Читать книгу Systemabsturz - Constantin Gillies - Страница 15
*** #09 ***
ОглавлениеImmerhin eine interessante Mail hat Jeskos alter Kumpel Chuck gekriegt, und zwar zu diesem Fitness-Armband. Die Betreffzeile lautet:
Welcome to EverFit.
Natürlich mit einem kleinen ™ hinter dem Firmennamen, wie es sich in Amiland gehört. Das hat den Texten auf dem Star-Wars-Spielzeug damals richtig etwas Dadaistisches gegeben: Luke™, R2-D2™ und C-3PO™ im Landspeeder™. Wenn er gekonnt hätte, hätte Lucas sich wahrscheinlich sogar noch »und« schützen lassen. Und™.
Welcome to EverFit™.
Die Mail von dieser Firma könnte tatsächlich interessant sein. Jeskos Kumpel hat anscheinend dieses Fitness-Armband nicht nur besessen, sondern es auch benutzt und sich beim Hersteller registriert, deshalb die Bestätigungsmail. Alte Leute sind ja immer so gründlich. Wahrscheinlich wollte Chucky kontrollieren, dass seine Pumpe beim Treppensteigen nicht zu hoch dreht oder so.
Da er nicht mehr der Jüngste war, hat er wahrscheinlich – wie Nutzer seiner Altersklasse das so machen – alle Einstellungen auf Default gelassen. Und Werkseinstellung bedeutet bei den meisten Fitness-Armbändern, dass unter anderem die Position des Nutzers erfasst wird. Wenn das bei Chucks Exemplar auch so ist, dann müsste auf den Servern von EverFit-TeeEmm noch sein Bewegungsprofil liegen.
Nur – wie kommt man da ran?
Mal auf everfit.com schauen …
War ja klar. Um an das persönliche Profil ranzukommen, muss man sich mit seiner Mailadresse und dem Passwort einloggen. Und einfach auf »Passwort vergessen« klicken geht nicht, weil Chucks Mailaccount nicht mehr aktiv ist; offensichtlich hat ihn seine Frau sperren lassen.
Challenge accepted!
So würden die kleinen Pupsies in der Firma kreischen, die immer sofort losheulen, wenn sie mal eine echte Challenge vorgesetzt kriegen.
Ich muss die Log-in-Daten also erraten.
Okay, die Mailadresse ist klar, fehlt noch das Passwort. Komm schon, Chuck, was hast du gewählt? Vielleicht einen der Klassiker? Da hilft nur probieren.
>12345
Und Enter.
Sorry, but we can’t find an account that matches …
Oh Mann, wieder diese weichgespülte, pseudofreundliche Scheiße. Warum nicht einfach WRONG PASSWORD?
Also weiter mit den Klassikern. Wie wäre es mit »password« als Passwort, das benutzen ja immer noch Millionen von Idioten.
>password
Sorry, but we can’t …
Leck mich.
Womöglich hat Chuck seinen eigenen Namen als Passwort genommen, um sein Gedächtnis zu entlasten?
>chuck_gardner
Sorry, but we can’t …
Das bringt nichts. War ja klar, der Mann hat beim Jet Propulsion Lab gearbeitet und Sonden zum Mars geschickt, der kennt die Grundlagen der IT-Sicherheit und wählt kein Deppenpasswort.
Das heißt, jetzt bleibt nur noch die große Keule übrig: mit dem Dictionary-Attack-Tool alle halbwegs sinnvollen Wörter durchprobieren. Doch das kann ewig dauern – vorausgesetzt, EverFit schmeißt den Nutzer nach ein paar falschen Passworteingaben nicht raus.
Nachdenken.
Was würde Harry tun?
Sie würde als Erstes ihre Haare aufmachen, die rotbraune Mähne kurz schütteln, um sie dann sofort wieder oben auf dem Kopf zusammenzuknödeln. Dann würde sie eine geniale Lösung präsentieren und gleichzeitig so tun, als wäre es das Trivialste, was es gibt.
Nachdenken.
Welches Passwort würde ein Opa verwenden?
Die Namen und Geburtstage seiner Enkel natürlich!
Die müssten sich mit ein bisschen Spidern durch seinen Mailordner doch leicht rauskriegen lassen. Er hat seinen Enkeln zu ihren Geburtstagen bestimmt Glückwünsche geschickt oder mit dem Rest der Familie einen Termin mit Kaffeekränzchen ausgemacht. Da findet sich doch garantiert was.
Okay, also den guten alten SpiderMAN anwerfen und Chucks Mails nach häufig auftauchenden Namen durchsuchen.
Peggy (527 Treffer)
Peggy? Der Name klingt altmodisch, definitiv nicht nach einem Kleinkind. Wird vermutlich seine Frau sein.
