviette auseinander faltete. »Eigentlich hat sie alles gemacht. Das Obst geschnitten, auf den Tellern arrangiert und das Dressing verteilt. Und wie Sie sehen können, ist es durchaus gelungen. Und was machen Sie, Ms. Beaumont?«
Sie hatte diese Frage in einem ausgesprochen höflichen Ton gestellt, trotzdem stieg Cassidy unter ihrem perfekten Make-up die Röte ins Gesicht. Und plötzlich fühlte sich Jessica gar nicht mehr so sehr wie ein Teil des Mobiliars.
»Cassidy geht shoppen«, warf Richard ein und nahm sein Pitabrot in die Hand. Er biss hinein und seufzte genussvoll auf.
Cassidy bedachte ihren Bruder mit einem finsteren Blick. Dann wandte sie sich mit einem strahlenden Lächeln an Lily. »Fundraising, das ist meine eigentliche Stärke. Jemand muss sich ja um die Armen und Verlassenen kümmern.« Sie sah auf den vor ihr stehenden Teller, machte jedoch keine Anstalten, ihre Gabel zu nehmen. »Kochen ist zweifelsohne eine nützliche Beschäftigung. Falls Sie Arbeit suchen, kann ich Sie sicher irgendwo unterbringen. In unseren Kreisen sucht man immer nach gutem Personal.«
Die Unverschämtheit ihrer Schwester ließ Jessica zusammenzucken, und Tante Maureen sagte in tadelndem Ton: »Cassidy.«
Aber Lily lächelte nur. »Sehr freundlich von Ihnen, aber ich habe bereits einen Job.«
»Ach, wirklich? Arbeiten Sie für eine gute Familie, meine Liebe? Oder kochen Sie vielleicht in einem netten kleinen Café?«
»Nein. Ich arbeite als Chefköchin für ein Unternehmen.«
Cassidy zuckte unwillig die Schultern. »Köchin, Chefköchin, wo liegt da der Unterschied?«
»In der Ausbildung hauptsächlich — die einer Chefköchin ist wesentlich umfassender. Ich habe meine an der Culinary Academy in San Francisco und im Le Cordon Bleu an der California School of Culinary Arts in Pasadena gemacht. Und dann habe ich mehrere Jahre lang für zwei Spitzenköche in Los Angeles gearbeitet.«
Zach legte abrupt seine Gabel hin. Sie stieß klappernd gegen seinen Teller, und Jessica blickte hoch und sah, wie er seinen Stuhl zurückschob.
Mit den zusammengekniffenen Augen und dem finsteren Gesichtsausdruck wirkte er sehr einschüchternd auf sie, aber ihre Schwester war offensichtlich anderer Meinung. Sie streckte die Hand mit den perfekt manikürten Fingernägeln aus und strich ihm über dem Arm, wobei sie ihm unter ihren langen Wimpern einen koketten Blick zuwarf. »Sie verlassen uns doch noch nicht, oder?«
»Doch.« Sein Gesicht ließ keine Gefühlsregung erkennen, als er auf ihre Finger hinuntersah, die die unter seiner gebräunten Haut hervortretenden Adern nachzeichneten. »Ich muss ein paar Anrufe erledigen.« Er entzog ihr seinen Arm, trat einen Schritt zurück, ging um den Tisch herum und verließ das Zimmer.
Einen Moment lang sagte keiner ein Wort, dann legte Lily ihre Serviette auf den Tisch und erhob sich. »Entschuldigen Sie mich bitte einen Augenblick«, murmelte sie. »Ich muss kurz mit Zach reden, dann werde ich mich um die Küche kümmern.«
»Aber meine Liebe, das ist doch nicht nötig«, sagte Mrs. Beaumont und wedelte mit den Händen.
»Es macht mir nichts aus, Mrs. Beaumont, wirklich. Das gehört auch zu meinem Job.«
»Ach nein«, erkundigte sich Cassidy mit zuckersüßer Stimme. »Die große, wichtige Chefköchin hat keine kleinen dienstbaren Geister um sich, die hinter ihr herwischen?«
»Halt den Mund, Cassidy«, sagte Jessica in scharfem Ton.
Ihre Schwester sah sie kühl an. »Hört, hört, unser graues Mäuschen spricht.« Dann wandte sie sich wieder von ihr ab, und Jessica beobachtete, wie sie Lily beim Verlassen des Zimmers nachsah.
Sobald die zierliche Blondine verschwunden war, drehte sich Cassidy erneut zu ihr um, und beim Anblick ihres zufriedenen Gesichtsausdrucks zog sich Jessicas Magen zusammen.
»Also«, sagte Cassidy. »Hat Christopher dir von dem ... Dienst ... erzählt, den er mir heute Morgen erwiesen hat?«