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1.4.2 Opposition zwischen Biokonservativen und Bioliberalen
ОглавлениеWo ein Überblick über die Enhancement-Debatte gegeben werden soll, wird diese meist in Anlehnung an ein politisches Lagerdenken als Opposition zweier widerstreitender Richtungen dargestellt (vgl. RanischRanisch, Robert, 201f./EissaEissa, Tina-Louise, 24/Schoilew, 6): Auf der einen Seite befinden sich die oft religiös oder metaphysisch geprägten BiokonservativenBiokonservatismus, die technologischen Methoden der menschlichen Selbstoptimierung im Gegensatz zu traditionell-konservativen skeptisch bis klar ablehnend begegnen. Auf der anderen Seite stehen die BioliberalenBioliberalismus, die neue Biotechnologien grundsätzlich als Erweiterung der menschlichen Handlungsmöglichkeiten begrüßen. Bei dieser Gegenüberstellung handelt es sich aber keineswegs um eine bloß akademische Auseinandersetzung, sondern umgekehrt soll der insbesondere in den USA in den letzten Jahrzehnten geführte „Kulturkampf“ von Gesellschaft und Politik auf die Bioethik „übergeschwappt“ sein (vgl. RanischRanisch, Robert, 202f.). Obwohl pauschale und dramatisierende Zuspitzungen etwa zu einem Antagonismus zwischen fortschrittsfeindlichen Apokalyptikern und technikbegeisterten Euphorikern wenig hilfreich sind, kann eine Gegenüberstellung der kontrastierenden ethischen Grundhaltungen durchaus zum Verständnis der Debatte beitragen. Um die gravierenden Unterschiede im moralischen Fundament besser erfassen zu können, lässt sich beispielsweise das von Jonathan Haidt und Kollegen entwickelte sozialpsychologische Modell der „Moral Foundation Theory“ heranziehen (vgl. ebd., 205): Von den insgesamt fünf eruierten Grundpfeilern der Moral berücksichtigen die Liberalen lediglich die ersten beiden, nämlich 1. „Schaden/Sorge“ und 2. „Fairness/Reziprozität“. Denn Bioliberalen geht es primär um die Autonomie und den Schutz der Individuen sowie die von John RawlsRawls, John und Lawrence Kohlberg profilierten ethischen Prinzipien der Gegenseitigkeit, Fairness und Gerechtigkeit. Demgegenüber sind aus Sicht der Konservativen die Grundlagen menschlicher Moralsysteme viel reichhaltiger und komplexer. Zu den psychologischen Mechanismen der Herausbildung moralischer Überzeugungen und Praktiken in den verschiedenen Kulturen gehören auch Gruppen, religiöse Einstellungen und Gefühle, konkret die weiteren „foundations“: 3. „Gruppe/Loyalität“, 4. „Autorität/Respekt“ und 5. „Reinheit/Heiligkeit“. Einen anderen Versuch einer ethischen Kategorisierung stellen die zwei von Erik ParensParens, Erik in die Enhancement-Debatte einführten Orientierungssysteme eines „DankbarkeitsrahmenDankbarkeits-/Kreativitätsrahmen“ mit dem Aufruf zur Treue und zum Bewahren des Gegebenen und eines „Kreativitätsrahmen“ mit der Aufforderung zur ständigen Selbstverbesserung dar, die sich grob vereinfachend der konservativen und liberalen Grundhaltung zuordnen lassen (vgl. ParensParens, Erik, 37f.). Im Folgenden sollen die wichtigsten Positionen kurz erläutert und kritisch diskutiert werden:
1 Biokonservative
2 Bioliberale allgemein
3 bioliberale Trans- und Posthumanisten
1) Biokonservative
