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2.1.2 Philosophische Theorien des Glücks oder guten Lebens

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1) Hedonistische Theorie

Gemäß der Hedonismushedonistischen Theorie von griechisch „hedone“ („Lust“) ist ein Leben dann gut oder glücklich, wenn es möglichst viele subjektive Erlebnisse der Lust oder Freude und möglichst wenig Schmerz oder Leid aufweist. Als egoistische individualethische Position wurde sie bereits in der Antike vom Philosophen Epikur begründet und dann im 18. und 19. Jahrhundert in einer universalistischen sozialethischen Variante von den Utilitaristen Jeremy BenthamBentham, Jeremy und John Stuart MillMill, John Stuart vertreten. Seit der Antike wurde gegen den Hedonismus nicht immer zu Recht eingewendet, er verabsolutiere die rein sinnliche Lust angenehmer Sinnesreizungen oder der Befriedigung körperlicher Bedürfnisse, sodass sich der Mensch zum Sklaven seiner natürlichen Neigungen mache (vgl. AristotelesAristoteles, 1095b, 16). Dabei ist ein naiver und unreflektierter HedonismusHedonismusnaiver/reflektierter schon deswegen sowohl unklug als auch verwerflich, weil die natürlichen Bedürfnisse keineswegs immer schon in einem harmonischen Zusammenhang stehen und bestimmte Arten von Lustbefriedigungen für die Betroffenen selbst oder andere schädlich sind wie z.B. der Lustgewinn aus einem Suchtverhalten oder einer Vergewaltigung. HedonismusPragmatisch sowie konzeptuell gesehen kommt daher nur ein reflektierterHedonismusnaiver/reflektierter oder aufgeklärter Hedonismus in Frage, bei dem die Vernunft die verschiedenen Formen von Lust oder Freude aus Distanz bewertet und selektiert. Aber auch dann noch droht das Leben bestenfalls eine Summe bzw. eine ununterbrochene Kette einzelner Momente episodischen Glücks zu bilden, ohne dass zwischen diesen ein Zusammenhang besteht und sich daraus ein sinnvolles Ganzes ergibt. Für ein übergreifendesGlückLebensdauer-, übergreifendes GlückGlück oder Lebensdauerglück kommt es aber wie gesehen nicht so sehr auf einzelne freudvolle oder schmerzhafte Erlebnisse an, sondern auf den Umgang mit ihnen und ihre Integration und Deutung mit Blick auf persönliche Wertmaßstäbe und das ganze Leben (vgl. Fenner 2007, 54ff./BirnbacherBirnbacher, Dieter 2005, 11). Anthropologisch höchst fragwürdig ist jedoch bereits der häufig zur Begründung des ethischen Hedonismus herangezogene psychologische Hedonismus, demzufolge alles menschliche Tun auf Lust abzielt. Offenkundig streben Menschen nämlich keineswegs ausschließlich nach positivem Wohlbefinden und wollen ihr Glück keineswegs ausschließlich aus dem Erleben starker Lustgefühle beziehen, sondern verfolgen viele andere Ziele wie Erkenntnis oder Macht und nehmen für deren Erreichen viel Mühsal und Entbehrungen in Kauf. Als hedonistischen Fehlschluss bezeichnet man den falschen Schluss von der Tatsache, dass Aktivitäten wie wissenschaftliche Forschungen oder das Zusammensein mit Freunden den Menschen Freude bereiten, darauf, dass sie es nur auf die Lust abgesehen haben (vgl. Forschner, 156). In aller Regel sind den Menschen auch die Quellen der Lust nicht gleichgültig und sie möchten sich nicht über die Dinge, Personen oder Vorgänge in der Welt täuschen, über die sie sich freuen.

