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*** #05 ***

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Du hast einfach keinen Style, Alter! Deshalb wird dir die Kleine auch niemals die Gurke frittieren.

Das waren die Worte von Thomas Leinhart, dem letzten Menschen in der BRD, dessen Wortschatz sich, seit man noch BRD gesagt hat, nicht weiterentwickelt hat. Und der stolz darauf ist.

Auf die Frage, was ich denn ändern müsste, um meine Gurkenfrittierchancen zu steigern, fielen Leines’ Tipps eher unkonkret aus.

Weiß nicht, Alter, erst mal musst du was an deiner Bude ändern. Dieser ganze Nerd-Scheiß muss raus, darauf stehen die Ladys nicht. Das Ganze muss modern aussehen, eher so Bond-Bösewicht-mäßig. Leer, nur ein bisschen Bauhaus-Kram und ’nen Glastisch, verstehste?

Es folgten wirre Ausführungen darüber, dass die Bösewichte im Film immer am besten eingerichtet sind, was ja auch irgendwie stimmt. Die wohnen immer in einem riesigen Penthouse, wo nix drinsteht, außer einem Aquarium mit tödlichen Kampffischen vielleicht.

Leines kam richtig druff bei seiner Style-Beratung.

Genau! Du brauchst solche Gravity Boots wie Richard Gere in »American Gigolo«, mit denen du dich an die Decke hängen kannst, um Sit-ups zu machen.

Sagte der Mann, der seine letzten Sit-ups, oder besser gesagt: Klappmesser, im Sportunterricht anno dreiundachtzig machen musste und der mittlerweile den BMI von Jabba the Hutt hat, weil er sich von seiner Dotcom-Kohle ständig dry-aged Steak gönnt.

Und natürlich brauchst du einen Cray-Computer als Sitzecke, dazu eine coole Beleuchtung. Mal überlegen … genau! Ein paar CM-5 von Thinking Machines, du weißt schon, diese geilen Schränke mit den blinkenden LED-Bändern am Rand, die sie auch bei »Jurassic Park« hatten.

Es folgten noch etliche Tipps dieses Kalibers, die komischerweise alle seine Style-Regel Nummer eins – kein Nerd-Scheiß – verletzten. Lag wohl daran, dass er sich, was das angeht, zuhause nicht ausleben kann.

Azra trimmt ihn ja immer auf Business-Kasper, mit Manschettenknöpfen und standesgemäßen Hobbys. Im Suff hat er mir mal gestanden, dass er kleine Revell-Bausätze im Lambo dabeihat und manchmal heimlich auf ’nen Parkplatz fährt, um da in Ruhe eine Me 109 zusammenzukleben. Azra sagt er dann, er wäre Golf spielen gewesen. Trotz seiner Kohle ist er eine arme Sau.

Im Prinzip ist Leines’ Tipp ja nicht schlecht. Es schadet sicher nicht, ein bisschen an der Einrichtung zu arbeiten beziehungsweise: überhaupt eine Einrichtung zu haben und nicht nur ein paar Kubikmeter zusammengestellten Elektroschrott. Und auch das Gequatsche von wegen alles muss leer sein, ist kein völliger Unsinn. Wenn nicht so viel Zeug rumliegt, wirkt schon alles ein bisschen cooler.

Leer ist die Bude jedenfalls. Und das war ja auch der Sinn der ganzen Umzugsaktion: Neustart, raus aus dem Nerd-Sumpf.

Als ich das letzte Mal in meinem Zimmer den Boden sehen konnte, war Kohl noch Kanzler und meine Mutter hatte geschrien: »Aufräumen, junger Mann!« Diese Ausnahmesituation hat sich seitdem nicht mehr wiederholt. In der letzten Bude war der Boden mit so hässlichem Wirtschaftswunder-Linoleum ausgelegt, aber das konnte man nie erkennen, weil jeder Quadratzentimeter mit alten Ausgaben von »Elektor« und »Aktueller Software Markt« gepflastert war.

Die sind jetzt alle im Keller, genau wie der Rest der Einrichtung: die alten PC-Tower, der Fisher-Ghettoblaster mit dem abgenudelten Turrican-Soundtrack, mein geliebter GRiD Compass, einfach alles Schöne ist verschwunden. Jetzt ist der Boden leer und man sieht dieses ach so praktische Laminat, das sich am Arsch echt kalt anfühlt.

Du brauchst diese schwarzen Ledersessel, die Bateman in »American Psycho« in seinem Apartment hat. Weißte, in der Huey-Lewis-Szene, wo er dem Typen mit der Axt die Birne …

American Psycho, American Gigolo – was seine Vorbilder angeht, ist Leines auch in BRD-Zeiten stehen geblieben: Alles muss aus Amiland sein, sonst isses Shit. Punkt. Englische Sachen gehen notfalls noch, aber eigentlich taugt alles von dieser Seite des großen Teichs nichts. So richtig abgeschüttelt haben wir das alle noch nicht.