BiokonservativeBiokonservatismusKass, Leon, wie Leon Kass Francis FukuyamaFukuyama, Francis, George AnnasAnnas, George und Jürgen HabermasHabermas, Jürgen treten im Sinne des Dankbarkeitsrahmens für den Schutz menschlichen Lebens und die Bewahrung von Tradition, Schöpfung und menschlicher Natur ein und appellieren an eine Haltung der Ehrfurcht und Demut gegenüber der natürlichen Ordnung. Das eigene Leben und die persönlichen Fähigkeiten und Talente sollen als Geschenke statt als etwas zu Formendes betrachtet werden, und die Endlichkeit und Unvollkommenheit des Menschen gelte es grundsätzlich anzuerkennen (vgl. KassKass, Leon u.a., 286ff./SandelSandel, Michael, 107). Biokonservative stehen neuen Biotechnologien daher skeptisch bis klar ablehnend gegenüber und mahnen zumindest zu einem Innehalten und zum kritischen Hinterfragen des Optimierungsstrebens. Dahinter steht ein substantielles Verständnis einer in sich wertvollen „menschlichen Natur“, eines „menschlichen Wesens“ oder „menschlichen Gedeihens“, das zu einer „Moralisierung der menschlichen Natur“ führt (HabermasHabermas, Jürgen, 46). Obgleich Biokonservative sich der Schwierigkeit einer Verbalisierung ihres Unbehagens gegenüber Biotechnologien bewusst sind, ist immer wieder die Rede von einer „Entmenschlichung“ sowie dem drohenden „Verlust des Menschseins“, der „Menschenwürde“ oder unabdingbarer Elemente des menschlichen Daseins (vgl. KassKass, Leon 2002, 48; 15ff./FukuyamaFukuyama, Francis, 142f.; 147/ KassKass, Leon u.a., 287f.). Am besten lässt sich der unantastbare Eigenwert einer nicht vom Menschen hervorgebrachten „Natur“ in einem metaphysischen oder religiösenArgumentechristliche/religiöse Weltbild begründen, in dem die Wirklichkeit dank eines übersinnlichen Grundprinzips eine strukturierte Ordnung und jedes Ding und jedes Ereignis seinen Platz und seinen Sinn hat. Offen oder verdeckt steht hinter der biokonservativen Verwerfung des Enhancements häufig die christliche Überzeugung, die sich technologisch perfektionierenden Menschen würden ihren Ort in der göttlichen Schöpfung gründlich missverstehen und wollten Gott spielen (vgl. SandelSandel, Michael, 107/FukuyamaFukuyama, Francis, 130ff./KassKass, Leon u.a., 287). Die Forderung nach Rücksichtnahme auf das natürlich Gegebene soll jedoch auch in einem säkularen Rahmen gut begründbar sein, weil immer weitergehende Eingriffe in die menschliche Natur zu einer schrittweisen Erosion gesellschaftlicher und moralischer Verbindlichkeiten führen würden: Zurück blieben Menschen ohne Liebe, Solidarität, Verantwortung, Freiheit und Würde, wie Aldous Huxleys sie in seiner Dystopie Brave New World visionistisch vorweggenommen habe (vgl. SandelSandel, Michael, 107f./KassKass, Leon 2002, 45–49/KassKass, Leon u.a., 285). Betont wird immer wieder auch die wichtige Rolle von Gefühlen wie Angst, Unbehagen, Abneigung oder Ekel, die auf moralische Grenzüberschreitungen hinweisen (vgl. KassKass, Leon 1998, 18f./SandelSandel, Michael, 27f./FukuyamaFukuyama, Francis, 147).Biokonservatismus
Liberale Kritiker diskreditieren ein solches Festhalten am Gegebenen und Gewohnten oder die Privilegierung von Bauchgefühlen als unmoralisch, amoralisch oder irrational, da sich viele biokonservative Bedenken als argumentativ nicht stichhaltige Vorurteile entlarven lassen (vgl. dazu RanischRanisch, Robert, 215). Sie werfen den Biokonservativen vor, mit suggestiven und stark emotional aufgeladenen Begriffen wie „Würde“ oder „Natur“ und diffusen pessimistischen Zukunftsperspektiven die Enhancement-Diskussion unnötigerweise zu dramatisieren (vgl. HeilingerHeilinger, Jan-Christoph, 142f.). Denn der Mensch hat sich als das einzige nicht-festgestellte