Um die hedonistische Grundannahme des menschlichen Strebens nach einem Maximum an inneren Zuständen des Wohlbefindens zu widerlegen, wird häufig Robert Nozicks Gedankenexperiment von der Erlebnismaschine herangezogen (vgl. NozickNozick, Robert, 52ff.): Niemand würde sich wohl dauerhaft über Elektroden im Gehirn an eine Maschine anschließen lassen, die ihm suggeriert, er gehe beglückenden Tätigkeiten nach wie etwa dem Schreiben eines Romans oder dem Zusammensein mit Freunden, auch wenn in ihm gleichzeitig die damit normalerweise verbundenen positiven Erfahrungen induziert werden. Bezüglich des emotionalen Neuroenhancements wird daher diskutiert, ob eine Stimmungsaufhellung mittels Psychopharmaka im Subjekt nicht zu positiven Gefühlen ohne adäquaten Bezug zur Außenwelt führt (Kap. 4.1). Als Reaktion auf diese diversen Kritikpunkte haben sich viele Vertreter des Hedonismus ausdrücklich von einem rein Hedonismusqualitativer/quantitativerquantitativen sensorischen Hedonismus distanziert und für Qualitätsunterschiede zwischen verschiedenen Arten von Lüsten plädiert. Dabei wird dem stark mit sinnlichem Genuss assoziierten Begriff „Lust“ meist der Ausdruck „Freude“ vorgezogen, der für höhere Lustformen aus geistigen und sozialen Aktivitäten besser geeignet ist. Allerdings kommt es bei solchen Erweiterungen des ursprünglichen Hedonismus zu Inkonsistenzen und es ist umstritten, ob die Bezeichnung „Hedonismus“ dann noch angemessen ist. Dies gilt z.B. für Mills qualitativen Hedonismus, bei dem neben dem rein quantitativen Maß an Freude Qualitätsunterschiede je nach Quelle und Art der Freude gemacht werden. Dabei seien diejenigen Freuden viel wertvoller und würden von kompetenten Richtern vorgezogen, bei denen im Unterschied zu rein animalischen sinnlichen Genüssen typisch menschliche Fähigkeiten beteiligt sind wie etwa bei intellektuellen Freuden (vgl. MillMill, John Stuart, 14ff.). Sollten aber die „höheren Freuden“ nicht aufgrund ihrer internen Qualität, Freude zu bereiten, wertvoller sein als „niedrige“, ergibt sich ein Widerspruch zum hedonistischen Grundprinzip der Maximierung von Freude (vgl. Köhne, 92–101). Dasselbe trifft auch für Fred Feldmans Hedonismusattitudinalerattitudinalen Hedonismus zu, bei dem „Freude“ als intentionale, auf bestimmte Objekte gerichtete Einstellung („attitudinal pleasure“) aufgefasst wird. Da sämtliche gerichteten Freuden immer einen Weltbezug enthalten, soll die Qualität oder der Wert einer Freude an bestimmten Eigenschaften der Objekte gemessen werden. So sollen die freudvollen Erlebnisse nicht wie bei Nozicks Erlebnismaschine auf Irrtümern, sondern auf wahren Annahmen beruhen, und die Bezugsobjekte müssten die Freude „verdienen“ (vgl. Feldman, 112; 121). Das Verdienst- oder Wertkriterium bleibt allerdings sehr vage und es ist unklar, ob es sich bei den Objektivitätskriterien noch um intrinsische Eigenschaften einer subjektiv empfundenen Freude handelt oder ob zusätzliche hedonismusfremde Elemente einer Wunsch- oder Gütertheorie ins Spiel kommen (vgl. Köhne, 106f.; 110ff./SteinfathSteinfath, Holmer 2013, 175).Glück

