Читать книгу Selbstoptimierung und Enhancement - Dagmar Fenner - Страница 9
1.2.2 Ambivalenz des Selbstoptimierungstrends
Оглавление1) Positive Aspekte
Das Programm des Selbstoptimierungstrends erscheint als ein grundsätzlich positivesSelbstoptimierungpositive Aspekte, da es zu einem positiven Denken, einem optimistischen Selbstverhältnis und einer auf Verbesserungen abzielenden, aktiven Lebensführung auffordert. Die Kernbotschaft lautet, dass jeder jederzeit unliebsame schädliche Gewohnheiten und Einstellungsweisen verändern, sein Schicksal in die eigene Hand nehmen und etwas für seine Gesundheit und sein Glück tun kann. Es geht bei diesem neuen gesellschaftlichen Leitbild nicht wie in vergangenen Jahrhunderten vorwiegend um den Kampf gegen Entbehrung, Leid und Krankheit, sondern um positive Zielvorstellungen wie Gesundheit, Kreativität, Produktivität und Zufriedenheit. Die allgegenwärtige Motivation zur Arbeit am eigenen Selbst und am eigenen Glück durch sukzessives Feilen an der persönlichen Lebensgestaltung fördert aus Sicht der Befürworter die individuelle Freiheit und Verantwortung der Einzelnen und bestenfalls auch ihr Wohlergehen (vgl. DuttweilerDuttweiler, Stefanie, 8). Im gegenwärtigen Streben nach individueller Selbstverbesserung komme das moderne Ideal persönlicher AutonomieAutonomie, s. Freiheit, Willens- oder Selbstbestimmung zum Ausdruck, das in der gegenwärtigen westlichen Gesellschaft als oberster Wert gilt (vgl. GammGamm, Gerhard, 47ff.): Der Einzelne versteht sich nicht mehr als Opfer der Verhältnisse und muss nicht religiöse oder traditionelle Aufgaben erfüllen, sondern tritt als selbstbewusster Autor seiner selbst und seines Lebens in Erscheinung und führt die Eigenregie bei seiner Selbstdarstellung. Während für vergangene Generationen selbstverständlich war, dass Frauen Kinder großziehen und den Haushalt führen und Männer den Beruf ihres Vaters erlernen und den väterlichen Betrieb oder Hof übernehmen, kann heute jeder zwischen schier unüberblickbaren Ausbildungs- und Studienmöglichkeiten das für ihn Passende auswählen. Dank des hohen Lebensstandards steht nicht mehr die Befriedigung der materiellen Bedürfnisse im Zentrum, sondern die Suche nach einem eigenen Lebensstil hinsichtlich Bildung, Freizeitaktivitäten, Ernährung und Umgang mit dem eigenen Körper (vgl. Schimank, 2). Anstelle der ehemaligen Stände oder gesellschaftlichen Milieus hat sich eine Vielfalt von Lebensstil-Szenen zu verschiedenen Möglichkeiten der Selbst- und Lebensgestaltung ausdifferenziert, so z.B. der „Lifestyle of health and sustainability“ (LOHASLOHAS). Aus dieser Perspektive steht also das moderne Projekt der Selbstverwirklichung und SelbstoptimierungSelbstoptimierungpositive Aspekte für den Übergang von einer autoritätsgläubigen unterwürfigen Persönlichkeit zu einem emanzipierten autonomen Subjekt, der als Befreiungsschlag und höchst positive Errungenschaft bewertet wird.
Aus kritischer Distanz erscheint der hinter dem Selbstoptimierungs-Trend stehende IndividualismusIndividualisierungsprozesse und LiberalismusLiberalismus allerdings oft als einseitig und realitätsfremd. Denn Anleitungen zur Selbstoptimierung und populäre Glücksratgeber suggerieren mitunter, ein erfolgreiches und glückliches Leben sei nur das Resultat der Arbeit am eigenen Selbst oder gar von Autosuggestion (vgl. Hirschhausen, 154/Lyubomirsky, 16). Genährt werden unter Umständen sogar trügerische Omnipotenzphantasien, mit mehr Eigenaktivität, Selbstwirksamkeit und Resilienz alle äußeren Hindernisse überwinden zu können (vgl. dazu UhlendorfUhlendorf, Niels u.a., 35). Kritiker der IndividualisierungSelbstoptimierungnegative Aspekte und Psychologisierung des Glücks bezeichnen es als „kollektive Selbsttäuschung“, dass jeder Mensch als ein freies, gestaltungsfähiges Individuum allein mit den richtigen Einstellungen und Taten sein Glück in der Welt schmieden könne (vgl. Hampe, 56). Denn unbestreitbar findet er zum einen eng gezogene individuelle biologische Grenzen vor, weil auch mit Schönheitsoperationen Alterungsprozesse lediglich verzögert und ein fehlendes Bewegungstalent oder ein niedriger IQ durch Training oder Enhancement nicht kompensiert werden können. Zum anderen wird ein Mensch nach wie vor hineingeboren in bestimmte gesellschaftliche Verhältnisse mit gewissen Ressourcen und Beschränkungen und kann jederzeit Opfer von Naturkatastrophen oder Gewalttaten werden. Angesichts dessen mutet die positiv-anspornend gemeinte individualistische Lesart des Sprichworts „Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied“ naiv an, jeder brauche nur positiv zu denken oder an seiner persönlichen Lebensgestaltung zu arbeiten. Das Pochen auf den Zugewinn an Chancen und Möglichkeiten dank des modernen IndividualismusIndividualisierungsprozesse und LiberalismusLiberalismus wird dann sozialethisch bedenklich, wenn es zur Verweigerung einer Auseinandersetzung mit den bestehenden sozialen, politischen und ökonomischen Verhältnissen führt. Ein naiver Optimismus Optimismus, naiver/funktionalerist aber auch individualethisch problematisch, weil eine durchgängig positive Einstellung zum Leben und zur Zukunft zu einer Überschätzung der eigenen Kontrollfähigkeit und Kompetenzen führt und gegen berechtigte Kritik immunisiert. Damit kommen Optimisten aber die Voraussetzungen für ein „lernendes System“ abhanden, weil sie nicht aus Fehlern in der Vergangenheit lernen und Gefahren und Risiken rechtzeitig erkennen und verhindern können (vgl. dazu Schmied 2012, 44/Seligman, 73). Individualethisch günstig ist nur ein funktionaler Optimismus, bei dem Probleme nicht ausgeblendet, sondern als Herausforderungen betrachtet und stets die offen stehenden Chancen in den Fokus gerückt und voll ausgeschöpft werden (vgl. Fenner 2007, 134f.).