Wie könnten denn Chucks Enkel heißen? Bei uns schreien die MILFs doch immer Laura, Lea oder Finn über den Spielplatz, fragt sich, was für Namen bei Ami-Eltern angesagt sind …
Oha, der SpiderMAN hat weitere auffällige Begriffe im Mailordner gefunden.
Mason (45 Treffer)
Sophia (68 Treffer)
Das klingt doch nach den lieben Enkeln!
Jetzt fehlen nur noch ihre Geburtstage, um daraus das Passwort zusammenzubauen. Aber das ist sicher eine Kleinigkeit, schließlich gibt es für Grandpa nichts Tolleres, als zum Geburtstag der Kleinen die Geschenkedusche anzustellen. Rund um die Daten findet sicher reichlich familieninterne Kommunikation statt. Also im Mailordner nach Tagen mit besonders vielen Nachrichten suchen … Weihnachten, klar, vierter Juli, auch klar, Thanksgiving …
Da: Am vierten Mai und am fünfzehnten August hat er besonders viele Mails an die Familie geschickt. Die Geburtstage der Enkel liegen ja nur ein Jahr auseinander! Da hat Chucks Großer ja richtig Gas gegeben, direkt im Kreißsaal nachgelegt, der Schlingel.
Egal. Namen und Geburtstage der Enkel sind am Start, wäre doch gelacht, wenn sich daraus nicht Chucks Passwort zusammenbasteln lässt.
Also zurück zu EverFit™.
Chucks Mailadresse eingeben – und das große Passwortraten kann beginnen.
Mal mit dem ersten Enkel anfangen.
Mason … und dazu sein Geburtsdatum, vierter Mai, natürlich ins amerikanische Format umdrehen, also »0504«.
>Mason0504
Sorry, but we can’t …
Mist. Vielleicht klappt das Spiel mit der Enkeltochter.
>Sophia0815
Ha, ha, klingt ja nach einem reinrassigen Teenager-Usernamen.
Bam.
Und funktioniert!
Das war ja mal wieder easy money …
Welcome to the EverFit™ Hub.
Der große Bruder begrüßt den treuen Untertanen, der aus dem Jenseits zurückgekehrt ist. Irgendwie makaber, jetzt, wo das Pulsarmband garantiert keinen Puls mehr registriert …
So, wo ist Chucks Bewegungsprofil? Wo ist er mit seinem schicken Fitness-Armband überall rumgekrochen?
Echt erstaunlich, wie bereitwillig die Leute mit den Blockwarten aus dem Valley kooperieren. Erlauben irgendeiner windigen Firma, jeden einzelnen Meter, den sie auf dieser Erde zurücklegen, einfach zu tracken …
Show timeline on map (Y/N)?
Aber sicher!
Sehr benutzerfreundlich, von solchen Sachen hätte die Stasi damals geträumt. Jeder Besitzer von diesem Überwachungsteil bekommt auf einer Landkarte angezeigt, wo er sich im letzten Jahr aufgehalten hat. Die wissen, was du letzten Sommer getan hast …
Jede Bewegung ist mit einer blauen Linie markiert. Der Großraum Los Angeles poppt hoch, eine riesige gelbe Fläche aus Straßen, die im Norden von einem grünen Blob Berge begrenzt ist, dahinter kommt die große Leere: kaum noch Straßen, nur noch das Grau der Wüste. Palmdale, Lancaster, die Edwards Air Force Base, das Zuhause der Raumfahrt- und Rüstungsfirmen.
Klar, da war Chuck viel unterwegs, ein einziges blaues Spinnennetz. Mal reinzoomen. Augenblick, eigentlich ist er immer die gleichen Strecken gefahren. Die meisten blauen Linien treffen sich bei dieser Stadt, California City, da muss er gewohnt haben. Von da führen ein paar Linien weit nach Norden, in Richtung Silicon Valley, vermutlich wohnen da seine Kinder und Enkel.
Soweit alles klar.
Bleibt noch diese blaue Linie, die in California City anfängt und im grauen Nichts endet, irgendwo weit draußen. Die ist besonders dick, was bedeutet, dass Chuck auf dieser Strecke besonders oft unterwegs war. Aber warum?
Eine geheime Geliebte? Eher nicht, in Jeskos Truppe waren bestimmt nur so Moralische. Das Fahrtziel scheint in einem Industriegebiet zu liegen. Ein graues Viereck mitten in der Landschaft. Da war er fast einmal pro Woche. Reinzoomen, reinzoomen, reinzoomen.
Oha, Chuck hatte offensichtlich doch ein kleines Geheimnis. Das wird Jesko interessieren.