2) Wunsch- oder Zieltheorie

Obgleich es selten explizit gemacht wird, scheinen die meisten liberalen Befürworter der Selbstoptimierung von diesem zweiten Grundmodell auszugehen: Aus der Warte der Wunsch- oder ZieltheorieGlückstheorienWunsch-/Ziel-Theorie („desire-fulfillment“ oder „preference-satisfaction theory“) ist ein Leben dann gut oder glücklich, wenn in ihm die wichtigsten Wünsche oder Lebensziele eines Menschen realisiert werden. Individualethisch zu befürworten wären demnach sämtliche Verbesserungsmaßnahmen, mit denen sich die Betroffenen wesentliche subjektive Ziele erfüllen können. Stärker als bei Feldmans „attitudinalen Hedonismus“ findet bei diesen Ansätzen die anthropologische Tatsache Beachtung, dass Menschen ihr Leben aktiv gestalten und dabei stets nach dem Erreichen selbstgesetzter Ziele streben. Da alle zur Reflexion fähigen Wesen Wünsche entwickeln und diese auch in der Realität erfüllen möchten, macht die Wunschtheorie äußerst anspruchslose und unstrittige Voraussetzungen. Zudem ist sie offen für den Pluralismus an Vorstellungen des guten Lebens und überlässt das Urteil über das Gelingen des eigenen Lebens jedem selbst, weshalb sie gegenwärtig breite Zustimmung erfährt (vgl. SeelSeel, Martin 1995, 78f./KipkeKipke, Roland 2011, 203). In der Philosophie der Gegenwart wird sie etwa von John RawlsRawls, John, James GriffinGriffin, James oder Martin SeelSeel, Martin vertreten, die allerdings strenggenommen eher Theorien über Ziele, Lebenspläne oder Selbstverwirklichung vorlegen: GlückstheorienWunsch-/Ziel-TheorieWährend ein spontan auftauchender WunschWünsche häufig fantastisch und realitätsfremd ist und sich an einer subjektiven Idealität orientiert, ist das ZielZiele ein sorgfältig geprüfter, realitätsorientierter GlückWunsch, den zu verwirklichen und entsprechende Handlungsschritte einzuleiten eine Person beschlossen hat. Auch diverse psychologische Studien bestätigen, dass das Ausmaß an Zufriedenheit und Glück eines Menschen von der Entwicklung und der Art persönlicher Lebensziele abhängt (vgl. Bowi, 8/Mayring, 95). Menschen haben jedoch sehr viele verschiedene und teilweise in Widerspruch zueinander stehende Wünsche und Ziele, die sich nicht in einem Leben oder doch nicht alle gleichzeitig realisieren lassen. Daher müssten die einzelnen Ziele in einem Lebensplan in eine zeitliche und hierarchische Ordnung gebracht und miteinander koordiniert werden (vgl. Fenner 2007, 81f.). Bedeutsam für die Bewertung eines Lebens als gelingend sind dabei v.a. weitreichende Lebensziele oder Projekte wie eine berufliche Karriere oder das Gründen einer Familie, die einen großen Regelungsumfang für ganze Lebensbereiche aufweisen. Da der Lebensplan viele identitätsstiftende Lebensziele enthält und gewissermaßen eine Konkretisierung eines normativen Selbstentwurfs darstellt, bedeutet die schrittweise Realisation eines Lebensplans zugleich eine SelbstverwirklichungSelbstverwirklichung (vgl. ebd., Kap. 4.4). Glücklich wäre also ein Mensch dann, wenn es ihm gelingt, seinen Lebensplan mit identitätsstiftenden Zielen kontinuierlich und mit guten Zukunftsaussichten zu erfüllen (vgl. RawlsRawls, John, 447/SeelSeel, Martin 1995, 96).

Wie damit schon deutlich geworden sein dürfte, vertritt kein Philosoph eine naive und Wünscheaufgeklärte/unaufgeklärteunaufgeklärte Wunschtheorie, die zur Erfüllung sämtlicher faktischer, spontan auftauchender und teilweise konfligierender Wünsche auffordert. Anders als zu mentalen Zuständen der Lust oder Freude haben Menschen zu ihren Wünschen immer schon ein kritisches Verhältnis und fragen sich, ob sie diese oder jene Wünsche haben sollten. Auch ist der Bezug zur objektiven Außenwelt insofern vorausgesetzt, als sich die allermeisten Wünsche nur in der Realität verwirklichen lassen. Folglich spräche eindeutig gegen den Anschluss an die Erlebnismaschine, dass sich die Wünsche, einen Roman zu schreiben oder mit Freunden zusammen zu sein, dann nur vermeintlich erfüllen würden. Im Rahmen einer reflektierten und Wünscheaufgeklärte/unaufgeklärteaufgeklärten WunschtheorieGlückstheorienWunsch-/Ziel-Theorie werden nur bestimmte qualifizierte und für das gute und glückliche Leben relevante Wünsche berücksichtigt (vgl. Fenner 2007, 62–69/Köhne, 186–202): Für das eigene Leben sind zunächst überhaupt nur diejenigen Wünsche relevant, die einen Subjektbezug aufweisen und deren Erfüllung auch subjektiv erfahren werden kann. Genauso wichtig ist die Einschränkung auf informierteWünscheinformierte/uninformierte oder aufgeklärte Wünsche, weil sich die Erfüllung unaufgeklärter und irrationaler Wünsche nachteilig auf das gute Leben auswirken würde. Unaufgeklärt und irrational sind Wünsche, die auf falschen Annahmen über die Wirklichkeit Glückoder logisch fehlerhaften Schlüssen basieren. So könnte jemand sich aufgrund völlig unrealistischer Idealvorstellungen eine Schönheitsoperation wünschen und sich über die tatsächlichen Möglichkeiten, Gefahren und Risiken täuschen (Kap. 3.1). NeurotischWünscheneurotische und damit gleichfalls irrational wären Wünsche, die einer krankhaften psychischen Verfassung entspringen und deswegen im Fall einer Erfüllung zu keiner Befriedigung führen. Entwickelt jemand beispielsweise den Wunsch nach einer Schönheitsoperation aus übertriebener Selbstunsicherheit oder infolge einer krankhaft verzerrten Körperwahrnehmung, wird er durch die Operation keineswegs glücklicher (vgl. ebd.). Inadäquat oder irrational kann ein Wunsch aber nicht nur aufgrund falscher Annahmen über die Wirklichkeit sein, sondern auch wegen falscher Werturteile über die gewünschten Objekte oder Zustände (vgl. Fenner 2008, 6ff.). Man denke an RawlsRawls, John Beispiel eines berühmten Harvard-Mathematikers, der seine Forschung aufgibt und stattdessen alle Grashalme auf dem Campus der Universität zählen will (vgl. RawlsRawls, John, 471). Da sich persönliche Wertvorstellungen von Anfang an in einem soziokulturellen Kontext entwickeln, ist die Gemeinschaft wesentlich mitverantwortlich dafür, was die Menschen wünschen und wie positiv sie die Wunscherfüllung erleben. Wenn Wunschtheorien jedoch Zusatzkriterien für die Auswahl der Wünsche angeben wie z.B. die Reichhaltigkeit der zu erwartenden „Erfüllung“, scheinen sie in die Nähe von objektivistischen oder hedonistischen Theorien zu rücken (vgl. GriffinGriffin, James, 34/SteinfathSteinfath, Holmer 2013, 176).