Tier im Laufe der natürlich-biologischen und kulturellen Evolution so stark gewandelt, dass die Idee einer feststehenden „NaturNaturmenschliche“ des Menschen als unhaltbar und die Rede vom „Verlust“ des Menschseins oder des menschlichen Selbstverständnisses als völlig übertrieben und unangemessen erscheinen (Kap. 2.4). Nach dem starken Schwinden der Bindungskraft der christlichen Religion sind auch von religiösen Menschen in öffentlichen ethischen Debatten Gründe und Argumente zu erwarten, die keinen bestimmten Glauben voraussetzen und allein kraft der menschlichen Vernunft nachvollziehbar sind (vgl. dazu Fenner 2016, 219f.). Während ein Generalverdacht gegen das Streben nach mehr Gesundheit, Lebensqualität und Glück mittels medizinischer Fortschritte rational nicht gerechtfertigt werden kann, geben christliche Grundeinstellungen wie die Ehrfurcht vor dem Leben oder der Topos vom Leben als Geschenk Gottes keinen Aufschluss über die Legitimität oder Verwerflichkeit konkreter einzelner Eingriffe in die Natur (vgl. ebd., 248/KassKass, Leon u.a., 289). Heftig umstritten ist selbst unter BiokonservativenBiokonservatismus KassKass, Leon’ Postulat einer „moralischen Weisheit des Ekels“, die sich mit der Vernunft nicht vollständig erfassen lasse (vgl. KassKass, Leon 1998, 18f.). Ganz grundsätzlich werden zwar die meisten unserer moralischen Überzeugungen von normengebundenen GefühlenGefühlemoralische wie Achtung, Empörung oder Ekel begleitet, die in aller Regel in der moralischen Erziehung zusammen mit den moralischen Urteilen gelernt werden (vgl. Fenner 2008, 209). Solche Gefühle moralischer Billigung oder Missbilligung sind aber keineswegs an sich schon „weise“, sondern ihre Angemessenheit und Legitimität hängt von den ihnen zugrunde liegenden rationalen Überzeugungen ab. Negative Gefühle von Ekel oder Empörung können daher immer nur Indizien für moralische Verstöße sein, nicht aber Beweise für die moralische Falschheit bestimmter Handlungsweisen. Aus Sicht einer säkularen rationalistischen Ethik ist die Orientierung an moralischen Grundpfeilern wie „authority/respect“ (4) oder „purity/sanctity“ (5) problematisch, weil diese höchstens zu einer moralpsychologischen Erklärung von Standpunkten, nicht aber zu ihrer Begründung beitragen.
2) Bioliberale allgemein
Innerhalb des „Mainstream“ des BioliberalismusBioliberalismus findet sich eine große Bandbreite von gemäßigten bioliberalen Positionen bis hin zu radikalen Trans- oder Posthumanisten, die allesamt das ethische Prinzip der FreiheitLiberalismus als das höchste betrachten. In der akademischen Enhancement-Debatte dominieren gemäßigte bioliberale Publikationen mit teilweise programmatischen gemeinsamen Manifesten etwa der Gruppe um Martha FarahFarah, Martha oder Thorsten GalertGalert, Thorsten und Bettina Schöne-SeifertSchöne-Seifert, Bettina. Sofern das höchste individualethische Prinzip der Freiheit oder Autonomie überhaupt näher erläutert oder definiert wird, beschränken sich Bioliberale meist auf einen Minimalbegriff (vgl. dazu RanischRanisch, Robert, 208): Freiheit meint dann die in liberalen Gesellschaften garantierte Fähigkeit einer Person, ihr Leben ohne äußeren Zwang seitens von Staat oder Gesellschaft nach eigenen Wertvorstellungen und Zielen leben zu können und über ihren Körper und ihr Wohlergehen selbst bestimmen zu dürfen (vgl. GalertGalert, Thorsten, 41/GesangGesang, Bernward, 82). Was ein gutes Leben sei, welche