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Gregor im Jahr des ersten Geschenks

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Murten, 3. November 1912

Auch Gregor flog im Traum, und als er sechs wurde, gab er zu, dass er vom Zirkus träumte. Er flüsterte, als er sich zum ersten Mal den Besuch einer Zirkusvorstellung wünschte. Er ahnte, dass sein Wunsch im Hause Schröder nicht gut ankommen würde. Und er hatte Recht.

Träume sind gut und schön.

„Aber sie müssen irgendwo hinführen“, sagte Herr Schröder.

„Wohin denn?“, fragte Gregor.

Er dachte daran, wie einfach es war, zu fliegen, wenn der Himmel kühl und blassblau war, aber das behielt er für sich.

„Zu etwas Sinnvollem wie Erfolg, Anerkennung und gutem Verdienst“, erklärte Herr Schröder. „Vielleicht sogar zum Nobelpreis.“

Frau Schröder strich ihrem Jungen übers dunkle Haar, aber ihre Stimme klang fest und bestimmt.

„Für Träume, die nirgendwo hinführen ist kein Platz im Hause Schröder. Das weisst du, nicht wahr, mein Junge? Also warum träumst du nicht davon, ein berühmter Physiker zu werden oder ein …“

Gregor hörte nicht länger zu. Er kämpfte gegen die dunkle Wut an, die manchmal in ihm brodelte.

Niemand, dachte er trotzig, niemand konnte ihn am Träumen hindern. Auch nicht am Fliegen!

Gregor hatte Anfang November Geburtstag, und als er neun wurde, begann die Zeit der Geschenke. Die Kälte, die durchs halb offene Fenster drang, weckte ihn früh. Auf dem Fenstersims lag im allerersten Schnee des Winters eine kleine rote Schachtel. Das Geburtstagsgeschenk, das sie enthielt, liess Gregors Herz höherschlagen. Ein strammer Turner in weisser Hose und blauem Hemd mit goldenen Sternen war’s. Er hatte die winzigen Hände fest um eine Stange gelegt, und wenn Gregor eine kleine Kurbel drehte, drehte auch er sich, erst langsam, dann immer schneller, bis das Weiss der Hose und das Blau des Hemdes zu einem hellblauen Wirbel verschmolzen.

Gregor versuchte, es dem kleinen Turner gleich zu tun. Frühmorgens übte er in seinem Zimmer Purzelbäume auf dem Teppich und Saltos von Bett und Schrank. Er benutzte die Matratze als Trampolin. Irgendwann würde er wirklich fliegen zu können, da war er sich ganz sicher. In seinen Träumen sah er sich hoch oben unter einer Zirkuskuppel. Er trug eine weisse Hose und ein blaues Hemd mit goldenen Sternen, und die Zuschauer legten die Köpfe in den Nacken und hielten den Atem an.

Als Gregor nach einem Doppelsalto rückwärts, auf den er sehr stolz war, die Matratze verfehlte, rief das Gepolter eines fallenden Stuhls die Eltern in sein Zimmer.

Stumm sassen sich die drei an diesem eiskalten Morgen seines neunten Geburtstags beim Frühstück gegenüber.

„Wir wissen, dass du inzwischen ein sehr geübter Leser bist“, sagte Herr Schröder, und seine Stimme schwankte zwischen Vorwurf und Stolz.

„Du glaubst, dass du Geheimnisse vor uns hast, aber …“ Er liess den Satz unvollendet.

„Geheimnisse sind gut und schön, aber wir möchten, dass du sinnvolle Träume träumst“, ergänzte Frau Schröder. Sie legte ein Geschenk neben Gregors Teller. Es war in blauweisses Papier eingewickelt und Gregor dachte, wie gut es doch sei, dass er den Turner ganz hinten im Kleiderschrank versteckt hatte, bevor er mit seinen Übungen begann. Er bedankte sich für das dicke Buch über die Gesetze der Schwerkraft und hoffte, dass man ihn nie fragen würde, was drinstand.

Da war sie wieder, die Wut, die ihn mit den Zähnen knirschen liess. Eine Wut auf nichts und auf alles. Eine Wut wie ein brodelnder Vulkan, der ausbrechen wollte, aber nicht ausbrechen konnte.

Zirkus Zauberhaft

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