3) Gütertheorien oder Objektive-Listen-Theorien

Konservative Gegner der Selbstoptimierung verweisen häufig auf den Schwachpunkt liberaler subjektivistischer Positionen, dass sich Menschen in ihren Wünschen und Gefühlen täuschen können. Statt das GlückGlück oder gute Leben von subjektiven Einstellungen der Individuen abhängig zu machen, seien vielmehr objektive subjektunabhängige Bewertungsmaßstäbe erforderlich. Gemäß den Gütertheorien oder GlückstheorienGütertheorie/Objektive-Liste-TheorieObjektive-Listen-Theorien gibt es bestimmte Güter, also Voraussetzungen, Rahmenbedingungen oder Strebensziele, die im Leben aller Menschen wichtig und „intrinsisch gut“, d.h. in sich wertvoll sind und über das Gutsein eines Lebens entscheiden. Sollen sie eine systematische Alternative zu subjektivistischen Theorien bieten, müsste es sich dann vom Außenstandpunkt und völlig unabhängig von subjektiven Einstellungen wie Wünschen oder empfundener Freude feststellen lassen, ob ein Leben gut oder glücklich ist. Viele objektivistische Ansätze etwa von Martha NussbaumNussbaum, Martha, Philippa FootFoot, Philippa oder Richard KrautKraut, Richard sind insofern neoaristotelisch und essentialistisch, als sie das Glück und gute Leben wie AristotelesAristoteles an eine „menschliche NaturNaturmenschliche“ bzw. typische menschliche Eigenschaften oder Fähigkeiten knüpfen. NussbaumNussbaum, Martha hat zwei Listen mit wesentlichen menschlichen Grundfähigkeiten und -tätigkeiten zusammengestellt, die entweder ein Leben überhaupt erst zu einem menschlichen oder darüber hinaus zu einem guten menschlichen Leben machen: Zu einem guten menschlichen Leben gehören die Fähigkeiten, 1. ein Leben von „normaler Länge“ zu leben und nicht vorzeitig zu sterben; 2. sich guter Gesundheit zu erfreuen und seine Grundbedürfnisse zu stillen; 3. unnötige Schmerzen zu vermeiden und Freude zu erleben; 4. seine Sinne, seine Phantasie und seine Denkvermögen zu gebrauchen; 5. tiefe Verbindungen zu Menschen einzugehen; 6. eine Vorstellung vom guten Leben und einen Lebensplan zu entwickeln; 7. sich am gesellschaftlichen und politischen Leben zu beteiligen; 8. in Verbundenheit mit der Natur zu leben; 9. zu lachen, zu spielen und sich erholen zu können; 10. sein eigenes Leben selbstbestimmt zu leben (vgl. NussbaumNussbaum, Martha, 200f.). In Analogie zum „Gedeihen“ („flourishing“) von Pflanzen und Tieren postulieren auch FootFoot, Philippa und KrautKraut, Richard, ein gutes menschliches Leben oder Wohlergehen bestehe im Entwickeln und Entfalten artspezifischer menschlicher Fähigkeiten und Kompetenzen (vgl. FootFoot, Philippa, 65ff./KrautKraut, Richard, 135ff.). Die aufgeführten physischen, affektiven, sozialen, kognitiven und sexuellen Bedingungen der artspezifischen Lebensform bleiben sehr allgemein und anspruchslos, können allerdings durch Kunst, Wissenschaft und Kultur verfeinert werden (vgl. KrautKraut, Richard, 148–180). So werden ganz basale kognitive Fähigkeiten wie das Erlernen einer Sprache, Erinnerungs- und Wiedererkennungsvermögen benannt und in affektiver Hinsicht gehörten sowohl positive als auch negative Gefühle zum menschlichen Leben, wobei aber grundsätzlich nur situationsangemessene gut seien und die negativen nicht Überhand nehmen dürften (vgl. ebd., 164; 153–158).Glück

