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Ablehnung des Perfektionismus

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Die Ethik der Wertschätzung unterscheidet sich insofern von den meisten Tugendethiken, als diese eng mit dem moralischen Perfektionismus verbunden sind. Dieser beruht auf zwei Grundideen. Die erste betrifft das Kriterium des richtigen Handelns: Ich handle richtig, wenn ich mich verhalte, wie es eine tugendhafte Person in einer Situation wie der meinen tun würde. Die zweite Idee besteht in der Behauptung, dass die Suche nach Vollkommenheit grundsätzlich das Ziel unseres Verhaltens ist. Diese Thesen werfen jedoch zwei Schwierigkeiten auf: Man muss bereits gewisse Güter wertschätzen und gewisse Tugenden erwerben wollen, zum Beispiel die Mäßigkeit, um eine mit ihr ausgestattete Person zum Vorbild zu erheben und nachahmen zu wollen. Die Wahl des Vorbilds setzt, anders gesagt, bereits die Tugend voraus. Und wenn man sagt, dass die Vortrefflichkeit das Motiv des Handelns ist, verwechselt man das Motiv einer Handlung mit ihrer Konsequenz. Auch in den eudämonistischen Morallehren ist das Glück nicht das Motiv des Handelns.21 Denn die Allianz von Glück und Tugend, die der Eudämonismus beschreibt, ist die Konsequenz aus der fortschreitenden Entwicklung der Anlagen und Fähigkeiten, die die Seinsweise einer Person und ihre Affekte verändern. Die Person verwirklicht sich in ihrem tugendhaften Verhalten, aber wenn sie sich so verhält, dann nicht, um glücklich zu sein oder sich sagen zu können, dass sie mit ihrem Handeln tugendhaft ist.

Wenn man das Streben nach Vollendung zum Zweck der Ethik erhebt, setzt der Perfektionismus an die erste Stelle, was an zweiter kommen müsste. Umgekehrt steht das Gute, das an erster Stelle stehen müsste, an letzter und wird instrumentalisiert. Diese Konzeption ist besonders problematisch, wenn wir sie auf die Umwelt anwenden, denn sie bedeutet, dass man nur um der eigenen Vollendung willen auf die Ökosysteme und die anderen Lebewesen Rücksicht nimmt.22 Ein solcher Anthropozentrismus lässt uns an den umweltbezogenen Tugenden und dem, was sie begründet, vorbeigehen, nämlich am Eigenwert der Natur und der anderen Lebewesen, die um ihrer selbst willen respektiert werden sollten, nicht bloß, weil sie uns nützen oder weil dieses Verhalten uns ein besseres Bild von uns selbst spiegeln würde. Mit sich selbst einig zu sein, wenn man vom Eigenwert der anderen Lebensformen überzeugt ist und auf der Ebene seines Lebensstils die Konsequenzen zieht, verschafft sicherlich ein Gefühl der Befriedigung. Es ist jedoch das Wissen um die Bedeutung der Natur, das die Basis der ökologischen Tugenden ist, nicht das egoistische Streben, sich zu perfektionieren.

Die Ethik der Tugenden hält den Charakter für wichtig und versucht, diejenigen Züge zu stärken, die dazu beitragen können, unser Verhältnis zu den anderen Menschen, zur Umwelt und zu den Tieren zu verbessern. Das Ziel, das die innere Transformation anstrebt, ist jedoch nicht, eine beispielhafte Person zu werden. Der moralische Perfektionismus erklärt nicht, was uns in unserem Verhältnis zu uns selbst dabei hilft, unsere intersubjektiven Beziehungen zu verbessern und die Natur und die anderen Lebewesen zu respektieren. Auch fördert er persönliche und egoistische Interessen, wie etwa, wenn man gegen andere Barmherzigkeit übt, um sich von der eigenen Großzügigkeit zu überzeugen. Die Nächstenliebe ist dann nur eine Erweiterung der Eigenliebe, „ein Reflex meiner selbst, ein spiegelbildliches Doppel dieses, meines Ichs, das von der Eigenliebe erzeugt wird“23.

Ethik der Wertschätzung

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