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2.5.1 FrequenzanalysenFrequenzanalyse

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Moderne Korpora bieten die Möglichkeit, mit einfachen Mitteln auf umfangreiche Textsammlungen zuzugreifen und darin nach verschiedensten Kriterien wiederkehrende Muster in der Sprachverwendung zu suchen (vgl. z.B.PerkuhnPerkuhn/KeibelKeibel/KupietzKupietz 2012). Wer, wo, wann, in welchem Kontext die hier diskutierten Wörter verwendet und welcher Höflichkeitsbegriff diesen Verwendungen zugrunde liegen könnte, lässt sich in den Korpora des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache (hier: COSMAS IICOSMAS II) und im DWDS (Digitales Wörterbuch der Deutschen Sprache) gut nachvollziehen.

Wir möchten hier keine eingehende KorpusanalyseKorpusanalyse vornehmen, aber doch einige Daten aus den beiden Korpora präsentieren, die die Beschreibung des alltagssprachlichen Höflichkeitsbegriffs bereichern können. Neben Frequenzübersichten werden dabei vor allem die GebrauchsumgebungenGebrauchsumgebung relevant, also die Frage, mit welchen anderen Lexemen die Höflichkeitswörter signifikant häufig zusammen gebraucht werden und mit welchen sie charakteristische Komposita bilden. Eine semantische Analyse solcher Verbindungen (die hier oberflächlich bleiben muss) wird Hinweise darauf ergeben können, was Sprecher meinen, wenn sie von Höflichkeit oder Unhöflichkeit sprechen. Sie bildet das in Gebrauchstendenzen sedimentierte Wissen der Sprachgemeinschaft ab, das jedem Sprachbenutzer präsent ist – was nicht heißt, dass es sich um explizit abrufbares Wissen handelt. Im Gegenteil: In vielen Fällen sind Sprecher sich nicht darüber bewusst, dass sie bestimmte LexemverbindungenLexemverbindung bevorzugt verwenden und andere Möglichkeiten zwar zur Verfügung stehen, in den meisten Fällen aber nicht aktiviert werden.

In Cosmas II findet sich zunächst die Möglichkeit, im Deutschen Referenzkorpus (DeReKo) und anderen Textsammlungen die Frequenz der Lexeme und ihre historische Entwicklung zu verfolgen. Das Cosmas II-Korpus umfasst diverse Einzelkorpora mit Zeitungstexten, Protokollen von Parlamentsdebatten, literarische Texte und vielen weiteren Textsorten aus den letzten Jahrhunderten. Insgesamt sind nach Angaben des IdS ca. 9 Mrd. Wortformen erfasst. Die Suche nach allen Wortformen von höflich, unhöflich, Höflichkeit und Unhöflichkeit in allen öffentlich zugänglichen Korpora ergibt folgendes Bild:


Abb. II.3: Gebrauchsfrequenzen im COSMAS II-Korpus, Stand: 18.9.2020

Die Kurven zeigen einen auffälligen Anstieg ab den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts. Die Frequenzwerte für höflich für die 50er, 60er und 70er Jahre lagen bei 771, 1328 und 1126, um dann in den 80ern auf 1533, in den 90ern auf 9597 und schließlich im neuen Jahrtausend auf den Wert von 25735 zu steigen. Für das zweite Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts sind fast 30000 OkkurrenzenOkkurrenz erfasst. Fast parallel, wenn auch auf niedrigerem Niveau, verläuft die Kurve für das Substantiv. Auch hier beginnt in den 80er Jahren eine signifikante Entwicklung: Vorher (70er Jahre) lag die Gebrauchsfrequenz bei 660, in den 80ern selbst bei 689, in den 90ern bereits bei 3945. Weniger häufig, aber ebenfalls mit ansteigender Tendenz, werden die beiden abgeleiteten Lexeme mit Negationspräfix verwendet. Auch hier sind für das Adjektiv höhere Werte zu verzeichnen als für das Substantiv.

Die Unterschiede zwischen Adjektiven und Substantiven lassen sich als Hinweis darauf interpretieren, dass die Lexeme in der Alltagskommunikation typischerweise dazu verwendet werden, Verhalten zu klassifizieren, zu werten und mit einem entsprechenden Etikett oder Label (vgl. CulpeperCulpeper 2011, 76ff.) zu versehen. Die Verwendung der Adjektive wäre damit Teil einer Art metasprachlichen Aktivität: Wer sie verwendet, der spricht über das sprachliche (und auch nicht-sprachliche) Verhalten anderer Menschen und bewertet dieses. Die Substantive treten seltener auf; das lässt sich mit der Hypothese erklären, dass abstraktere Begriffe in der nicht-wissenschaftlichen Kommunikation keine so große Rolle spielen, aber doch bemerkenswert präsent sind – vor allem in den Jahren nach 1980.

Die zeitliche Entwicklung kann insgesamt sicher nicht nur damit erklärt werden, dass für die letzten Jahrzehnte mehr Texte erfasst worden sind. Sie deuten vielmehr darauf hin, dass Höflichkeit und Unhöflichkeit in immer weiter steigendem Ausmaß zum Gegenstand von Diskussionen und Reflexionen werden. Die statistischen Angaben bestätigen eindeutig den Eindruck, den auch viele Beobachter des deutschen Buchmarktes haben: Werke über Höflichkeit, Ratgeber, Benimmbücher, Etikette-Leitfäden und Ähnliches haben in den letzten Jahren Hochkonjunktur. Ganz offensichtlich gibt es in der Gesellschaft um die Jahrtausendwende ein starkes Bedürfnis, über angemessenes und unangemessenes Verhalten nachzudenken und zu diskutieren. Das bedarf sicher einer vertiefenden Analyse im Zusammenhang mit der Beschreibung allgemeinerer gesellschaftlicher Tendenzen. Wir werden das Thema wieder aufgreifen. Hier sei noch einmal darauf hingewiesen, dass die Angaben aus der Frequenzanalyse auch nicht überbewertet werden sollten; es handelt sich immer nur um absolute Zahlen, nicht um relative Frequenzen. Eine im Vergleich zu früheren Zeiten höhere Anzahl erfasster Texte aus den letzten Jahrzehnten verfälscht das Bild.

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