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Gregor liest eine Botschaft

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Murten, Weihnachten 1917

Der prächtige Weihnachtsbaum mit der rotgoldenen Spitze reichte bis knapp unter die Decke. Stille füllte das Zimmer.

Diese Stille sollte der vierzehnjährige Gregor nie wieder vergessen. Sie ging dem hässlichen Geräusch voraus, mit dem sein Vater das grosse bunte Zirkusbild, an dem er Stunde um Stunde gemalt hatte, mitten durchriss. Er riss auch gleich Gregors Freude an Weihnachten entzwei, teilte sie in immer kleinere Schnipsel. Am Ende waren sie so winzig und eisig wie die nadelspitzen Schneeflocken im Dunkel der Nacht vor den Fensterscheiben.

„Wir möchten dich heute nicht mehr sehen“, sagte Gregors Mutter mit einer Stimme, die genauso eisig und nadelscharf war wie die Schneeflocken, „du kannst deine Geschenke morgen auspacken.“

Gregor stieg leise die Treppe hinauf und schloss die Tür seines Zimmers. Er zählte langsam und nun schon geübt bis dreiundzwanzig ein halb, bevor er das Fenster öffnete und den kalten Schnee auf die heissen Wangen fallen liess. „Ich weiss nicht, was an einem gemalten Zirkus so schrecklich ist!“, sagte er in die Dunkelheit hinaus.

Falls diese Bemerkung eine Frage war, erhielt er darauf keine Antwort, aber er entdeckte, als er das Fenster schon schliessen wollte, eine Dose auf dem Sims. Sie war mit einer roten Schlaufe dekoriert, die ihrerseits mit einem gefrorenen Saum aus Schneekristallen verziert war.

Nanu, er hatte doch nicht Geburtstag. Vor knapp zwei Monaten, an seinem vierzehnten Geburtstag, hatte er bereits ein Geschenk erhalten, nach dem Turner, dem Trompeter, dem kleinen rotweissen Zirkuszelt, der doppelt geknoteten Schlange und dem winzigen schwarzen Zauberzylinder war dieses aus der Reihe tanzende Geschenk das sechste, das siebente, wenn man das Kästchen mitzählte.

Er zögerte das Öffnen der Dose noch etwas hinaus. Dabei fiel sein Blick auf eine angeheftete Karte.

„Es ist einfacher, durchs Leben zu hüpfen, als durchs Leben zu kriechen“, las Gregor. Die im Schnee zerfliessende Schrift kam ihm vage bekannt vor, aber er hielt sich nicht länger damit auf. Er öffnete die Dose, die ein winziges Trampolin und einen Trampolinspringer im Clownskostüm enthielt. Der Springer war aus Hartgummi, und wenn man ihn auf das Trampolin fallen liess, hüpfte er hoch und machte einen Salto.

Gregor verbarg das Trampolin bei den übrigen Geschenken ganz hinten in seinem Schrank. Die Karte las er wieder und wieder. „Es ist einfacher, durchs Leben zu hüpfen, als durchs Leben zu kriechen“. Den Springer steckte er als Glücksbringer in die Hosentasche. Er behielt ihn fest in der Hand, als er die Treppe hinunterging, um seine Eltern zu fragen, was an einem gemalten Zirkus Schlimmes dran sei.

Er hörte ihre aufgebrachten Stimmen durch die geschlossene Tür. Auf halbem Weg blieb er stehen und horchte. Er drehte den Trampolinspringer um und um.

„Zweiundzwanzig, dreiundzwanzig, dreiundzwanzig ein halb“, murmelte er vor sich hin.

Dennoch verliess ihn der Mut und er ging die Treppe wieder hinauf. Er vermied die eine knarrende Stufe und schloss ganz leise die Tür.

Zirkus Zauberhaft

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