Zumindest einen Vorteil hat der leere Boden: Man sieht jetzt, wie die Sonne beim Untergehen diese goldenen Quadrate auf den Boden wirft, das gäbe ’ne gute Zeitrafferaufnahme.

So sieht also Schröders großer Respawn aus: ohne den abgeranzten Flur mit Lichtschaltern aus Adolfs Zeit, ohne die Patrick-Nagel-Zeichnung von der Duran-Duran-Platte, ohne Greg, der sich nebenan die Rübe wegdampft, während er an der Playsi den Dritten Weltkrieg austrägt.

Das aufgeräumte Apartment eines erwachsenen Menschen.

Irgendwie seelenlos.

Aber es hilft nichts: Grand Nerd Island hat dichtgemacht, für immer. Schröder hat jetzt Style, bei dem ist der Boden so blank, dass man gefahrlos eine Herzverpflanzung drauf durchführen könnte.

Was Harry wohl zum neuen Schröder sagt?

Okay, nach meiner Vorstellung vorhin wird sie hier wohl nicht mehr aufschlagen und den geballten Style in Augenschein nehmen. Es war trotzdem gut, sie wiederzusehen, nach diesem beschissenen Jahr bei meinem neuen Arbeitgeber.

Finanzbuchhaltungs-Software coden – echt die Höchststrafe.

Oder besser gesagt: Finanzbuchhaltungs-Software debuggen, die jemand vor zehn Jahren geschrieben hat. Und bei diesem Jemand handelte es sich – nach der Qualität zu urteilen – um drei Schimpansen, die man vor ein Keyboard gesetzt hat.

Natürlich gibt’s zum alten Code keinen Fitzel Dokumentation, aber das sei »ja wohl kein Thema«, findet Carsten, der Big Boss aus der Hölle, der sich für superqualifiziert hält, weil er im letzten Jahrtausend mal eine Flash-Animation zusammengekloppt hat. Schreit die ganze Zeit »Wir brauchen ein Emm-Wie-Pieh!«, was Minimum Viable Product oder auf Deutsch unausgereifter Schrott bedeutet.

Für Harry zu arbeiten kann nicht schlimmer sein.

Es wäre vermutlich großartig, aber der Zug ist ja nun abgefahren.

Dabei war beim Spaziergang vorhin fast alles wie früher bei der Forensecura: Harry, die ewige Klugscheißerin, und Schröder, das grantige Legacy System, spielen sich locker gegenseitig die Bälle zu, tauschen Nerdigkeiten aus.

Wie viele Frauen gibt es wohl auf dieser Erde, die auf »Darmok und Jalad auf Tanagra« mit »Temba! Seine Arme weit!« antworten? »Star Trek TNG« gehört zu den wenigen essenziellen Sachen, die sie in ihrer offenbar ziemlich traurigen Jugend gesehen hat. Sogar bei meinen ausgelutschten Insider-Jokes über Achselhöhlen-Inspektionen hat sie sich ein Lächeln abgequetscht.

Wenn man mal drüber nachdenkt, sind wir eine fleischgewordene Vorabendserie aus den Neunzigern: Harry und Schröder, das ungleiche Ermittlerduo. Das Ganze bräuchte nur noch einen total flippigen Untertitel, so was in Richtung »Das IT-Girl und der Schnüffler«. Im Vorspann würden wir – ordentlich weichgezeichnet – Rücken an Rücken stehen und total ungezwungen in die Kamera lächeln.

Dabei wollte ich ihr eigentlich die Wahrheit sagen: dass es großartig ist, sie mal wieder zu sehen und so. Aber dann kam nur dieser ganze Scheiß von Anna-Lena und Sojamilch dabei raus und jetzt ist der Moment vorbei. Ich Idiot hätte wieder jeden Tag neben ihr sitzen können, neben Seven of Nine! Thorborg hätte mich ass-similiert!

Sie jetzt noch mal anzurufen und zu fragen, ob das Jobangebot noch gilt, geht natürlich nicht. Das wäre gegen die Ehre. Mister Worf würde sich lieber das Bat’leth in seinen Wanst rammen, als so was zu machen.

Andererseits sind Klingonen vielleicht nicht die besten Lebensratgeber.

Och, Schröder …

Es klingelt. Dieser generische Spießer-Neubau-Gong, nicht mehr der wimmernde Dreiklang des legendären SAB0600-Chips von Siemens …

Wer kann es um die Zeit sein? Bisher hat doch keiner meine neue Adresse.

Bitte, lass es Harry sein, die vor der Tür steht.

Systemabsturz

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