Читать книгу Systemabsturz - Constantin Gillies - Страница 13
*** #07 ***
ОглавлениеLeines hat recht: Alles ist cooler, wenn man es in einem leeren Raum tut.
Der Karton, den der Kurier eben reingereicht hat, sieht mitten in der Laminat-Wüste wie ein Altar aus. Was immer Jesko da reingetan hat, es scheint megawichtig zu sein, sonst hätte er nicht den ultrateuren Über-Nacht-Service gelöhnt.
In der leeren Bude bringt Unboxing erst richtig Spaß – auch wenn im Karton nur diverser Elektroschrott und dieser China-Laptop ist. Die Analyse dieses geheimnisvollen Geräts gilt es jetzt Ridley-Scott-artig zu feiern:
Der Lone Wolf hockt sich in der Mitte seines leeren Apartments auf den Boden, völlig regungslos, bis auf seine Finger, die übermenschlich schnell über die Tastatur huschen. Der neonblaue Schein des Laptops fällt auf sein ebenso regungsloses Gesicht, sein Körper wirft einen langen Schatten durch den Raum.
Schnitt, eine Kamera an der Decke filmt das Geschehen von oben, natürlich durch die Blätter eines langsam rotierenden Ventilators hindurch (noch anzuschaffen). Der Held hat um sich herum sorgfältig seine Ausrüstungsgegenstände drapiert. Fetischartig langsam inspiziert die Kamera den Incident-Response-Koffer, in dem sich – in präzisen Schaumstoffhöhlen – industriell wirkende Gerätschaften befinden.
Der Mann entnimmt dem Koffer ein Kabel, zielsicher wie ein Green Beret, der im dunklen Unterholz des Dschungels eine Claymore-Mine platziert.
Aus dem Off schwillt das Wummern einer Bassdrum an, überlagert von den schneidenden Rechteck-Wellen eines Synthies.
Der Held widersteht der Versuchung, in einen enthemmten Papa-in-der-Disco-Tanz auszubrechen, weil er nicht vorhat, Hugh Jackman als peinlichsten Leinwand-Hacker aller Zeiten zu beerben. Junge, war diese Szene in »Swordfish« uncool …
Nahaufnahme vom Auge des Helden: Völlig zufällige Codezeilen fliegen vorbei, am besten ein Programm für den Apple II – wie der Autopilot von »Airwolf« damals, der in Wirklichkeit ein Zufallsnummerngenerator war.
Noch krasseres Close-up: Seine Pupille verengt sich blitzartig.
Der Held hat etwas gesehen, was er nicht sehen sollte (soll der Held jemals etwas sehen?). Die Informationen auf dem Bildschirm sind nicht für seine Augen bestimmt, nicht für die Augen der Welt. Dieses Wissen wird ihn zum Staatsfeind Nummer eins machen, es ist der ultimative Code, eine Killer-Anwendung … es ist …
Eine staatsgefährdende Ziegenfütterung?
Cut, cut, cut!
So wird das nichts mit der epischen Hacking-Szene. Auf dem Laptop, den Jesko geschickt hat, ist nur Scheiß: Fotos von Menschen, die grinsend Weihnachtssocken an den Kamin hängen. Selfies von einem grauhaarigen Typen mit so einer helmartigen Playmo-Frisur. Verwackelte Handyfotos von Windel tragenden Babys, die in Planschbecken rumtoben – und halt von Kindern, die Ziegen füttern.
Was der Held im Halbdunkel hier seziert, ist der Laptop eines Opas, und der enthält die so ziemlich unbrisantesten Informationen der Menschheitsgeschichte. Aber Job ist Job, und wenn Jesko mich um etwas bittet, dann muss das gemacht werden.
Der Brief, der beim Karton dabei liegt, begann mit den Worten »Mein lieber Freund«. Allein durch diese würdevolle Anrede hat der Fuchs Jesko sichergestellt, dass ich den Auftrag ernst nehme und ihn eben nicht auf einer halben Arschbacke runterreiße.
Es folgten dann noch zwei handgeschriebene Seiten, auf denen er in seiner ausschweifenden Art um Hilfe bat: Im Karton befinde sich der Nachlass seines Freundes Chuck Gardner, der letztes Jahr verstorben sei, »angeblich ein Unfall, doch daran sind Zweifel angebracht«. Klar, dass der seinerzeit mit Leines gut klargekommen ist, die zwei Verschwörungstheoretiker unter sich … Ich solle mir die Sachen jedenfalls mal anschauen, und Bla und Blubb.
Jesko hat nach der Sache mit dem Objekt noch reichlich was gut, deshalb hat der China-Laptop seines Kollegen die royale, gerichtsfeste Behandlung gekriegt: Festplatte ausbauen, über einen Writeblocker auslesen, damit nichts verändert wird, und die Daten auf eine sterile Platte frisch aus der Packung rüberziehen. Danach den Dump mit File-Carving-Tools nach digitalen Fingerabdrücken von gelöschten Dateien durchforsten.
Jesko denkt natürlich, dass ich was finde, was seine Verschwörungstheorie zu Chucks Tod stützt. Er muss sich allerdings auf eine Enttäuschung gefasst machen. Was sein Buddy auf seinem Rechner hat, wird in Washington, Moskau und Beijing keine nächtlichen Krisensitzungen provozieren.
Chuck hat den Rechner ausschließlich dazu benutzt, um mit seinen Kindern und Enkeln zu kommunizieren. Die Mailordner quellen über von rührseligem Familienkram: Babys mit besabbertem Mund, eingescannte Kinder-Kritzeleien, Baseballspiele, Geburtstagstorten und weitere Meilensteine im Enkelleben. Allein da reinzugucken hat einen unangenehmen Pedo-Vibe.
Jetzt, wo Chuckys Erbe gesichert ist, kann der Rechner jedenfalls zurück in den Karton zu dem anderen Schrott …
Moment, das könnte interessant sein.