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*** #13 ***

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Tief in den Brustkorb einatmen und die Luft langsam durch die halb geschlossenen Lippen rauspusten, dann würde der Puls wieder runtergehen, hatte die Ärztin empfohlen. Jesko von Neumann schließt die Augen und versucht, genau das zu tun. Was ihm angesichts der prekären Lage schwerfällt.

Das Einführen des Schlüssels hat tadellos funktioniert, es war kein Widerstand zu spüren. Er steckt fest und sicher im verchromten Vorhängeschloss. Es macht einen soliden Eindruck, wobei dieser in den States durchaus täuschen kann. Viele Dinge vermittelten hier nur den Anschein von Solidität, erwiesen sich bei längerem Gebrauch jedoch als zerbrechlich. Hinter der glänzenden Blende des Schlosses konnte sich durchaus ein minderwertiger Schließmechanismus verbergen.

Was, wenn er den Schlüssel aus Versehen abbricht?

Dann würde er so bald nicht erfahren, was für Dinge Chuck in diesem Raum gelagert hat. Das Management der Self-Storage-Anlage würde Fragen stellen, weil er offensichtlich nicht jener Chuck Gardner ist, der den Kundenvertrag unterschrieben hat. Er müsste Peggy kontaktieren, sich von ihr eine Vollmacht besorgen, es gäbe einen Riesenwirbel.

Oder was ist, wenn der Schlüssel zwar passt, er aber das Tor nicht aufbekommt?

Von hier unten, aus der Hocke gesehen, wirken die dicken Stahllamellen äußerst massiv und schwer. Das dunkelgrüne Tor türmt sich riesenhaft vor ihm auf, vor ihm, der immer damit leben musste, der Kleinste im Team zu sein. Wird es ihm überhaupt gelingen, es zu öffnen? Andererseits muss es in dieser Anlage auch andere Kunden in fortgeschrittenem Alter geben. Es wäre ja eine Frechheit, die Technik so auszulegen, dass sie nur für junge Menschen zu bedienen ist!

Es sind alles nur Ausreden …

Der Regen prasselt auf Neumanns schwarze Nylonjacke mit dem roten JPL-Logo. Auf seinen ehemaligen Arbeitgeber stolz zu sein ist in diesem Land selbstverständlich, und auch er hat mittlerweile, was das angeht, seine europäische Distanz aufgegeben. Warum sollte er keine Kleidung mit JPL-Logo tragen? Sie können mit Fug und Recht auf das Erreichte stolz sein.

Vielleicht hat er überhaupt keinen Grund, aufgeregt zu sein?

Womöglich hat Chuck hier nur altes Gartengerät eingelagert, und hinter dem Tor parkt ein rostiger Rasenmäher? Das würde jedoch nicht erklären, warum er so oft hierher gefahren war …

Einatmen – und ausatmen.

Hinter diesem Tor können die lang ersehnten Antworten warten.

Der Wirbel um das Objekt liegt schon so lange zurück, dass es sich langsam anfühlt, als sei alles nur ein Traum gewesen. Doch das war es nicht. Um sich dessen zu vergewissern, schaut er sich gelegentlich sogar die alten Bildschirmfotos an. Es besteht kein Zweifel. Das Objekt ist real.

Alles hatte damit begonnen, dass Chuck, er und der Rest der Rentnertruppe auf die Idee kamen, die alten Fotos der Lunar-Orbiter-Sonde zu restaurieren. Die Nasa hatte sie sechsundsechzig auf die Reise geschickt, um mögliche Landeplätze für eine Mondmission auszukundschaften. Als sie die Bänder in einer Abstellkammer des Jet Propulsion Laboratory fanden, waren sie in einem schrecklichen Zustand und sollten entsorgt werden. Was für eine Verschwendung!

Chuck und er machten sich an die Arbeit, beschafften sich alte Bandmaschinen und begannen, Tape für Tape die alten Aufnahmen der Sonde zu digitalisieren. Irgendwann sprang sogar die Nasa auf den Zug auf und steuerte 100.000 Dollar zu dem Projekt bei; man wollte die Mondaufnahmen von damals mit denen von heute vergleichen, um zu untersuchen, wie sich die Topologie verändert hat. Alles lief glatt, bis sie zum Tape mit der Nummer 5076 kamen, beziehungsweise nicht kamen, denn dieses eine Band fehlte. Schröders Freund, dieser wahnsinnige Thomas Leinhart, beschaffte es in einer halsbrecherischen Aktion auf den Bermudas.

Was sie schließlich auf dem Band fanden, war unglaublich. Die verschollene Aufnahme von der Mondoberfläche zeigte eindeutig einen Gegenstand oder eine Struktur mit einer Kantenlänge von 150 Fuß. Jemand hatte 1966, drei Jahre vor dem Giant Leap, etwas auf den Mond gebracht.

Schröder verstieg sich in die Idee, die Nasa sei dabei, das Objekt vom Mond zu entfernen – und tatsächlich sprach einiges dafür.

Neumann reibt sich das Kinn.

Sie waren viel zu weit gegangen, um diese Vermutungen zu überprüfen. Sie hatten etliche Gesetze gebrochen und die Bevölkerung in Gefahr gebracht, nur um einen Blick auf das zu werfen, was die Air Force – vermutlich – auf dem Mond geborgen hatte. Schröder sprach von silbrig-glänzenden Trümmern mit der Aufschrift NEW NASA. Doch je länger die Sache zurückliegt, desto sicherer erscheint es ihm, dass das, was Schröder auf dem El Mirage Lake gesehen hatte, eine Fata Morgana war.

So zumindest diktiert es die Stimme der Vernunft.

Es sind jedoch nicht alle Zweifel ausgeräumt. Was ist, wenn Chuck in diesem Raum keinen Rasenmäher eingelagert hat, sondern Dinge oder Dokumente, die erklären könnten, was das Objekt wirklich ist? Wäre es dann nicht die Pflicht eines Mannes der Wissenschaft, dieser Spur nachzugehen?

Einatmen, und langsam ausatmen.

Er wird sich diesen letzten Aufklärungsversuch gestatten – und die Sache mit dem Objekt dann für immer ruhen lassen.

»Eine Entscheidung wird nicht dadurch besser, dass man sie aufschiebt«, hatte Chuck immer gesagt. Gut gesprochen, alter Freund.

Neumann ergreift das Ende des Schlüssels und dreht ihn beherzt nach rechts.

Mit einem leisen Klick springt der Bügel des Vorhängeschlosses auf.

Er hat für Glücksspiele nie etwas übriggehabt, doch er muss sich eingestehen, dass der Moment des Gewinnens durchaus seinen Charme hat.

Systemabsturz

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