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Großmutter Schira hatte im Alter nicht nur ihre Kampfkraft verloren, sondern damit auch ihre Wehrfähigkeit. Hätte sie nicht unter dem besonderen Schutz des Königs gestanden, wäre sie möglicherweise schon länger nicht mehr am Leben gewesen, denn im Laufe der Zeit war sie natürlich einigen Leuten auch innerhalb des Kartells in die Quere gekommen. Aus diesem Grund wohnte sie nicht irgendwo in der weitläufigen Hauptstadt von Alpha Epsilon, sondern natürlich direkt im Herrscherpalast.

Die Wachen kannten sie zur Genüge. Und sie wussten um ihre grausigen Gelüste. Also fiel es ihnen nicht sonderlich auf, als sie an einem der Nebeneingänge mit dem kleinen Jungen an der Hand auftauchte.

„Oh, der Palast!“, freute sich der kleine Erik. Seine Augen strahlten förmlich.

Die scheinbar gütige Oma lächelte milde.

„Ja, mein kleiner Erik. Das ist der Palast des Herrschers. Ich stehe nämlich unter seinem besonderen Schutz und darf ebenfalls hier wohnen. So wie er.“

„Bist du denn die Großmutter des Königs?“

„Nun, nicht ganz, aber durchaus so ähnlich: Er liebt mich tatsächlich wie seine eigene Großmutter.“

„Du bist aber auch eine ganz besonders gute Oma!“, lobte Erik sie.

Großmutter Schira fühlte sich tatsächlich geschmeichelt. Obwohl sie sich im Stillen bereits ausmalte, wie wohl das Fleisch des Jungen schmecken würde. So halb durchgebraten, also im Innern noch ein wenig blutig…

Erik strahlte sie an und hatte nichts dagegen, gemeinsam mit Großmutter Schira den Palast zu betreten.

Nur die Wachen machten finstere Gesichter. Sie waren allesamt Mörder, eben das, was man menschlichen Abschaum nannte. Aber die Gelüste von Großmutter Schira waren sogar ihnen zuwider, und das sollte wirklich etwas heißen.

Trotzdem hatten sie nicht die Macht, etwas dagegen zu tun, etwa ihr neues Opfer vor ihr zu retten. Das hätte unweigerlich den tödlichen Zorn ihres Königs erregt, und das wollte natürlich keiner von ihnen riskieren.

Ungeschoren drang Großmutter Schira mit ihrem Opfer Erik tiefer in den Palast ein. Aber es ging nicht in eines der schmucken Gemächer über der Oberfläche, sondern schnurstracks hinunter in den finsteren Kellerbereich, dorthin, wo er am finstersten war.

Das wunderte Erik anscheinend.

„Wohnst du denn nicht oben beim Herrscher, sondern hier unten?“

„Doch, ich wohne durchaus oben, aber wir beide gehen jetzt trotzdem dort hinunter.“

„Aber warum denn, Oma Schira?“

Inzwischen hatte sie ihm verraten, wie sie hieß. Eben Schira. Und er nannte sie fast liebevoll Oma Schira. Das wärmte ihr kaltes Herz, und sie würde sich gern daran zurück erinnern, wenn sie sein Fleisch genoss. Das nahm sie sich jedenfalls in diesem Augenblick fest vor.

Es ging eine steile Treppe hinab. Und schon hier oben konnte man etwas riechen, was ganz typisch war: Blut!

Erik wurde anscheinend misstrauisch, denn er fragte:

„Warum gehst du mit mir dort hinunter, Oma Schira?“

„Damit man nicht deine Schreie hört!“, antwortete sie ungewöhnlich sanft, was ihren Worten eigentlich die schlimme Wirkung nahm.

Erik sah sie von schräg unten an.

Sie lächelte einnehmend.

„Meine… Schreie?“

„Ja, wenn ich dich auf das Schlachten vorbereite.“

„Du schlachtest dort unten? Für ein Essen, zu dem auch ich eingeladen bin?“

„Oh, ja, du bist sogar ganz besonders eingeladen, weil du das Wichtigste überhaupt bist bei dem bevorstehenden Mahl.“

Das schien Erik jetzt tatsächlich zu beruhigen.

Mit jedem Schritt, den sie tiefer gingen, verstärkte sich der Blutgeruch, und ein wenig mischte sich auch noch der Geruch von Verwesung hinein.

Dies hier war der besondere Bereich von Großmutter Schira. Niemand hatte hier Zutritt, außer natürlich König Feisal Allamon. Doch dieser hätte sich gehütet, hier nach dem Rechten sehen zu wollen. Er gehörte zwar zu den schlimmsten Menschen, die es jemals im Universum gegeben hatte, aber sogar ihm waren die Gelüste von Großmutter Schira zuwider.