technologischen Neuerungen für jemanden eine Verbesserung darstellen und welche Risiken er dafür in Kauf nehmen will, soll ganz dem Einzelnen überlassen bleiben und dürfe nicht allgemein geregelt werden. Bioliberale bewerten Enhancement-Methoden grundsätzlich positiv und plädieren für ihre moralische Erlaubnis, weil dank immer neuer Verbesserungsmöglichkeiten unliebsamer Eigenschaften oder Dispositionen die individuellen Wahlmöglichkeiten und die Chancen auf ein besseres Leben mit mehr Lebensqualität stetig ansteigen. Viele lehnen Unterscheidungen zwischen „natürlichen“ und „künstlichen“, „normalen“ oder „anormalen“ oder „gesundheitsbezogen“ und „nicht gesundheitsbezogen“ Maßnahmen ab, sodass es für persönliche Ziele wie etwa die Steigerung der eigenen Leistungsfähigkeit oder Verbesserung des seelischen Wohlbefindens keine verbindlichen moralischen Obergrenzen gebe (vgl. GalertGalert, Thorsten, 40f.). Wichtig sei lediglich die öffentliche und ärztliche Aufklärung über Risiken und Nebenwirkungen einzelner Selbstoptimierungsmaßnahmen, damit die Einzelnen eine rationale Kosten-Nutzen-Abwägung vornehmen und eine informierte Einwilligung in allfällige medizinische Eingriffe geben können. Gerechtfertigt werden muss daher aus bioliberaler Sicht nicht das individuelle Streben nach Selbstoptimierung mit welchen Mitteln auch immer, sondern vielmehr das Einschränken der individuellen Wahlfreiheit (vgl. ebd., 41f.). Im Hintergrund des bioliberalen Paradigmas des Optimierens steht eine Art „negative AnthropologieAnthropologienegative“ mit der Vorstellung des Menschen als noch nicht genau bestimmtem Mängelwesen, das seine zahlreichen Schwächen seit jeher durch Überformung seiner selbst oder seiner Umwelt zu kompensieren versuchte (vgl. dazu Schoilew, 5; 23).Biokonservatismus
Vielen BioliberalenBioliberalismus wird zu Recht ein undifferenziertes Freiheitsverständnis vorgeworfen, weil „Freiheit“ als negative Freiheit von äußeren politischen oder sozialen Handlungsschranken unterbestimmt ist und z.B. auch subtilere Formen eines sozialen Drucks zu berücksichtigen wären (Kap. 2.3). Des Weiteren blenden Bioliberale oftmals die Schwierigkeit aus, dass bei vielen neueren Enhancement-Methoden schlicht noch zu wenige Forschungsergebnisse insbesondere aus Langzeituntersuchungen für eine umfassend aufgeklärte Kosten-Nutzen-Abwägung vorhanden sind. Typischerweise verteidigen sie neue Technologien unter der hypothetischen Annahme, die diskutierten Optimierungsmaßnahmen könnten eines Tages ganz gezielt, hochwirksam und nebenwirkungsfrei die gewünschten Verbesserungen herbeiführen (vgl. dazu Schoilew, 12). Bioliberale leugnen darüber hinaus zwar in aller Regel nicht, dass durch die Verbreitung des Enhancements sozialethische Probleme im zwischenmenschlichen Zusammenleben entstehen können. Bezüglich grundlegender moralischer Prinzipien wie etwa des Nichtschadens beachten sie aber wiederum nur direkte Schadenszufügungen, nicht etwa auch strukturelle Nachteile Dritter (vgl. RanischRanisch, Robert, 209). Wo die Gefahren eines zunehmenden sozialen Drucks, unfairer Wettbewerbsverzerrungen und verstärkter sozialer Ungleichheit zur Sprache kommen, werden sie häufig relativiert: Verwiesen wird etwa darauf, Selbstoptimierung finde auch außerhalb kompetitiver Zusammenhänge statt, oder das Verbot von kognitivem Neuroenhancement am Arbeitsplatz oder an Universitäten sei ein mindestens ebenso großer Zwang