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Prolog

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Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist.

Victor Hugo

Eine ehemalige kaiserliche Residenzstadt in den Anfängen des Juli.

Ummantelt von listiger Diplomatie, gelangten die beiden Verschwörer zum prunkvollen Palais. Folgenschwere Wimpernschläge später betraten sie schweigend den in dunklem Holz getäfelten Raum. Eine gespenstische Ruhe erfüllte die Atemluft. Nur das sekündliche Klacken eines vergoldeten Pendels, welches die Zeit über ein mehr als dreihundert Jahre altes mechanisches Uhrwerk unerbittlich vorantrieb, unterbrach die unheilvolle Stille. Leuchter aus brüniertem Messing tauchten die Szenerie in ein gedämpftes, düsteres Licht. Inmitten des Zimmers standen zwei barocke Ohrensessel, die rechtwinklig in Armeslänge zueinander blickten. Ihr bordeauxroter Samt sowie die einladend bequemen Lehnen aus gedrechseltem Nussbaum spiegelten die Noblesse des Vergangenen wider. Die rechten Flanken der kaiserlichen Sessel zierten halbhohe Säulen aus schwarzem Marmor, auf denen zum Greifen nah farblose Kristallgläser nebst bauchigen Karaffen thronten, halb gefüllt mit stillem Quellwasser. Und im Halbschatten der eigens inszenierten Ordnung gaben mit geprägtem Leder bespannte Eichenstühle bereits Halt für zwei nur schemenhaft wahrzunehmende ältere Männer: weißhaarig und von großer, eleganter Statur der eine, kahlköpfig und durch eine gedrungene Gestalt übergewichtig erscheinend der andere.

Unvertraut, ohne eine Geste der Höflichkeit, ohne die kleinste Regung in von den Jahren der Macht gezeichneten Mienen, ließen sich die verschwörerischen Eminenzen in den tiefen Sesseln nieder. Ein wenig neigten beide den Kopf seitwärts, um mit einem Ohr ganz nah bei den zuflüsternden Mündern der ihnen beistehenden Schemen zu sein. Denn die Diener der Macht lebten als Hohepriester der Sprache, als Brückenbauer über Welten. Zwei Meister der Verständigung, die es immer wieder schafften, unverständliche Worte und Nuancen aus fremdartig klingenden Tonlagen so verwandelt aufbranden zu lassen, dass Vokale und Mitlaute in einer harmonisch und verständlich klingenden Gemeinsamkeit verglühten.

Unumwunden kam der kleinere und deutlich jüngere der Aufrührer zur Sache. Leise, so als müsse er befürchten, dass die Feinde seines Riesenreiches ihn hören könnten, presste er die Frage, die ihm seit Tagen den Schlaf raubte, über schmale, fast blutleere Lippen: »Er hat Zeugnis abgelegt?«

»Ja.« Die Antwort des Älteren erfolgte asketisch knapp, klar und keinen Zweifel zulassend.

Und doch flogen, wie tödliche Pfeile vom Bogen geschossen, erneut die bohrenden Worte des Fragenden heran. Worte, die alle Macht und seinen tiefen Unglauben ausdrückten. Er schaute an seinem Gegenüber vorbei, würdigte ihn keines Blickes. Die Augen suchten Halt unter den zuckenden Lidern, verloren sich aber in der angespannten Stille des für ihn seelenlosen Raumes: »Sind Sie sicher, dass dieselbe Botschaft, Argumentum pro Existentia Dei, der Beweis Gottes, nach fast fünfhundert Jahren zu Ihnen und uns gelangt ist?«

»Ja«, erwiderte der greise Verschwörer erneut und die unerbittlich feste Stimme klang in ihrer absolutistischen Bestimmtheit so bedrohlich, wie das unbändige Donnern im Zentrum eines gewaltigen Unwetters. »Cygnus Nigra, ein schwarzer Schwan, absolut unwahrscheinlich aber unweigerlich wahr. Sie verstehen, was ich meine?« Ein arrogantes Lächeln huschte über die tiefen Ackerfurchen im bleichen Gesicht des Greises.