Aber er hatte ihr nun einmal geschworen, sie für immer zu beschützen. Nichts würde ihn davon abhalten. Es sei denn, Großmutter Schira hätte sich gegen ihn gewendet. Und genau das würde sie natürlich niemals tun, denn sie wusste ja, was sie an ihrem König hatte.

Erik ging weiter und wurde zunehmend munterer.

Diese besondere Fröhlichkeit, die Großmutter Schira an ihm entdeckte, machte sie ein wenig misstrauisch. Aber nur ein wenig. Warum sollte der kleine Erik denn nicht fröhlich sein, in den letzten Minuten, in denen er das noch sein durfte, ehe für ihn das qualvolle Ende begann?

Sie lächelte wieder. Diesmal grausam. Ihre Lippen bildeten dabei dünne Striche. Ihre unzähligen Runzeln in einem Gesicht, das wie mumifiziert wirkte, strafften sich sogar ein wenig.

Jetzt sah sie keineswegs mehr aus wie die gutmütige, liebe, nette Oma, die mit ihrem geliebten Enkel einen Spaziergang in die Unterwelt des Herrscherpalastes wagte, sondern es war die grausame Maske einer gnadenlosen Menschenfresserin.

Erik schien es nicht zu sehen. Er gab sich zunehmend fröhlicher noch. Anscheinend konnte er kaum erwarten, was dort unten auf ihn lauerte.

Dann betraten sie gemeinsam die Folterkammer mit dem großen Kamin.

Sie liebte es, die geschundenen Opfer aufzuspießen und über dem offenen Feuer zu braten.

Jetzt ging sie in die Knie, bis sie mit Erik in Augenhöhe war.

Er sah in ihre kalt glitzernden Augen. Aber er lächelte.

„Hast du denn keine Angst, kleiner Erik?“

„Natürlich nicht, denn ich habe ja meinen Beschützer mit dabei.“

Sie runzelte überrascht die Stirn.

„Beschützer?“, echote sie.

Gleichzeitig hörte sie hinter sich ein seltsames Geräusch, wie ein Schnauben.

Unwillkürlich fuhr sie hoch und wirbelte gleichzeitig halb um die eigene Achse. Trotz des alten, ausgemergelten Körpers gelang ihr das.

Hinter ihr stand ein fürchterliches Ungetüm, das aussah wie ein Saurier aus der Urzeit. Beinahe drei Meter groß, so dass es sich bücken musste in dem unterirdischen Raum.

Es riss das mit nadelspitzen Zähnen bewehrte Maul auf.

Großmutter Schira hatte mal irgendwo ein Bild von einem fleischfressenden Saurier gesehen, der diesem hier wirklich verblüffend ähnelte, als er sein Maul aufriss und ihr die Hand abbiss, die sie schützend vor sich hielt.

Großmutter Schira schrie vor Entsetzen und noch mehr vor Pein. Der Schock war so groß, dass der Armstumpf gar nicht blutete.

Erik hatte sich inzwischen ein wenig zurückgezogen.

„Das ist ein Gorlo“, erklärte er unbekümmert. „So nennt man diese Saurierart auf dem Planeten, von dem ich komme. Und ich hatte einen guten Grund, hierher zu kommen: Rache am Adakoni-Kartell! Und glaube mir, ich kenne mindestens genauso wenig Gnade wie du jemals in deinem beschissenen Leben. Ich werde dich von meinem Gorlo systematisch auffressen lassen, bei lebendigem Leib. Bis du qualvoll verblutest.“

„König Feisal wird mich rächen!“, gurgelte die Alte und versuchte zu fliehen.

Ein Hieb mit einer der Pranken brachte sie zu Fall. Dann war der Gorlo über ihr.

Man konnte nicht mehr viel von ihr sehen, doch man hörte ihre grausamen Schreie.

Diesmal nicht die Schreie ihrer Opfer, sondern zum ersten Mal ihre eigenen schreie.

Erik stand wie unbeteiligt abseits, mit leerem Gesichtsausdruck.

„Ja, ich kenne genauso wenig Gnade wie du in deinem beschissenen Leben“, wiederholte er ungerührt. „Allerdings ist mein Motiv ein völlig anderes. Du hast getötet, um des Tötens Willen. Ich jedoch töte aus unstillbarer Rache. Ich werde nicht eher ruhen, bis es das Adakoni-Kartell nicht mehr gibt. Egal wie lange es dauern wird. Und da ich keinen Tag älter werde als fünf Jahre, hoffe ich doch, ich lebe lange genug, bis meine Rache vollendet ist.“

Gestrandet in der Unendlichkeit: Paket 15 Science Fiction Abenteuer

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