Читать книгу Systemabsturz - Constantin Gillies - Страница 7

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Warum kann sie nicht einfach sagen, was los ist?

Harry ist wie eins dieser modernen Betriebssysteme, die kein »file not found« mehr rausrotzen, sondern alles weichspülen, jede Nachricht pseudo-kumpelhaft verpacken, von wegen »Sorry, ich kann leider gerade nicht finden, wonach du suchst«. Einfach ekelhaft.

Was – will – sie?

»Schröder … weißt du …«

Oh nein, sie legt den Kopf schief und knipst das Fernlicht an. Das ist so was von unfair. Dieser Blick ist echt ihre Geheimwaffe. Sie weiß, dass ich ihr nichts, was sie gleich fordern wird, abschlagen kann, dieses Biest.

»Wir könnten jemanden wie dich echt brauchen

Unfassbar, sie will mich wirklich einstellen.

Harriet Thorborg und Schröder sollen wieder in ein und demselben Team spielen. Fucking unfassbar.

Mindestens so unfassbar ist allerdings, dass sie das mit ihrem Business überhaupt hingekriegt hat. Kaum war sie bei der Forensecura letztes Jahr wegen der Aktion in Bangkok rausgeflogen, hatte sie schon ihren eigenen Laden am Start: Thorborg und Partner, Forensic Investigations, Ihr kompetenter Partner in IT-Sicherheitsfragen, wir begrüßen Sie gerne in unseren repräsentativen Büros direkt am Flussbogen.

Kleine Streberin.

Sie zieht die Sache wohl zusammen mit irgendeiner Anna-Lena hoch, was vom Namen her verdächtig nach einer üblen Weltverbessernden Anfang zwanzig klingt. Schon nach einer Woche haben sie angeblich einen dicken Auftrag an Land gezogen, eine ganze Reihe von Sicherheits-Audits bei einer Krankenhaus-Kette oder so.

Hut ab. Andererseits – klar, schließlich hat sie ja beim Besten gelernt.

Sooo prall scheint ihr Business allerdings auch nicht zu laufen, sonst würde sie sich nicht in den Staub werfen, damit ich bei der Chose mitmache.

Das muss alles ein Witz sein.

»Ja, aber, wie stellste dir das vor, Harry? Soll ich Partner werden, oder was?«

Sie schaut verlegen runter.

»Na ja …« Aha, jetzt kommt der Haken! »Also angesichts … also das Startkapital, das kommt ja von uns, also von der Anna-Lena und mir.«

Was im Übrigen noch viel fucking unfassbarer ist: Wie schafft sie es, Geld für eine Firmengründung beiseitezulegen, während jeder normale Mensch die Kohle raushaut wie ein besoffener Matrose? Wobei es keineswegs finanziell unmündig ist, am Anfang des 21. Jahrhunderts ein Monatsgehalt in einen fabrikneuen SX-64 zu investieren!

»Also, da du ja kein Kapital mitbringst, Schröder …«

Bitte keine unnötigen Höflichkeiten, Frau Thorborg.

»Korrekt, ich bringe nichts mit. Und deshalb wärst du dann die Chefin?«

Bam, sie läuft knallrot an. Süß.

»Nein! Also doch. Aber nur auf dem Papier, und …«

Ich würde also unter ihr arbeiten. Da lassen sich Beavis und Butthead im Hinterkopf natürlich ein »Ch-ch« nicht nehmen.

Auf eine kranke Art macht es Spaß, dabei zuzusehen, wie sie sich windet.

Was für eine totale Schnapsidee, dass ich in ihrer Firma anfangen soll! Dagegen sprechen so unendlich viele Gründe, mindestens eine Million, zum Beispiel, zum Beispiel …

»Harry, meinst du wirklich, dass das eine gute Idee ist – ich, du und Anna-Lisa?«

»Anna-Lena.«

Und schon wieder ein genervtes Augenrollen kassiert.

»Okay, Anna-Lena eben. Allein der Name … Die ist doch bestimmt superjung, und ganz ehrlich, Harry: Ich kann diese Kids nicht mehr aushalten, die sind mir alle einfach … zu jung. Also nur so zum Beispiel: Deren Vorstellung von Hi-Fi ist es, ihr Handy beim Musikabspielen auf ein Glas zu legen, weil’s dann lauter wird. Und das Ganze feiern sie dann noch – hach-hui – als tollen Life-Hack. Nee echt, Harry, mit der Generation kann ich nix anfangen. Und überhaupt …«

»Schröder …«

»Diese Anna-Lena ist bestimmt so eine, die sich überall im Schneidersitz hinsetzt, oder?«

»Schröder …«

»Also im Casa, da bedient auch so eine Tante aus dieser Generation, und die fragt mich immer, ob ich den Cappuccino mit Kuhmilch haben will, und dabei betont sie das Wort immer, als wäre Kuhmilch so was wie Meth, weil in dem Scheiß-Ökoladen ja jeder seinen Kaffee nur noch mit veganer Sojabrühe runterwürgt. Also mit diesen jungen Frauen, also das könnte – rein beruflich –, also da …«

»Schröder! Anna-Lena ist fünfunddreißig – und verdammt kompetent! Alles klar?«

Ihre Stimme überschlägt sich – höchste Zeit, die Klappe zu halten.