Kritiker befürchten, dass objektivistische Ansätze einen Paternalismus und antiliberale politische Praktiken befördern (vgl. BayertzBayertz, Kurt u.a., 18). Auch ist es höchst unplausibel und kontraintuitiv, ein gutes oder gar glückliches Leben ganz unabhängig von reflexiven Selbstbewertungen oder subjektivem Wohlbefinden an das pure Vorhandensein der aufgelisteten Güter zu koppeln. Dies stünde im Widerspruch zur alltäglichen Erfahrung, dass Menschen aufgrund großer individueller Differenzen auf verschiedene Güter wie beispielsweise Autonomie, Sicherheit oder familiäre Geborgenheit unterschiedlichen Wert legen. Aus objektivistischer Sicht kann es jedoch an mangelnden kognitiven Fähigkeiten oder ungünstigen naturalen oder sozialen Gegebenheiten liegen, wenn jemand das für ihn objektiv Gute nicht erkennt (vgl. RunkelRunkel, Thomas, 106ff.). Im Gegensatz zu radikalen Gütertheorien GlückstheorienGütertheorie/Objektive-Liste-Theoriebeziehen zumindest gemäßigte Theorien auch die subjektive hedonistische Komponente menschlichen Glücks mit ein, die allerdings an bestimmte objektive Güter gebunden bleibt. Nach KrautKraut, Richard beispielsweise ist nicht schon der Besitz oder das Entfalten der artspezifischen Fähigkeiten intrinsisch gut, sondern erst die Freude an ihrem Gebrauch, und FootFoot, Philippa definiert Glück als „Freude am Guten“ (vgl. KrautKraut, Richard, 164/ FootFoot, Philippa, 129). Kritisch zu fragen ist aber, woher man überhaupt wissen kann, was für Menschen objektiv gut sein soll. Sobald es nicht mehr bloß um biologische Grundfunktionen geht, die sich wie bei Orchideen, Bienen oder Löwen unmittelbar aus der Natur ablesen lassen, ist die „menschliche Lebensform“ offenkundig äußerst komplex und variabel. Nach Ansicht der Objektivisten bildet die Bezugnahme auf die Idee des natürlichen Gedeihens allerdings lediglich einen generellen theoretischen Rahmen, und die sehr offenen und vorläufigen Listen müssen in verschiedenen Zeiten und Kulturen konkretisiert werden (vgl. NussbaumNussbaum, Martha, 189/KrautKraut, Richard, 146ff.). Je allgemeiner und konsensfähiger solche objektiven Listen gehalten sind, desto geringer sind die Gefahren eines naturalistischen Fehlschlusses oder Zirkelschlusses sowie paternalistischer Konsequenzen (Kap. 2.4). Objektivisten bedienen sich selten naturwissenschaftlicher Methoden zur Ermittlung der „Natur“ des Menschen oder einer statistischen Norm, sondern kombinieren Erfahrungen der Menschen mit kritisch-aufklärerischen normativen Reflexionen auf das historisch-kulturelle Selbstverständnis (vgl. NussbaumNussbaum, Martha, 189). Der scheinbar subjektunabhängige objektive Bezugspunkt der menschlichen Natur entpuppt sich damit letztlich als rationaler gesellschaftlicher Konsens, sodass es sich um eine rekonstruktive diskursive Begründungsmethode handelte. Mit Blick auf die aktuelle Selbstoptimierungs-Debatte bleibt aber meist offen, ob bei einer perfektionistischen Auslegung neoaristotelischer Ansätze das Ausüben arttypischer menschlicher Eigenschaften oder Fähigkeiten wie etwa Denkvermögen oder Empathie bereits ausreicht oder ob sie in besonderer Weise kultiviert oder perfektioniert werden müssen.GlückstheorienGütertheorie/Objektive-Liste-Theorie