wie der Druck zur Medikamenteneinnahme durch verbesserte Kollegen oder Kommilitonen (vgl. GalertGalert, Thorsten u.a., 43/FarahFarah, Martha u.a., 423). Da soziale Ungleichheit auch sonst in der Gesellschaft in allen Lebensbereichen toleriert werde, dürfe der Fortschritt hinsichtlich Gesundheit oder Lebensqualität der Menschen nicht aufgrund der Gefahr einer ungerechten Verteilung der Enhancement-Methoden beschränkt werden. Oft wird auch einfach auf den Staat mit seinen Möglichkeiten der Sozial- und Steuerpolitik vertraut, der ein weiteres Auseinanderdriften der Schere zwischen den Lebenschancen der Bürger ausgleichen müsse (vgl. GalertGalert, Thorsten, 45/FarahFarah, Martha u.a., 423). Im Zeichen seines „LiberalismusBioliberalismus mit Auffangnetz“ schlägt etwa Bernward GesangGesang, Bernward vor, nur moderate und reversible Verbesserungen mit „unbedenklichen sozialen Folgen“ zuzulassen (vgl. 11; 64; 96). Angesichts des klaren Primats individueller Selbstbestimmung und eines großen Fortschrittsoptimismus drohen jedoch soziale Probleme leicht unterschätzt und die staatlichen Möglichkeiten gezielter Sicherheitsvorkehrungen und Regulierungsmaßnahmen überschätzt zu werden.Biokonservatismus
3) Bioliberale Trans- und Posthumanisten
Beim TransTranshumanismus- und PosthumanismusPosthumanismus handelt es sich um breite und nur lose definierte politisch-philosophische Bewegungen, die dank radikaler Formen neuer Enhancement-Technologien und vollständiger Kontrolle der natürlichen Evolution die biologischen Unzulänglichkeiten des Menschen überwinden und durch sprunghafte Verbesserungen menschlicher Fähigkeiten eine perfekte menschliche Lebensform oder einen neuen Menschen erreichen wollen (vgl. SorgnerSorgner, Stefan, 28f./BostromBostrom, Nick, Kap. 1). Während der Begriff „transhuman“ auf den Biologen und Schriftsteller Julian HuxleyHuxley, Aldous zurückgeht, wurde das Schlagwort „posthumanist“ vom Kulturtheoretiker Ihab Hassan geprägt (vgl. Loh, 34; 94). Neben einer bunten Vielfalt von Science-Fiction-Autoren, Hackern, Robotik- und Zukunftsforschern wie dem Posthumanisten Ray KurzweilKurzweil, Ray bekennen sich auch Philosophieprofessoren wie Nick BostromBostrom, Nick, Julian SavulescuSavulescu, Julian oder John HarrisHarris, John zum Transhumanismus. Da Trans- und Posthumanisten dem bioliberalen „Lager“ angehören, teilen sie die oben bereits erwähnten Grundhaltungen und verfolgen auch die gleichen Ziele wie etwa Verlängerung der Lebens- bzw. Gesundheitsspanne, Steigerung von physischen, emotionalen und intellektuellen Fähigkeiten und allgemein bessere Kontrolle von Geist und Gefühl (vgl. BostromBostrom, Nick, Kap. 1/SavulescuSavulescu, Julian 2009, 212ff.). Radikaler sind aber häufig die dafür vorgesehenen und größtenteils noch in der Entwicklungsphase steckenden Mittel wie Gentechnik, Informationstechnologie, molekulare Nanotechnologie oder Künstliche Intelligenz. Weit verbreitet ist z.B. die Utopie, das Ziel der Lebensverlängerung statt durch ein Hinausschieben des biologischen Todes über ein unbegrenztes Fortbestehen des menschlichen Geistes in intelligenten Maschinen im Sinne einer „kybernetischen UnsterblichkeitUnsterblichkeitkybernetische“ zu erreichen. Unklar und unter den Vertretern selbst umstritten ist, durch welche Merkmale sich der Trans- und Posthumanismus genau voneinander unterscheiden (vgl. SorgnerSorgner, Stefan, 18; 66). Nach einem groben Abgrenzungsversuch