Читать книгу Systemabsturz - Constantin Gillies - Страница 6
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ОглавлениеWenn Alexei Pawlowski an diesem Morgen nicht etwas früher zur Arbeit gefahren wäre, würde vermutlich kein Video des Einschlags existieren. Der Elektriker hatte sich schon um kurz vor halb sieben – eine Viertelstunde vor seiner üblichen Zeit – auf den Weg in die Werkstatt gemacht, eher aus Schlaflosigkeit denn aus zeitlichen Erwägungen. Einen Stau braucht Pawlowski in seiner Heimatstadt Kurtschatow nicht zu fürchten. In dem Ort in der kasachischen Steppe wohnen keine zehntausend Seelen, zudem sind die Straßen großzügig dimensioniert.
Pawlowski stieg ins Auto und schaltete die Dashcam ein. Er hatte die Videokamera nach einem kleinen Auffahrunfall mit einem alkoholisierten Fahrer angeschafft und sich angewöhnt, noch vor dem Starten des Motors den roten Aufnahmeknopf zu betätigen. Seine Entscheidung war auf ein Modell mit mehreren Kameras gefallen, von denen eine das Geschehen vor dem Auto und die andere das Wageninnere filmt – ein Detail, das den Grundstein zu Pawlowskis kurzem, aber intensivem Ruhm der kommenden Wochen legen sollte.
Der Meteorit erschien am Himmel, kurz nachdem die Ampel auf Rot gesprungen war.
Pawlowski hatte an einer Kreuzung angehalten und trommelte – so sollte es das Video später dokumentieren – ungeduldig auf dem Lenkrad herum. Plötzlich blitzte am Horizont auf der Fahrerseite ein heller Lichtpunkt auf, ähnlich der Signalrakete eines in Seenot geratenen Schiffes, nur nicht rot, sondern weiß.
Schneller als jedes Flugzeug schoss das Licht über den Horizont, während sein Leuchten immer intensiver wurde. Auf der Höhe des Mittelstreifens brannte es schon heller als die Morgensonne und tauchte die leere Kreuzung in ein unwirkliches Licht. Die Ampel war immer noch rot.
In diesem Moment tat der junge Mann mit den zerzausten Haaren und dem unrasierten Gesicht etwas, was ihm – zumindest für ein paar Tage – weltweite Prominenz bescheren sollte: Er klappte mit stoischer Ruhe die Sonnenblende herunter.
Offensichtlich war Pawlowski von dem Spektakel, das sich am Himmel abspielte, völlig ungerührt. »Zero fucks given!« und »Badass!« jubelten die Massen später im Netz, wo sich das Video rasend schnell verbreitete. »In Russland ist der Meteorit geschockt, dich zu sehen.« Pawlowski war ab sofort der Russian Meteor Guy.
Weniger Schlagzeilen als der Zeuge machten die Folgen des Einschlags. Der Meteorit setzte seinen Sturzflug fort und schlug etwas außerhalb der Stadt in der Steppe ein. Die Druckwelle war so gewaltig, dass selbst einige Kilometer entfernt noch Fenster zu Bruch gingen. Menschen kamen nicht zu Schaden. Die Kommentatoren konzentrierten sich darauf, anzumerken, dass solche Ereignisse im Flächenland Russland normal seien und durch die allgegenwärtigen Dashcams jetzt erst sichtbar würden.
Dass Kurtschatow einmal eine geschlossene Stadt war, erwähnte niemand.