4) Hybridtheorie zwischen aufgeklärtem Subjektivismus und kriteriologischem Objektivismus

Überzeugende Theorien des guten und glücklichen Lebens verbinden subjektivistische mit objektivistischen Elementen, d.h. sie berücksichtigen sowohl die subjektiven Einstellungen der Individuen als auch subjektunabhängige Lebensumstände, Güter und Kriterien (vgl. Köhne, 35f.). Im Unterschied zu den eindeutig „objektivistischenGlückstheoriensubjektivistische/objektivistische“ Objektive-Liste-Theorien lassen sich die hedonistische und Wunschtheorie in dem Sinn als „subjektivistisch“ bezeichnen, als sich ihnen zufolge das Glück oder gute Leben an den Empfindungen, Gefühlen, Wünschen oder Zielen der jeweiligen Subjekte bemisst. Sie sind aber nicht im radikalen Sinn subjektivistisch, weil sie keineswegs jedem sein ganz persönliches Glücksverständnis belassen und damit GlückGlück gleichsam zur Privatsache oder subjektiven Geschmacksfrage erklären, sondern allgemeine und in diesem Sinn „objektive“ Bewertungskriterien entwickeln und begründen. Es ist ohnehin ein weit verbreiteter Irrtum, Menschen hätten von Geburt an eine rationale und untrügliche Vorstellung vom Glück oder guten Leben (vgl. dazu Hampe, 56). Zu undifferenziert ist daher die These des radikalenBioliberalismusradikaler, einfacher/reflektierter, aufgeklärter oder einfachen Subjektivismus des Glücks oder guten Lebens, Glück sei für jeden Menschen vor dem Hintergrund seiner persönlichen biographischen Erfahrungen, Wertvorstellungen und Wünsche etwas ganz anderes und es ließen sich daher keine allgemeinen Aussagen machen. Objektivistische Positionen wenden berechtigterweise gegen subjektivistische ein, dass subjektive Wünsche das Resultat von Irrtümern sein können und dass ihre GlückillusionäresAusbildung sowohl durch menschliche Grundbedürfnisse und -fähigkeiten als auch durch gesellschaftliche Ideale und Wertstandards beeinflusst werden (vgl. SteinfathSteinfath, Holmer 2011, 301). Konzeptuell überzeugen kann daher nur ein aufgeklärter oder reflektierter Subjektivismus mit der Forderung an den Einzelnen, die Interpretation seiner Lebenssituation, seine Wünsche und sein Lebenskonzept bezüglich allgemeiner Gesichtspunkte zu reflektieren und zu hinterfragen sowie der rationalen Kritik durch andere zu öffnen. Da sich der Einzelne grundlegend über seine Lebenssituation täuschen kann, müsste zumindest die Realitätsforderung einer Übereinstimmung des positiven subjektiven Glückszustandes mit einem objektiv günstigen Lebensverlauf erfüllt sein. Abzulehnen ist neben einem von BioliberalenBioliberalismusradikaler, einfacher/reflektierter, aufgeklärter gern vertretenen radikalen Subjektivismus genauso aber auch der unter Biokonservativen Biokonservatismusabsoluter, radikaler/diskursiver, kriteriologischerbeliebte radikale oder absolute ObjektivismusGlückstheoriensubjektivistische/objektivistische, demzufolge es nur genau eine richtige, durch die „Natur“ des Menschen, durch Gott oder tradierte Vorstellungen vom guten Leben festgelegte menschliche Lebensform gibt. Vertretbar ist wiederum nur die gemäßigte Variante eines kriteriologischen Objektivismus mit diskursiv-rational begründeten allgemeinen Kriterien oder normativen Standards, die eine zentrale Rolle bei der Gestaltung und Beurteilung des eigenen Lebens und zur Aufrechterhaltung der glückskonstitutiven sozialen Anerkennungsverhältnisse spielen.