will der TranshumanismusTranshumansismus „durch“ (lateinisch: „trans“) den gegenwärtigen Menschen dessen Weiterentwicklung oder Transformation bewirken, wobei neue Technologien lediglich ein Mittel darstellen (vgl. Loh, 11f.; 92f.). Demgegenüber zielt der Posthumanismus auf die Überwindung des heutigen Menschen („homo sapiens“) und die Erschaffung einer neuen Menschenart als maschinelle Superspezies ab, sodass die Technik in gewissem Sinn zum Ziel mutiert. Sich innerhalb des PosthumanismusPosthumanismus gegen die geistige Strömung des „kritischen Posthumanismus“ abhebend, lässt sich dieser für die Selbstoptimierung relevante technologische Posthumanismus somit als extreme Zuspitzung des Transhumanismus bezeichnen (vgl. ebd., 14; 122).Bioliberalismus
Welche Anthropologie dem Trans- und Posthumanismus zugrunde liegt und inwiefern es sich überhaupt um einen „Humanismus“ handelt, wird sehr unterschiedlich beurteilt. Die meisten Repräsentanten bekennen sich implizit zum frühneuzeitlichen und aufklärerischen rationalen HumanismusHumanismus, weil sie den Optimismus hinsichtlich der Perfektibilität des Menschen teilen und dabei auf die Vernunft und die Wissenschaften setzen (vgl. BostromBostrom, Nick u.a., Kap. 1.1/Loh, 20f.; 34f.). Während sich aber der historische Humanismus auf traditionelle Methoden der Erziehung und Bildung beschränkte, wollen Trans- und Posthumanisten das humanistische Programm der Selbstverbesserung mit technischen Mitteln fortsetzen und den vermeintlichen Gegensatz zwischen „Humanität“ und „Technologie“ auflösen. Eher abgelehnt wird demgegenüber der für den „christlichen“ und „kantischen HumanismusHumanismus“ typische Dualismus von Geist und Körper, der tendenziell im Transhumanismus zugunsten einer naturalistischen Anthropologie und eines materialistischen Monismus und im Posthumanismus durch die Überwindung des biologischen Körpers zugunsten eines idealistischen Monismus überwunden wird (vgl. SorgnerSorgner, Stefan, 10/Loh, 27; 31). Meist wird zwar von einem kontinuierlichen Optimierungsprozess des Menschen durch Selbsttechnisierung in Richtung auf Superintelligenz, starke Physiologie etc. ausgegangen. Gleichwohl soll es irgendwann einen kategorialen Bruch geben, an dem „transhumans“ als SchimärenChimären oder Cyborgs mit einigen signifikant nichtmenschlichen Eigenschaften zu „posthumans“ als in jeder Hinsicht von „humans“ verschiedene Angehörige einer neuen Art Mensch übergehen (vgl. SavulescuSavulescu, Julian 2009, 214/Loh, 90). CyborgCyborgs sind Mensch-Maschine-Mischwesen, für die in einem weiten Sinn bereits das Vorliegen einer Beinprothese oder eines Herzschrittmachers ausreichen und in einem engeren Sinn kognitive Optimierungsmaßnahmen durch Neurotechnologien bis hin zur vollständigen Verschmelzung von Mensch und Computertechnologie vorliegen müssen (vgl. MüllerMüller, Oliver 2009, 491f.). Einen kategorialen Umbruch stellte zweifellos die Substitution des biologischen Gehirns als zentraler Steuerungseinheit des Menschen durch einen Siliziumchip mit künstlicher Intelligenz dar, selbst wenn der ganze restliche Körper aus biologischen Organen und Gliedmaßen weiterbestünde (vgl. dazu BirnbacherBirnbacher, Dieter 2006, 176). Der postbiologische Mensch existierte schließlich nur noch als Cyberspace-Entität, technologische Singularität oder artifizielle Superintelligenz im digitalen Netz ohne räumlichen Körper, wobei sich die verschiedenen Superintelligenzen zu einer Supergemeinschaft oder einem Super-Bewusstsein planetarischen Maßstabs verbinden könnten (vgl. KurzweilKurzweil, Ray, 358; 370/Loh, 106–110; 117).PosthumanismusBioliberalismus