»So wie Resurrectio Christi, die Auferstehung Christi?« Der Jüngere wehrte den Angriff des Älteren mit einer gekonnten Parade ab, die ihrerseits den Gegner bis ins Mark traf. Und als wohne der schweren, trockenen Luft noch nicht genug Sprengstoff inne, jederzeit bereit zu einer tödlichen Explosion, forderte der Mann hier und jetzt das Schicksal heraus. Unmissverständlich und mit brutaler Einfachheit stellte er die entscheidende Frage: »Sind Sie bereit, alle und alles zu vernichten?« Die Miene des Mannes blieb kalt und starr, wie leblos, gestählt durch Jahre der Intrigen und Machtkämpfe.

»Ja.«

»Sie wissen, was das bedeutet?« Noch einmal hakte der Jüngere nach, so als bohre er genüsslich mit einem Messer in der klaffenden Wunde des Gegners. »Sprechen Sie auch für Ihren erkrankten Machthaber? Ist er damit einverstanden?«

»Die wahren Mächtigen sind oftmals nicht diejenigen, die man vorne stehen sieht«, entgegnete der Ältere ruhig. »Wären wir sonst hier?«

»Wie wahr. Wenn man nicht mit beiden Händen das Regiment der Verwaltung führt, und stattdessen lieber auf die Straße zu den Armen geht, darf man sich am Ende über die eigene Machtlosigkeit nicht wundern«, erwiderte der jüngere höhnisch. Er nutzte die Situation schamlos aus, um mit seinem Wissen aus scheinbar innersten Zirkeln zu kokettieren: »Ich habe vernommen, dass der oberste Befehlshaber Ihres Staates, so waffenlos er im Augenblick auch sein mag, die schon lange bestehende Ordnung infrage stellt. Es heißt, er wolle den Apparat reformieren, den höfischen Prunk abschaffen, die Korruption verdammen und allen Schmutz und alle Intrigen beseitigen, hin zu einem Weg der brüderlichen Barmherzigkeit und der wahren Werte.« Der Mann lächelte ironisch und die Stimme ertrank fast im beißenden Spott, als er sagte: »Wohl so wie damals, als Ihre Parteigänger Il sorriso di Dio, das Lächeln Gottes wählten?«

»Der Lächler hat nur dreiunddreißig Tage geherrscht«, fauchte der Greis abfällig. »Das Schwache muss man ausmerzen und dann gehört die Macht demjenigen, der sie sich nimmt. Egal, in welchem Rang er steht.«

»Ihr habt ihn ermorden lassen?«

»Zum Teufel mit Ihnen«, schrie der alte Mann voll Verachtung und mit heiserer Stimme. Zwar gehorchte der von den langen Jahren der Ämter ausgelaugter Körper nicht mehr so, wie er sollte, dennoch funkelten die Augen des mit biblischem Alter gesegneten Greises immer noch in wilder Entschlossenheit: »Unsere beiden Reiche existieren Tausende von Jahren, herrschen über Milliarden von Menschen. Nichts und niemand kann uns aufhalten. Dafür stehe ich ein.«

»Dann werden Sie die Allianz mit dem Teufel nicht umgehen können«, sagte der Jüngere unumwunden, während ein hämisches Grinsen über sein Gesicht zog.

Der Greis wusste, dass die Situation seine ganze geistige Kraft forderte. Hellwach mühte sich sein scharfer Verstand. Es gab keinen besseren Weg. Er brauchte den Feind, der ihm nun mit starrem Blick gegenübersaß – der ewige Gegner im Kampf um die Herrschaft der Welt. Verteufelt, ein Leben lang. Instinktiv spürte er, dass er gegenüber dem Jüngeren keine Schwäche zeigen durfte. Und so schaffte es die Modulation der in vielen Ränkespielen geübten Stimme noch einmal, die ungeduldig hinausdrängenden Worte so unmissverständlich erklingen zu lassen, dass der andere die machtvolle Forderung nicht abweisen würde: »Wir werden uns also verbünden?«

»Ja, wir sind bereit.« Die Antwort des Jüngeren erfolgte ausdruckslos und ohne jede Regung in den bleichen Gesichtszügen. Deren Schlichtheit entsprach augenscheinlich dem dunkelgrauen, aus feinster und edler Seide bestehenden und auf den Körper des Weltenfürsten maßgeschneiderten Anzug. Dadurch wirkte der Verschwörer väterlicher, als es ihm die unbändige Machtbesessenheit tatsächlich erlaubte.