Statt die vorhandenen philosophischen Theorien des GlücksGlück und guten Lebens einfach als gleichberechtigt nebeneinander stehen zu lassen und damit einen individualethischen Relativismus zu befördern, lassen sich die vorzugswürdigen Merkmale der drei Theorien in einer „HybridtheorieGlückstheorienHybridtheorie“ oder „Hybridkonzeption“ kombinieren (vgl. dazu Weber, 272/BayertzBayertz, Kurt u.a. 18): Dem HedonismusHedonismus ist sicherlich insofern Recht zu geben, als ein Leben ohne subjektiv empfundene Lust oder Freude weder ein glückliches noch auch ein gutes sein kann. Ein passives Erleben noch so intensiver und lückenloser Glücksmomente allein ist jedoch kaum ausreichend für menschliches Glück, weil Menschen in aller Regel noch viele andere Ziele außer Lustempfindungen verfolgen und ihr Leben aktiv führen und gestalten wollen (vgl. BayertzBayertz, Kurt u.a., 14). Anders als der theoretisch unhaltbare unreflektierte und rein quantitative sensorische Hedonismus definieren neuere Versionen im Sinne eines aufgeklärten oder reflektierten Subjektivismus objektive Kriterien für die Beziehung zwischen Selbst und Welt. Außerdem kann ein Leben nur dann als sinnvolles Ganzes beurteilt und bejaht werden, wenn in ihm sukzessive eine planvolle Ordnung wichtiger Wünsche oder Ziele verwirklicht wird und dieser Prozess als erfüllend erlebt werden kann. Kern einer kombinierten Theorie müsste daher eine reflektierte und aufgeklärte Wunsch- oder ZieltheorieGlückstheorienWunsch-/Ziel-Theorie bilden, derzufolge nur bestimmte nach objektiven Kriterien geprüfte Wünsche zu einem guten und glücklichen Leben beitragen können (vgl. GriffinGriffin, James, 34). Darüber hinaus führen Wunschtheoretiker auch zentrale Inhalte oder Dimensionen des Glücks wie etwa Arbeit, Interaktion, Spiel und Betrachtung an, die im Leben aller Menschen wichtig sind (vgl. SeelSeel, Martin 1995, 138–170)GlückstheorienWunsch-/Ziel-Theorie. Solche grundlegenden menschlichen Güter stellen auch Gütertheorien oder Objektive-Liste-TheorienGlückstheorienGütertheorie/Objektive-Liste-Theorie zusammen, die allerdings im Rahmen eines radikalen und absoluten Objektivismus Tendenzen zum Paternalismus und Totalitarismus aufweisen können. Wenn das persönliche „gute Leben“ und „Wohlergehen“ nur noch von außen festgestellt wird und nicht vom betroffenen Subjekt auch gespürt wird, entfernt man sich zudem allzu weit vom allgemeinen neuzeitlichen Sprachgebrauch von „GlückGlück“. Gemäßigte Gütertheorien nähern sich jedoch einem kriteriologischenBiokonservatismusabsoluter, radikaler/diskursiver, kriteriologischer Objektivismus an, weil die Güter diskursiv-rekonstruktiv begründet werden und die große Rolle der praktische Vernunft und der Fähigkeit zur selbstbestimmten Lebensplanung nach eigenen Wunschvorstellungen betont werden (vgl. NussbaumNussbaum, Martha, 214/FootFoot, Philippa, Kap. 4). Ihre Listen sind zudem so allgemein gehalten, dass sie sich als Orientierungsrahmen für eine Zieltheorie eignen. Ein gutes und glückliches menschliches Leben wäre nach einer kombinierten oder HybridtheorieGlückstheorienHybridtheorie ein gelingendes Welt-Selbst-VerhältnisGlückWelt-Selbst-Verhältnis, bei dem die betreffende Person die ihr wesentlich erscheinenden Ziele und Güter auf emotional erfüllende Weise realisiert und sich dabei nicht über relevante deskriptive Tasachen und normative Standards täuscht (vgl. SteinfathSteinfath, Holmer 2013, 177).

Selbstoptimierung und Enhancement

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