Hilfreich ist die Unterscheidung zwischen einem Transhumanismuskohlenstoffbasierter/siliziumbasierterkohlenstoff-basierten und einem silizium-basierten TranshumanismusTrans- und Posthumanismus, wobei auch einige Transhumanisten verwirrenderweise das Ideal völlig synthetisch hergestellter „Posthumaner“ teilen (vgl. SorgnerSorgner, Stefan, 76). Als Wege zur Realisierung artifizieller Superintelligenz werden zum einen die ständig weiterentwickelte künstliche IntelligenzIntelligenzkünstliche mit den vielversprechenden künstlichen „neuronalen Netzen“ genannt, die ähnlich wie das menschliche Gehirn zu komplexen parallelen Verarbeitungsprozessen, selbständigem Lernen und kontinuierlicher Selbstverbesserung fähig sind (vgl. KurzweilKurzweil, Ray, 166/Loh, 97; 114ff.). Zum andern wird das noch weit von seiner Realisierbarkeit entfernte mind uploadingmind uploading oder whole brain emulation vorgeschlagen, d.h. das Herunterladen der Persönlichkeit auf einen Computer entweder nichtinvasiv über Computertomographie oder invasiv durch das Einscannen des in dünne Schichten zerlegten Gehirns (vgl. SorgnerSorgner, Stefan, 76/Loh, 100). Gegen diese Methoden lassen sich zahlreiche Argumente des Ersetzbarkeitsdiskurses anführen, der im Kontext des philosophischen Leib-Seele-Problems und der Künstliche-Intelligenz-Forschung geführt wird: Vorausgesetzt wird ein reduktionistischer Funktionalismus oder InformationismusFunktionalismus, Informationismus, denenzufolge Geist und Person nichts anderes sind als funktionale Zusammenhänge oder Informationen (vgl. Brüntrup, 98f./Loh, 105). Während dabei die Bedeutung von Körperlichkeit und Emotionalität in der menschlichen Erkenntnisweise und Lebensform deutlich unterschätzt wird, ist die Herstellbarkeit geistiger und körperlicher Qualitäten des Fühlens und Erlebens oder gar eines künstlichen Bewusstseins bei Computern höchst fraglich. Nur weil Menschen einen vergleichbaren Körper haben und ähnliche sensomotorische und psychische Erfahrungen in der Auseinandersetzung mit Um- und Mitwelt machen, können sie Wörtern wie „Ball“ oder „Liebe“ ähnliche Bedeutungen zuschreiben und miteinander interagieren. Nicht nur würde wohl kein Mensch auf positive Gefühle wie Liebe oder Glück verzichten wollen, sondern ohne Gefühle fehlte den Menschen die Entscheidungs- und Planungsfähigkeit (vgl. Lenzen, 132). Auch ist völlig unklar, wie bei einer „artifiziellen Superintelligenz“ etwa dank „mind uploading“ noch so etwas wie „persönliche Identität“ oder ein „Selbst“ mit einem kritischen und distanzierten Selbstverhältnis als Subjekt der Selbstoptimierung möglich sein soll (vgl. Loh, 105f.). Noch fundamentaler ließe sich gar nicht mehr sinnvoll von „Verbesserungen“ sprechen, wenn Posthumane keine körperlichen Bedürfnisse und auf individuellen Begabungen basierenden Wünsche hätten und nach erfolgter Selbstoptimierung nicht glücklicher wären als zuvor (vgl. GesangGesang, Bernward, 126; 132).TranshumanismusPosthumanismusBioliberalismus