»Meinte ja nur …«

»Och, Schröder.«

Ja, och Schröder. Warum muss sie das wieder so sagen und dabei enttäuscht den Kopf hängen lassen? Da kann ich doch nix für. Warum müssen alle Diskussionen mit ihr nach spätestens zwei Minuten mit einem »Och Schröder« enden – und mit diesem Blick, der zu gleichen Teilen aus Wut und Resignation besteht. Mir ging es doch nur darum, hier im Vorfeld ein paar potenzielle intergenerationelle Konfliktherde anzusprechen.

Unser Spaziergang ist eigentlich viel zu schön, um ihn sich mit einem Och-Schröder-Vortrag zu versauen.

»Okay, ich denk drüber nach, Harry.«

Pling, ihre Lampen sind wieder an.

»Danke.«

Und schon nimmt sie wieder das volle Harriet-Thorborg-Marschtempo auf, das sich hart an der Grenze zum Joggen bewegt. Wird sie jedes Jahr schneller – oder werde ich nur immer unfitter? Mit diesem Persönchen, wie Oma gesagt hätte, kann ja keiner mehr mithalten.

Eigentlich war dieser Spaziergang eine sehr schöne Idee. Sie kam natürlich von ihr: Nach monatelanger Funkstille hatte sie gestern einfach so mir nichts, dir nichts angerufen und vorgeschlagen, man könne doch mal rausfahren und so.

Mutter hätte uns so eine Aktion unter dem Label »mal ordentlich durchpusten lassen« verkauft. Dass man durchaus vierzehn Stunden am Tag Beach Head zocken kann, ohne auch nur das kleinste Durchpustbedürfnis zu verspüren, überstieg damals ihre Vorstellungskraft.

Nach einer ausführlichen Bedenkzeit von einer Femtosekunde habe ich zugesagt. Wenn Seven of Nine ihre Gesellschaft anbietet, ist Zögern fehl am Platz.

Vorhin habe ich sie dann, ganz Gentleman, mit dem Mirth Mobile eingesammelt, und wir sind raus zu diesem Parkplatz, wo dieses alte Wanderschild hängt, auf dem der Typ einen Hut trägt und bei der Tante die Haare nach hinten wehen, weil sie so stramm marschiert. Lustig, eigentlich wie Harry.

»Schön hier, Schröder, oder?«

Dass sie bei dem Tempo überhaupt noch reden kann.

»Hm.«

Sie wird auf ihre alten Tage doch nicht so ein Outdoor-Fanatiker? Viele Leute in unserem Alter radikalisieren sich ja total und fangen an, den ganzen Scheiß zu lieben, den sie als Kind gehasst haben: spazieren gehen, sich durch Museen schleppen, sich mal ordentlich durchpusten lassen.

Harrys Look sieht jedenfalls verschärft nach Stockholm-Outdoor-Syndrom aus: Sie trägt eine grüne Jacke mit Cordkragen und so eine Schiebermütze, wie sie englische Lords im Fernsehen immer beim Jagen aufhaben. Ihr persönlicher Feldzug gegen die – Zitat Harry – »nachlässige Kleidung« in der IT-Branche nimmt langsam groteske Züge an, das reinste Rosamunde-Pilcher-Cosplay. Nein, sie sieht aus wie aus dieser neuen Serie, wie heißt die noch mal? Irgendwas mit Downtown …

Doch ich will mal nicht so sein, denn sie trägt Stiefel.

Hohe Stiefel aus Wildleder. Die knapp überm Knie enden. Und sie sieht so unfassbar heiß aus. Was zur Hölle ist an hohen Stiefeln so unfassbar heiß? Das sollten diese Anthropologie-Nerds mal erforschen. Warum ist man ab einer bestimmten Stiefelhöhe nicht mehr in der Lage, klar zu denken? Oder nur an die andere Art von ordentlichem Durchpusten ...

Oh Gott, hört diese Pubertät denn nie auf?

Konzentration.

Es. Ist. Schön. Hier.

Wir marschieren wie ein altes Pärchen den Feldweg lang, lassen unsere Gesichter von der Sonne wärmen und machen mit unserem Atem so kleine Wölkchen.

Der Boden ist überall da, wo die Sonne hinkommt, schon total aufgetaut und matschig, aber im Schatten, hinter jeder Hecke und jedem Matschklumpen, liegt noch Raureif.

Die Situation verlangt dringend nach sozial kompatiblem Geplauder.

»Fühlt sich richtig, äh, frühlingshaft an.«

Mutter wäre stolz.

Harry kneift die Augen zusammen, als könnte sie nicht fassen, dass ich das wirklich gesagt habe.

»Ja … das tut es, stimmt.«

Tja ja, der Schröder kann nämlich auch romantisch.

