Читать книгу Systemabsturz - Constantin Gillies - Страница 20
*** #14 ***
ОглавлениеNichts ist blöder als der Moment, in dem man sich eingestehen muss, dass man verarscht worden ist.
So wie damals, fünfundachtzig, auf der Plattenbörse, als dieser Typ mitten im Gewühl ankam und fragte, ob ich – zwinker, zwinker – was Besonderes suchen würde. Weil er mit seiner Waver-Frisur halbwegs cool aussah, lallte ich gleich rum, dass ich eine Pressung von Jarres »Musique pour Supermarché« interessant fände. Worauf er meinte, »klar«, seit der Ausstrahlung bei Radio Luxembourg sei das kein Problem mehr. Und weil das so klang, als ob er Ahnung hätte, schob ich Depp ihm also einen Fünfziger rüber. Der Typ stopfte ihn sich in seine Vanilia-Jeans und raunte verschwörerisch rüber: »In zehn Minuten an der Ausfahrt vom Parkplatz!«
Da stand der kleine Schröder dann an der Ausfahrt vom Parkplatz: zehn Minuten, eine Viertelstunde, zwanzig Minuten.
Lustig, was für abstruse Erklärungen das Hirn in so einer Lage ausbrütet: Der Typ ist nur beschäftigt. Der zieht wahrscheinlich noch ’nen anderen, größeren Deal durch. Er ist aufm Klo und die Tür klemmt. Die Bullen haben ihn gekriegt.
Nach einer Stunde kam er dann, dieser peinliche Moment, in dem ich mich nicht mehr belügen konnte, wo klar war: Der hat mich verarscht.
Harry wird hier nicht auftauchen.
Sie hat mich verarscht.
Oder besser gesagt: Die Person, von der die Mail kam, hat mich verarscht. Dass Harry die geschrieben hat, ist ja nicht gesagt, schließlich hätte jeder die Adresse thorborg@thorborgpartner.com spoofen können.
Wenn es zu gut klingt, um wahr zu sein, ist es nicht wahr.
Und das ist leider wahr, Leines, du alter Zyniker.
Warum sollte sie sich auch ausgerechnet hier mit mir treffen wollen? Am totalen Arsch der Welt, Lichtjahre weit weg von jeder Kneipe und so ziemlich jeder Art von Zivilisation. Das ist der einsamste Kiez ever, in der letzten halben Stunde sind original zwei Autos vorbeigekommen.
Bei den ganzen Insta-Touris wird die Brücke bestimmt als Geheimtipp gehandelt, an dem man so supi gruselig-schöne Pics für seine Follower machen kann; ich sehe die Tanten schon vor mir, wie sie auf dem Mittelstreifen posieren, die Arme wie ein Engel ausgestreckt. Dann kommt noch irgendein hausfrauenphilosophischer Dreck unter den Post wie »Folge deinen Träumen« – und schon hagelt es Herzchen.
Schröder, der offizielle Unesco-Weltkulturbanause, war natürlich noch nie an diesem historisch äußerst signifikanten Ort.
Wobei die Stimmung echt nett ist um diese Uhrzeit: Die alte Eisenbrücke mitten im Nirgendwo, auf beiden Seiten diese Seen, und alles stockduster bis auf die paar Laternen am Fahrbahnrand. Wie haben sie bei »Schtonk!« immer gesagt? Da weht einen so was an. Stimmt, fehlen nur noch Panzersperren, Wachhäuschen und Stacheldraht.
Junge, ist das kalt. Nur das Langarm-Shirt anzuziehen war doch nicht so schlau.
Als Leines und ich noch mit D-Böllern beschäftigt waren, haben die hier Spy versus Spy gespielt und ihre Leute wie Panini-Bildchen getauscht: Gibst du mir einen CIA-Mann, kriegste fünf vom KGB.
Für uns war der Kalte Krieg damals total surreal, wie ein Film, von dem man zwar gehört, den aber noch keiner gesehen hatte. Whose Side Are You On? Uns ziemlich egal.
Auf dem Schulhof standen andere, fundamentalere Entscheidungen an. Zum Beispiel »Mondbasis Alpha Eins oder Enterprise?« und »Moore oder Connery?«. Da war es wichtig, Stellung zu beziehen, nicht bei dem Ost-West-Gedöns. Wenn dir ständig einer sagt, dass jeden Moment die Bombe fallen kann, fängt man nach einiger Zeit ohnehin an, die Dinge locker zu sehen.
Der Warschauer Pakt – echt, will der verreisen?
Von den ganzen Aktionen, die sie hier früher abgezogen haben, ist fast nichts mehr zu erkennen. Bis auf diese dünne Naht im Asphalt vielleicht, genau in der Mitte der Brücke. Genau auf der ehemaligen Grenze stehen jetzt die schlechtesten Boots der Welt, der linke im Westen, der rechte im Osten.
Hier wurden Leben zerstört und gerettet, ganz schön creepy – aber ganz schön lange her.
Solides German Engineering jedenfalls, die Brücke.
Da hat ein deutscher Pedant mal wieder ganze Arbeit geleistet. Massige, schwimmbadgrün angemalte Stahlträger spannen sich über den Fluss, zusammengehalten von Nieten, die so groß wie Fünf-Mark-Stücke sind. Steampunkig – und vermutlich beschusssicher bis zur Panzerhaubitze.
Komm schon, Harry, wo bleibst du? Es ist so scheißkalt.
Das Geländer ist nach heutigen Standards ziemlich niedrig, da kann man mit einem Schwung drüber. Wäre aber nicht schlimm, bis zur Wasseroberfläche sind es nur ein paar Meter. Lässt sich alles locker überleben, es sei denn, das Wasser ist so kalt, dass man sofort absäuft.
Warum sind die Leute aus der Zone nicht einfach von der einen auf die andere Seite rübergeschwommen? Können doch nicht mehr als zwanzig oder dreißig Meter sein.
Wahrscheinlich waren unter Wasser Netze gespannt oder so, oder der Fluss ist breiter, als man denkt. Über Wasser kann man Entfernungen nicht gut einschätzen, hatte uns Kronberg, der alte Sport-Nazi, in der Schule immer eingebläut.
Okay, es ist halb zwölf, ausgemacht war elf. Mit dem Eintreffen von Harriet Thorborg, Bundeswehrtochter und stets ein Vorbild an Pünktlichkeit, kann definitiv nicht mehr gerechnet werden.
Scheiße.
Der King of Wishful Thinking hat sich mal wieder zum totalen Horst gemacht. Wie konnte ich ernsthaft glauben, dass eine Mail, die mit einem zuckersüßen »Hi« anfängt, von Harry kommt? Und wer will überhaupt was mit einer Tante zu tun haben, die ihre Mails mit »Hi« anfängt?
Nur – wer hat die Mail dann geschrieben?
Oha, die Rush Hour fängt an.