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Der Mut, Angst zu haben

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Günther Anders hat den heilsamen Charakter von Affekten, die die traditionellen Ethiken als Hindernisse für die Tugend ansahen, insbesondere in seinen Briefen an Claude Eatherly hervorgehoben – den Piloten des Straight Flash, des Aufklärungsflugzeugs, das Hiroshima überflog, um zu verifizieren, ob die meteorologischen Bedingungen für den Bombenabwurf am 6. August 1945 günstig waren. Eatherly wurde sich hinterher des Ungeheuerlichen der Tat, zu der er beigetragen hatte, bewusst und wies die Ehren, die ihm die Nation erweisen wollte, zurück. Von Schuldgefühlen zerfressen, wurde er straffällig und verbrachte einige Zeit im Gefängnis, bevor er acht Jahre lang in einem psychiatrischen Hospital interniert wurde. Seine Situation reflektiert, wie Bertrand Russell schreibt, „den selbstmörderischen Wahnsinn unserer Epoche“. Obwohl er, wie sein Briefwechsel mit Günther Anders zeigt, geistig gesund war, wurde er bestraft, weil er Reue über seine Teilnahme an einer massenweisen Tötung gezeigt hatte. „Seine Mitwelt war bereit, ihn für seinen Anteil am Massaker zu ehren; als er Reue zeigte, bezog sie freilich Stellung gegen ihn, weil sie in der Tatsache seiner Reue die Verurteilung der Tat erkannte.“40

Weil die Vernichtung der Welt und der Menschheit heute eine Möglichkeit ist, nimmt im „Moralkodex im Atomzeitalter“41 die Bewusstwerdung der äußersten Gefahr und damit die Unruhe eine zentrale Stellung ein. Man muss „den Mut haben, Angst zu haben“ (p. 4) und erkennen, dass diese Gefahr uns betrifft. Das Gefühl der Scham ist, wenn es geteilt wird, das Zeichen unserer Menschlichkeit und unserer Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft. Es bedeutet, dass das Wort „Menschheit“ seinen Sinn nicht ganz verloren hat:42 Statt das Übel kleinzureden, ermessen manche, was bereits geschehen ist. Darüber hinaus erklärt der Graben, der die Macht unserer Technologien von unserer Fähigkeit, uns ihre Wirkung vorzustellen, trennt, dass unsere Wahrnehmung der Zeit erweitert werden muss. Die Zukunft wirft einen Schatten auf die Gegenwart, und es ist eine verbrecherische Nachlässigkeit, die Fernwirkung unserer Technologien in unserem Handeln weiterhin zu ignorieren.43

Während für Epikur, aber auch für Spinoza, die Furcht vor der Zukunft abergläubisch macht und die Leidenschaften erzeugt, die sich der Wahrheit und der Weisheit widersetzen, hält Günther Anders es für die größte Feigheit, sich der Zukunft gewiss zu sein. Eine solche Haltung fördert die Bereitschaft zum Handeln nicht. Sie macht uns glauben, dass jedes Problem einem spezifischen Kompetenzbereich angehört, was, sobald ein Problem auftritt, zu einer Bevorzugung technischer oder militärischer Lösungen führt und die Individuen von jeder Verantwortung befreit. Aufgrund der atomaren Bedrohung sind wir in einer Notsituation und müssen die Ungeduld in Tugend verwandeln.44 Aus allen diesen Gründen ist Claude Eatherly ein Pionier. Er weigert sich zu sagen, er sei nur ein Rädchen gewesen – darin das genaue Gegenteil von Adolf Eichmann45 – und „verkündet: Auch was ich nur mitgetan habe, ist von mir getan; meine Verantwortung betrifft durchaus nicht nur meine individuellen Taten, sondern alle meine ‚Mittaten‘.“46

Die Rehabilitierung negativer Affekte wie der Furcht, der Angst und der Scham bedeutet nicht, dass sie uns tugendhaft machen. Gewiss, die Gleichgültigkeit gegenüber dem Los der anderen ist ein Laster. Und um die Konsequenzen zu berücksichtigen, die unsere Taten für andere haben können, reicht die Fähigkeit, aus Pflicht zu handeln, nicht aus, sondern man muss auch um jemanden zittern können, auch um Unbekannte oder um Lebewesen, die der menschlichen Rasse nicht angehören. Keiner kann sich vom Los der Tiere so betroffen fühlen, dass er sich ihres Fleischs enthält, wenn er sich nicht von den ihnen zugefügten Leiden tief verletzt fühlt. Das Leiden ist nicht die Moral, aber es hat eine moralische Bedeutung. Es kann der Auslöser sein, der jemanden handeln lässt, wenn er an die Wirkung seiner Entscheidungen auf die anderen denkt. Allerdings kann dieser Affekt auch Hass gegenüber denen erzeugen, die unsere Emotionen nicht teilen. Mehr noch, das Umwandeln des Leidens für andere in Verantwortlichkeit verlangt nicht nur Mut, sondern beansprucht auch die Gesamtheit der anderen Tugenden, die die Person trotz ihrer Unruhe und Angst ein Gefühl der Erfüllung empfinden lassen, das mit der Gewissheit, ein gutes Leben zu führen, auch wenn es nicht frei von Schmerz ist, zusammenhängt.

Ethik der Wertschätzung

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