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4 Ausdrucksformen sprachlicher Höflichkeit im Deutschen 4.1 Höflichkeit und Sprache

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Höflichkeit wird in vielen Fällen auch oder vor allem sprachlich realisiert. Man kann wortlos einer Dame die Tür aufhalten, sich wortlos vor jemandem verbeugen oder jemandem im Bus Platz machen und ihn oder sie dabei anlächeln. Das alles ist sicherlich höflich. In sehr vielen prototypischen Beispielen für Höflichkeit gehört aber eine sprachliche Äußerung dazu; eine Begrüßung wird normalerweise verbal vollzogen, ein Dank oder eine Entschuldigung sind ohne die Verwendung einer rituellen Formel oder eines performativen Verbs zumindest umständlich und vielleicht mehrdeutig.

Hier stellt sich die Frage, wie die Höflichkeit einer bestimmten Äußerung mit den von den SprecherInnen verwendeten Wörtern, PhrasemenPhrasem, grammatischen Strukturen, Satztypen, Betonungen oder sonstigen sprachlichen Mitteln zusammenhängt. Konkreter gefragt: Muss man, wenn man GesprächspartnerInnen höflich kritisieren möchte, eine Formel wie mit Verlaub verwenden? Muss man eine Bitte in einen Fragesatz verpacken, die höfliche Anrede wählen, den Konjunktiv verwenden oder Lexeme wie bitte, wenn man höflich sein möchte? Es ist keineswegs klar, ob diese und andere sprachlichen Strukturen einen notwendigen oder sogar hinreichenden Grund dafür darstellen, dass eine Äußerung als höflich angesehen werden kann.

So gut wie alle neueren Beiträge über Höflichkeit verweisen auf die Einsicht „[…] no linguistic structure can be taken to be inherently polite“ (WattsWatts 2003, 168); sie gehen davon aus, dass Höflichkeit nicht eine Eigenschaft von Wörtern und Sätzen, sondern von Ausdrücken und Äußerungen, also Wörtern und Sätzen im Kontext, ist. Ähnlich formulieren es KádárKádár/HaughHaugh: „[…] politeness does not reside in particular behaviours or linguistic forms, but rather in evaluations of behaviours and linguistic forms“ (Kádár/Haugh 2013, 57). Die Verwendung des Konjunktivs in einer Bitte (Könntest du mir die Zeitung vorlesen?) wäre damit weder notwendig noch hinreichend, um diese Sprechhandlung als höflich zu qualifizieren. Die Höflichkeit oder der Grad an Höflichkeit hängt vielmehr entscheidend davon ab, wer wo wann zu wem so etwas in welcher Umgebung sagt und wie die Äußerung von den AdressatInnen oder auch von BeobachterInnen bewertet wird.

Das ist einleuchtend, sollte aber nicht dazu führen, dass der sprachliche Aspekt unterschätzt wird. Die Annahme, dass die Höflichkeit einer Äußerung auch davon abhängt, ob bestimmte sprachliche (grammatische, lexikalische, phraseologische usw., aber auch phonetische/prosodische) Strukturen verwendet wurden, ist gut begründet. „Zum Ausdruck der Höflichkeit gibt es viele sprachliche und außersprachliche Formen“ (WeinrichWeinrich 1993, 102). Schon Kindern wird beigebracht, dass die Verwendung von Wörtern wie bitte oder danke in vielen Situationen einen entscheidenden Unterschied ausmacht. Es gibt im Deutschen wie in allen anderen Sprachen ganz offensichtlich sprachliche Formen, die auch oder vor allem die Funktion haben, eine Äußerung so zu konturieren, dass die AdressatInnen eine Botschaft auf der Beziehungsebene rezipieren, die dann dazu führen kann, dass sie die SprecherInnen oder zumindest deren Äußerungen als höflich klassifizieren.