Sie macht ein paar Sprünge nach vorne, rüber zu einer Traktorspur, die mit Wasser vollgelaufen ist. Obendrauf ist sie zugefroren, aber das Eis ist nur hauchdünn, sodass man sehen kann, wie drunter die Wasserblasen rumwabern.

»Guck mal!«

Sie drückt die Spitze ihres Stiefels vorsichtig gegen das Eis, bis es leise knackt.

»Habt ihr das als Kinder auch immer gemacht?«

Nope. Wir hätten in so eine Pfütze einen D-Böller reingesteckt und das Eis in die Luft gejagt. So wie wir nach Silvester zwei Monate lang in so ziemlich alles einen D-Böller reingesteckt haben, um es in die Luft zu jagen.

Süß, Harry fährt richtig auf diese Eisschicht ab. Sie beißt sich konzentriert auf die Unterlippe, während sie weiter drauf rumdrückt.

»Irgendwie kann man nicht anders, als so lang zu drücken, bis …«

Krach!

Tja, Kleine, da war die Pfütze wohl doch tiefer als gedacht, jetzt ist der schöne hohe Stiefel vorne nass.

Sie lacht toll. Da kann man stundenlang zuhören, weil ihre Lache ein bisschen zu laut ist und auch ein bisschen undamenhaft. Doch, doch, wenn sie will, kann Seven of Nine richtig menschlich sein.

Von mir aus könnte der Weg jetzt noch ein Stück weitergehen, gerne auch ewig. Tut er aber leider nicht. Gleich kommt der uralte, rot-weiß gestreifte Schlagbaum und dahinter der Stacheldrahtzaun, der mit Schildern gepflastert ist. Militärischer Sicherheitsbereich, Vorsicht! Schusswaffengebrauch!

Wir sind am Rosengarten angekommen.

Leines und ich waren vor Jahren mal hier, bei einem dieser sinnlosen Ausflüge im Zeichen des Kalten Krieges, die er in regelmäßigen Abständen verordnet. Angeblich hat die Stasi auf diesem Gelände einen Horchposten betrieben, um die Alliierten im Westsektor zu bespitzeln – quasi das Gegenstück zum Teufelsberg bei uns drüben. Die ganzen Ost-Leute haben da rund um die Uhr vor den Empfängern gehockt und den Klassenfeind abgehört. Rosengarten war der Codename, den die HVA für den Laden benutzt hat.

Der Ausflug hierher, Leines sprach damals von »Feldforschung«, endete wie die meisten dieser Trips: vor einem unüberwindbaren Zaun, also in diesem Fall vor diesem Zaun.

Wir standen da und glotzten in den Wald rein. Zu sehen gab’s und gibt’s nicht viel: Oben aus den Tannen guckt die obere Hälfte einer weißen Radarkugel raus, mehr nicht. Mehr ist vom gloriosen Relikt des Kalten Krieges nicht übrig.

Klar sieht das Ding geheimnisvoll aus, und wenn man sich sehr konzentriert, kann man sich einbilden, dass über so eine Radarkugel mal der erste Kontakt zu Aliens zustande kommen könnte, doch letztlich ist es nur ein abgefucktes Haus im Wald.

Das Problem war das Schild mit dem Schusswaffengebrauch. Im D-Böller-Alter mag dieses Wort noch irgendwie verlockend klingen, in den Ohren von zwei erwachsenen Männern eher nach einer Anzeige wegen Hausfriedensbruch oder so. Außerdem könnte der Stacheldrahtzaun ja unter Strom stehen, theoretisierten wir.

Also entschieden wir uns gegen weitere Ermittlungen. Leines hat noch halbherzig ein paar Fotos vom Zaun geschossen, aus »Dokumentationsgründen«, wie er sagte, und wir sind zurück zum Parkplatz. Im Prinzip war der Trip zum historischen Brennpunkt Rosengarten ein Reinfall. Leines fand alles trotzdem »Porno«, was in den frühen Nullerjahren wohl mal ein Jugendwort für »toll« war; mittlerweile benutzt das außer ihm bestimmt keiner mehr.

Der Ausflug war – objektiv gesehen – scheiße. Aber wenn man mit einer Frau wie Azra verheiratet ist, findet man wahrscheinlich alles großartig, wofür man das Haus verlassen darf.

Was ist denn jetzt los?

Ausgerechnet jetzt, wo Harry und ich hier so frühlingshaft durch die Gegend flanieren, muss das beschissene Handy losgehen. Ihres auch, sie tastet schon ganz aufgeregt ihre Moorhuhnjagd-Jacke ab. Okay, wenn sie nachschaut, darf ich auch.

Die Pawlow’schen Hunde kramen und wischen, als würde gleich die Welt untergehen. Sie grinst verlegen.

»Sorry …«

Ach, der ganze Aufwand nur für diesen bekackten News-Service, der in Wirklichkeit nichts als Promi-News bringt.

KATASTROPHE IN RUSSLAND.

So what, ist da nicht jeden Tag eine?

Systemabsturz

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