Je radikaler und exakter geschildert oder sogar datiert technologische Zukunftsvisionen als Krönung einer scheinbar unaufhaltsamen evolutionären Entwicklung ausfallen, desto spärlicher sind wie etwa bei KurzweilKurzweil, Ray systematische theoretische und ethische Reflexionen. Es gibt im Trans- und Posthumanismus eine merkwürdige Spannung zwischen der liberalen Überzeugung einer irreduziblen Pluralität an Vorstellungen vom guten Leben der einzelnen Individuen einerseits und einer subjektunabhängigen „objektiven“ Bestimmung des für die Spezies Mensch „Guten“ andererseits (vgl. SiegetsleitnerSiegetsleitner, Anne, 201f.): Wo technikbegeisterte Trans- und Posthumanisten für die moralische Erlaubtheit oder gar Pflicht zur Entwicklung und Anwendung neuer Technologien eintreten, scheinen sie von einem bestehenden allgemeinen Konsens über „Verbesserungen“ auszugehen. Sie sind sich aber keineswegs einig über die für eine hohe Lebensqualität notwendigen Eigenschaften und halten die Suche nach allgemeinen Kriterien oft für schwierig, weil die Menschen erst im Zuge technologischer Innovationen bislang unzugängliche Wertbereiche entdecken würden und noch gar keine Vorstellung vom Besitz völlig neuer Eigenschaften hätten (vgl. ebd./BostromBostrom, Nick, Kap. 3). Wenn genauso wie im gemäßigten Bioliberalismus das individuelle Enhancement im Zentrum steht und gesellschaftliche und politische Konsequenzen vernachlässigt werden, ist dies angesichts der Radikalität der Selbstoptimierungs-Methoden noch viel gravierender. Eine weit verbreitete Befürchtung einer unerwünschten sozialen Auswirklung lautet beispielsweise, die viel intelligenteren „posthumans“ könnten die naturbelassenen „humans“ verdrängen, versklaven oder ausrotten (vgl. AnnasAnnas, George u.a., 162). Transhumanisten selbst schlagen die simple Lösung vor, bei kohlenstoffbasierten Menschen hohe Moralvorstellungen zu fördern und den künstlichen Intelligenz-Maschinen einen entsprechenden Moralkodex mit Werten der Toleranz und Achtung gegenüber Menschen einzuprogrammieren (vgl. BostromBostrom, Nick u.a., Kap. 3.3). Bei einer vollständigen Substitution eines biologischen Gehirns mit unterstützenden Gehirn-Computer-Schnittstellen durch künstliche Intelligenz stellten sich die Fragen der klassischen RoboterethikRoboterethik, wie Computer Moral bzw. das situationsbezogene Abwägen von Gründen und Argumenten lernen und ethische Verantwortung übernehmen könnten. Viele Transhumanisten betonen zwar, Gefahren und Risiken wie z.B. auch einer externer Überwachung seien sehr ernst zu nehmen und es brauche dazu öffentliche Diskussionen und internationale Institutionen (vgl. ebd./SorgnerSorgner, Stefan, 143). Fraglich bleibt aber, wie demokratische Verfahren zur ethischen Steuerung des „Fortschritts“ und digital vernetzte technologische Singularitäten vereinbar sein sollen.TranshumanismusPosthumanismusBioliberalismus
Kommentierte Kurzbibliographie zu Kapitel 1
Um sich in die verschiedenen bioethischen Grundpositionen der Selbstoptimierungs-Debatte einzulesen, empfehlen sich folgende „Klassiker“: Bei den Biokonservativen FukuyamaFukuyama, Francis (2002), HabermasHabermas, Jürgen (2002) und KassKass, Leon u.a. (2003), bei gemäßigten Bioliberalen GesangGesang, Bernward (2007) oder Aufsätze der Medizinethikerin Schöne-SeifertSchöne-Seifert, Bettina, die zudem eine hilfreiche Sammlung klassischer Texte mitherausgebracht hat (2009a), unter den etwas radikaleren Trans- und Posthumanisten Beiträge von SavulescuSavulescu, Julian und BostromBostrom, Nick, die gemeinsam einen Sammelband (2009) zusammenstellten, HarrisHarris, John (2007) oder SorgnerSorgner, Stefan (2016) mit einführendem Charakter.