Leech bringt diese Intuition in die Form einer Unterscheidung zwischen zwei verschiedenen Typen von Höflichkeit. In einer älteren Arbeit (Leech 1983) spricht er von absoluter versus relativer Höflichkeit, in einem späteren Werk (LeechLeech 2014, 15ff.) von pragmalinguistischer versus soziopragmatischer Höflichkeitsoziopragmatische Höflichkeit. Mit dem ersten Teil der Begriffspaare ist gemeint, dass manche Sätze auch ohne Kenntnis des Kontexts als höflich angesehen werden können: „Pragmalinguistic politeness is assessed on the basis of the meaning of the utterance out of context […]“ (Leech 2014, 16). In diesem Sinne kann eine Äußerung mehr oder weniger höflich sein, das Gegenteil von höflich wäre nicht-höflich. Vielen Dank wirkt in der Regel höflicher als Danke, die Abwesenheit jeglicher Dankesformel in Kontexten, in denen sie erwartbar wäre, betrachtet Leech als nicht-höflich. Der zweite Terminus der Begriffspaare bezieht sich dann auf die kontextsensitiven Formen von Höflichkeit, in denen die sprachliche Form nicht als wichtigste Erklärungsgrundlage für die Evaluation der Äußerung herangezogen werden kann: „[…] social judgements of politeness depend not just on the words used and their meanings but also on the context in which they are used […]“ (Leech 2014, 17). In diesem Sinne gibt es ein situationsangemessenes Ausmaß an Höflichkeit und – als Alternative – ein höheres oder ein zu niedriges Ausmaß. Wenn SprecherInnen höflicher sind als es in der Situation erforderlich ist, werden sie als höflich empfunden, tun sie weniger, dann sind sie nicht nicht-höflich, sondern unhöflich. Die Unterscheidung mag im Einzelnen schwer nachvollziehbar und diskussionswürdig sein – angefangen bei der Frage, ob es sinnvoll ist, von Äußerungen ohne Kontext zu sprechen. Wir übergehen hier solche Diskussionen und beschränken uns auf den Hinweis, dass bei so gut wie allen Äußerungen, die aus dem einen oder anderen Grund als höflich angesehen werden, die sprachliche Form eine gewisse Rolle spielt.

In diesem Kapitel werden wir der Frage nachgehen, wie der Grad an Höflichkeit einer Äußerung mit ihrer sprachlichen Realisierung zusammenhängt. Dabei beziehen wir uns vor allem auf das Deutsche. Nach einem Blick auf die Thematisierung von Höflichkeit in ausgewählten Grammatiken werden wir einige Phänomene näher betrachten, vor allem die pronominale Anredepronominale Anrede, den KonjunktivKonjunktiv PräteritumPräteritum als Höflichkeitsform, RoutineformelnRoutineformel und schließlich Höflichkeit als Stil. Diese kleinen Fallstudien repräsentieren auch die verschiedenen Ebenen der sprachlichen Formen: die morphosyntaktische, die lexikalische, die phraseologische Struktur von Sätzen bzw. Äußerungen sowie die pragmatische Ebene von Sprechhandlungen als kommunikative Einheiten. Die Einteilung dient auch dazu herauszufinden, auf welcher Ebene der sprachlichen Organisation Höflichkeit angesiedelt werden muss und ob und in welcher Hinsicht man davon ausgehen kann, dass Höflichkeit im Deutschen und in anderen Sprachen sprachlich enkodiert ist. Dabei können wir leider nicht auf die phonetische/prosodische Struktur von Äußerungen eingehen; wir können hier nur auf die Bedeutung dieser Ebene hinweisen.

Die zentrale Frage wird dabei immer sein, inwieweit das jeweilige Phänomen notwendig und/oder hinreichend ist, um eine Äußerung höflich zu machen, welchen Beitrag die „Höflichkeitsform“ für die Erklärung von Höflichkeit geben kann, ob Höflichkeit ein Bestandteil der Bedeutung von Wörtern, Mehrwortlexemen oder morphosyntaktischen Formen ist und wie man erklären kann, dass gerade diese Formen als höflich angesehen werden können. Mit anderen Worten: Wie ist der Zusammenhang zwischen dem Grad an Höflichkeit einer Äußerung auf der einen und der Form ihrer sprachlichen Realisierung auf der anderen Seite darstellbar?

Sprachliche Höflichkeit

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