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3.2.2 KniggeKnigge

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Eingeleitet durch die beiden in diesem Sektor wichtigsten deutschen Texte Über den Umgang mit Menschen (1788) von Adolf Freiherr Knigge sowie Das ideale Gespräch (1797) von Christian Garve ist zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Deutschland ein bedeutender Anstieg der Anstandsliteratur zu verzeichnen. Hier liegen also die Ursprünge einer bestimmten Form der Thematisierung von Höflichkeit, die bis heute wirkmächtig ist, wie wir in Kapitel. 2.2 gesehen haben.

Das Werk von Knigge unterscheidet sich allerdings grundlegend von früheren sowie späteren Anstandslehren; es stellt eine Zäsur in der Geschichte der deutschen Höflichkeit dar, gerade weil es keine BenimmfibelBenimmfibel sein will. Auch findet sich keine vergleichbare Entwicklung im zeitgenössischen Europa, zumal nicht in Frankreich, das damit auch seine Vorbildfunktion für höfliches Verhalten einbüßte.

Die Entstehung des Werkes ist eng verbunden mit der sozialen Differenzierung der bürgerlichen Gesellschaft, die anstelle der Modellfigur des HofmannesHofmann verschiedene gesellschaftliche Stände unterschied und den Kaufmann zur neuen Modellfigur erhob. Es ist das Verdienst Knigges, diese Pluralität von sozialen Positionen und Interaktionsanforderungen mit einer Differenzierung von HöflichkeitsstilenHöflichkeitsstil in Verbindung zu bringen. Sein Anliegen zielt aber nicht auf Unterscheidung im Sinne von Ausgrenzung, sondern gerade umgekehrt auf soziale IntegrationIntegration. Diese soziale Differenzierung zeigt sich deutlich in der Gliederung des Werkes:


Abb. III.3: Über den Umgang mit Menschen. Inhaltsverzeichnis der 18. Originalausgabe, Hannover und Leipzig (1908, XIII/XIV)

Die „Lebenslehre“ Knigges als Angehöriger des Adelsstandes verdankt sich sowohl der Reflexion höfischer als auch bürgerlicher Gesellschaftserfahrungen. Sein Werk stellt ein bürgerliches Gesellschaftsprojekt dar, „das die Erziehung der Person zu größerer sozialer Integrations- und kommunikativer Interaktionsfähigkeit ins Zentrum stellt“ (PittrofPittrof 1991, 165). „Wichtig ist“, so MontandonMontandon in seiner Einleitung (1991b, 15), „dass der neue Umgang eine allgemeine Kommunikation ermöglicht, die sich weit mehr auf universelle Werte der Integrierung gründet als auf Prinzipien des Ausschlusses.“

Als ein besonderes Gesellschaftsritual galt im gehobenen Bürgertum exemplarisch die VisiteVisite, der „AnstandsbesuchAnstandsbesuch“, für den ein ganzer Verhaltenskodex im Hinblick auf Anlässe, Zeitdauer, Sitzordnung, Gesprächsablauf, Redeverteilung, Themenwahl, Begrüßungs- und Verabschiedungsfloskeln verabredet wurde. Die Pädagogin und Frauenrechtlerin Marie Calm schreibt dazu in ihrem 1886 erschienenen Werk Die Sitten der guten Gesellschaft: „Der Anstandsbesuch oder die ‚Visite‘, wie man früher sagte, um diesen kurzen Besuch von anderen längeren zu unterscheiden, hat den Zweck, die Beziehungen zwischen Personen, die gesellig miteinander verkehren, aufrecht zu erhalten und bei besonderen Gelegenheiten sich gegenseitig seine Teilnahme auszusprechen.“

Anlässe (z.B. freudige, traurige, Zuzug in fremde Umgebung), Zeitpunkte (zwischen 12.30 und 13 Uhr) und Dauer (20 bis 30 Minuten) und Besuchstoilette (kurzes Kleid mit passendem Umhang, Hut und Handschuhe, bei Herren dunkler Oberrock und dunkle – nicht schwarze – Handschuhe, Überzieher, Stock und Schirm sind nicht salonfähig …usw.) sind genau vorgeschrieben. Um den zeitgenössischen Höflichkeitsnormen zu entsprechen, musste man sich daran halten.


Abb. III.4: Die Sitten der guten Gesellschaft. Aus: Calm 1886 (Wikipedia zeno/org) [12.08.2020]

Sprachliche Höflichkeit

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