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3.2.3 Höflichkeitserziehung
ОглавлениеDie Normvorstellungen der Kunst der guten Unterhaltung bezogen neben den detaillierten Vorschriften zu SprechstilSprechstil und WortwahlWortwahl auch para- und nonverbalpara- und nonverbales Gesprächsverhalten ein (z.B. Wohlklang der Stimme, Lautstärke und Sprechgeschwindigkeit).
In Konstanze von Frankens Katechismus des guten Tones und der feinen Sitten, 1890 in 16. Aufl. erschienen, ergehen z.B. eindeutige Ermahnungen an die jungen Damen und Herren, im gesellschaftlichen Gespräch emotional gefärbte Wörter (z.B. feudal, famos, sündhaft, infam, patent, pyramidal, superbe, phänomenal sowie kolossal) sowie politische und religiöse GesprächsthemenGesprächsthemen zu vermeiden. Sie führten zu leidenschaftlicher Erregung und feindseligen Spannungen, die jeder angenehmen Unterhaltung ein Ende machen.
Trotz dieser engmaschigen sprachreglementierenden Vorschriften galt auch das bildungsbürgerliche Ideal nach wie vor dem „leichten“, von konkreten Handlungszwecken losgelösten Gespräch. Die geistreiche Konversation diente, als weitgehend selbstzweckhafter Zeitvertreib, einer sozialen Abgrenzung (nach unten) und der bildungsbürgerlichen Selbstvergewisserung (vgl. Linke 1996b).
Einen Überblick über die große Anzahl von Anstands- und ManierenbüchernAnstandsbuch in der Zeit von 1870 bis 1970 vermittelt die Studie von Krumrey (1984). Sie veranschaulicht den Wandel ungeschriebener Verhaltensnormen als Stationen des ZivilisationsprozessesZivilisationsprozess, den EliasElias (1939/1976) beschrieben hat. Die Entwicklungsstufen werden in sechs zentrale Beziehungstypen strukturiert, darunter: Beziehungen zu sich selbst (u.a. Sprachgebrauch, Gestik, Mimik, Körperhaltungen) und zu anderen Personen (je nach Alter, Geschlecht, Status, Vertrautheit) bis hin zum Gebrauch des Taschentuchs „als Gerät zur normgerechten, standardisierten Regulierung spezifischer körperlicher Äußerungen“ (Krumrey 1984, 233).
Aus dem Abschnitt über Verhaltensstandards zur Äußerung von Affekten, Gefühlen und Empfindungen seien die folgenden drei Zitate aus verschiedenen Epochen präsentiert:
Vermeide in deiner Rede alles Affektirte und Gezierte […] Sprich weder zu langsam, noch zu geschwind; weder zu laut noch zu leise, und bediene dich keiner gemeinen und zweideutigen Worte […]. Dein Vortrag gebe Zeugnis von einer gründlichen Kenntnis der Sprache und sei durchaus grammatisch richtig. (Höflinger 1885, zit. nach Krumrey 1984, 275)
Rein, korrekt, gesittet, fließend, bündig, verständlich und angenehm sind die Eigenschaften, die man beim Sprechen sich zur Gewohnheit machen soll. Rein: also dialektfrei […]. Gesittet: Ordinäre Redewendungen der Gasse sind zu vermeiden. (Adelsfeld 1899, zit. nach Krumrey 1984, 269)
Die Zugehörigkeit zur guten Gesellschaft legt auch Verpflichtungen im Gebrauch der Sprache und in der Unterhaltung auf. Sehr wichtig ist es, daß man den Personen, mit denen man spricht, frei und offen ins Auge blickt. (Bodanius 1957, zit. nach Krumrey 1984, 273)
Die schon erwähnten Tendenzen der Normierung, KodifizierungKodifizierung und InstitutionalisierungInstitutionalisierung der konversationellen Praxis setzten sich im 19. Jahrhundert verstärkt fort. Sie führen zu einer Verstärkung der technischen Momente in der Anweisungsliteratur und einer Entwicklung „von der Kunst der Konversation zur Technik der Gesprächsführung“ (NeulandNeuland 1998).
Hervorzuheben ist dagegen aber auch das einsetzende theoretische Interesse am Gespräch (vor allem durch v. HumboldtHumboldt) sowie die zunehmende Verwissenschaftlichung der Konversationstheorie, vor allem bei FreudFreud und SimmelSimmel. Letzterer hat in seiner Eröffnungsrede zum ersten deutschen Soziologentag 1910 über Soziologie der Geselligkeit als Spielform der Vergesellschaftung das Gespräch als den „breitesten Träger aller menschlichen Gemeinsamkeit“ (2001, 187) bezeichnet und dabei die Rolle des „TaktgefühlsTaktgefühl“ (180) hervorgehoben. Mit der gesprächshaften Wechselwirkung tritt der „Doppelsinn des Sich-Unterhaltens“ in seine Rechte – ohne ein Eigengewicht des Inhalts. Sobald die Diskussion sachlich wird und es um die Eruierung einer Wahrheit geht, verliert sie nach Simmel ihren „Charakter als gesellige Unterhaltung“ (188).
Den Gedanken vom „Glück der Konversation“ hat Schlieben-LangeSchlieben-Lange in einem Beitrag von 1983 im Rückgriff auf Konversationsethiken des 17. Jahrhunderts entfaltet. Dass das Miteinanderreden als eine besonders glückhafte Form menschlichen Zusammenlebens empfunden wird, führt sie auf die These vom „Gespräch als Ort der Synthesebildung“ zurück, losgelöst von der Bewältigung der Alltagsnotwendigkeiten und praktischer Finalitäten.1 Versteht man das Gespräch als „Ort der zeitweiligen Vereinigung unvereinbarer Identitäten“ (Schlieben-Lange 1983, 141f.), liegt das Glück im Gespräch in der Objektivierung und Bewusstwerdung durch die Versprachlichung einschließlich der Erfahrung von IdentitätIdentität und DifferenzDifferenz2 sowie in der Möglichkeit der intersubjektiven Verständigungintersubjektive Verständigung, zumal in Zeiten schwindender Gemeinsamkeiten von Wissensbeständen und Verhaltensnormen in der Moderne.