»So sei es denn«, sagte der Greis knapp und erhob sich mühsam aus dem Sessel. Kein Händedruck, kein Mienenspiel, nur eisige Kälte für den ihm gegenübersitzenden Mann, den er mehr hasste, als die Gebrechen des dem Tod geweihten Körpers. Fünf, sechs kurze Schritte bis zur Tür, den engsten Vertauten hinter sich wissend, entschwand er im Halbdunkel der angrenzenden Räume. Nicht einmal zehn Minuten waren vergangen, seit die Repräsentanten zweier Weltreiche den Raum betreten und ihren Teufelspakt geschlossen hatten. Ein Pakt, der Leben kosten würde. Ein Pakt von schicksalhafter Bedeutung.

Wie unwichtig ist der Einzelne, dachte der greise Fürst nur wenig später, wenn das große Ganze zählt, der Fortbestand der Macht und die Verhinderung von neuem, umstürzendem Denken. Einen zweiten Galilei durfte es nicht geben. Hatte doch dessen Dialogo, die Diskussion über die Weltsysteme, schon vor fast vierhundert Jahren die damals herrschenden Mächte in den Grundfesten erschüttert. Nie wieder durfte solcher Widerspruch geduldet werden. Nie wieder durfte es passieren, dass jemand ungestraft sagte: Epur si muove – und sie bewegt sich doch. Wenige Worte, die eine ganze Welt aus den Angeln hoben. Der alte Mann wusste, dass sein Schicksal ihn auserkoren hatte, das Böse aufzuhalten. Denn nur er war der wahre Fels in der Brandung.

In der ehemaligen kaiserlichen Residenzstadt, die zu Blütezeiten mit den großen Metropolen der Epoche wetteiferte, regnete es schon seit Stunden aus mächtigen, ambossförmigen und sich ständig erneuernden Wolken. Mit elementarer Wucht entlud sich ein unbändiges Sommergewitter. Nach Tagen unerträglicher Hitze, die auch in der Nacht kaum Abkühlung brachte, verschaffte sich die Natur sintflutartige Erleichterung – wie es schon immer geschah, seit Millionen von Jahren. Niemand konnte den Lauf der Dinge abwenden.

Das Treffen der Verschwörer, am sinnbildlichen Ort des Widerstandes eines ganzen Volkes gegen faschistische Diktatoren, blieb völlig unbemerkt von der Öffentlichkeit. Scheinbar bedeutungslos und dennoch ein Ereignis, wie es intensiver und historischer nicht hätte sein können. Unbemerkt und auf unterschiedlichen Wegen fuhren zwei gepanzerte, tonnenschwere schwarze Kommandozentralen von der Josefstadt über regennasse, teils mit großen Wasserpfützen überspülte Straßen zum nur unweit entfernten Flughafen. Gesicherte Limousinen der Mächtigen, die nicht den geringsten Widerstand duldeten – ebenso wenig wie ihre Befehlshaber: Zwei Männer, unterschiedlich und doch so gleich, die alles voneinander zu wissen glaubten, obschon sie sich niemals zuvor begegnet waren. In raschem Stakkato erfolgten über abhörsichere Telefone die Befehle der beiden Schicksalspartner an die Machtapparate ihrer unendlichen Reiche. Gleichförmig und präzise. Unbarmherzig und von gewissenloser Kälte. Jeder auf seine Art die Erotik der Macht auskostend. Niemand würde sie aufhalten. Nicht heute, nicht morgen – niemals.

Rosenwolke und die Formel der Welt

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