Zur Verteidigung des Programms der Selbstoptimierung wird gern auf die KontinuitätArgumenteKontinuitäts- verwiesen, mit der die Menschen seit Jahrtausenden auf Selbstverbesserung ausgerichtet sind. In der Tat waren die Menschen noch nie einfach zufrieden damit, wie sie waren, sondern versuchten sich und ihr Leben stets mittels physischer, psychischer und mentaler Anthropotechniken zu verbessern (vgl. Leuthold, 11/WiesingWiesing, Urban 2006, 324). Das Streben nach Höherem und Besserem scheint im Menschen angelegt zu sein und bildet sozusagen seinen Lebensmotor und den Antrieb zur kulturellen Weiterentwicklung. So lässt sich der Mensch anthropologisch als „homo modificanshomomodificans“ und „das sich optimierende und normierende Lebewesen“ bestimmen (StraubStraub, Jürgen u.a., 19). Allerdings haben sich die theoretischen Zielvorstellungen und praktischen Methoden im Laufe der Geschichte stark gewandelt, und die angestrebten oder erlangten Veränderungen erscheinen von außen nicht immer als „Verbesserungen“ (vgl. ebd.). Für die Menschen der Antike war das „OptimumOptimierung, Optimum“ in der teleologischen Ordnung der Natur vorgegeben, und alle Maßnahmen sollten nur das vollenden, was in der Natur angelegt ist (vgl. WiesingWiesing, Urban 2006, 324ff.). Dieser Vorstellung immanenter Zwecke in der Natur folgte im Mittelalter der Glaube an die vollkommene göttliche Schöpfungsordnung, wobei Abweichungen des Menschen von der gottgewollten Vollkommenheit als Resultat der Ursünde verstanden wurden. Sie sollten vorwiegend mit geistigen und religiösen Anstrengungen so weit wie möglich schon im Diesseits abgeschwächt werden, auch wenn das eigentliche „OptimumOptimierung, Optimum“ erst dank Gottes Gnade im Jenseits erreichbar war. Das Streben nach Perfektionierung gewann in der Aufklärung als umfassendes Denk- und Lebensmodell mächtigen Auftrieb, weil der Mensch einerseits als grundsätzlich veränderbares und erziehbares Wesen, andererseits zugleich als mangelhaft und verbesserungswürdig galt (vgl. Glockentöger u.a., 74f.). Es wurde in der Aufklärungsphilosophie geradezu als moralische Pflicht angesehen, seine leiblichen, seelischen und geistigen Kräfte zu vervollkommnen (vgl. KantKant, Immanuel, 55f./LenkLenk, Christian, 50f.). Im Laufe der Neuzeit verloren die Vorstellungen der Naturteleologie und einer göttlichen Ordnung immer mehr an Bedeutung, sodass sich die Eingriffsmöglichkeiten nicht länger vor traditionellen Orientierungsvorgaben legitimieren mussten. Mit dieser Entgrenzung der Möglichkeiten gingen aber die normativen Kriterien für die bahnbrechenden technischen und medizinischen Errungenschaften im 19. und 20. Jahrhundert wie etwa Mensch-Maschine-Verbindungen oder Gentechnik verloren, anhand derer sich „Verbesserungen“ und ein „Optimum“ des Menschen bestimmen lassen.
2) Negative Aspekte
Der enorme Zuwachs an Wahlmöglichkeiten und individueller Autonomie im Zuge der verschiedenen Individualisierungsschübe weist offenkundig auch SchattenseitenSelbstoptimierungnegative Aspekte auf wie die Zunahme an Entscheidungszumutungen und persönlicher Selbstverantwortung (vgl. Schimank, 3). Nachdem sichere normative Orientierungsstrukturen abhanden gekommen sind und es zu jeder Handlungsoption zahllose Alternativen gibt, quälen sich viele Menschen mit ständigen Selbstzweifeln: Hätte ich es nicht vielleicht anders machen sollen und hätte es nicht noch besser laufen können oder müssen? Das sich selbst optimierende „unternehmerische SelbstSelbstunternehmerisches“ scheint notwendig ein „unzulängliches Individuum“ zu sein, das nie mit sich selbst zufrieden ist, weil es stets hinter seinen eigenen Ansprüchen zurückbleibt (BröcklingBröckling, Ulrich, 289). Als „Tragödie des Erfolgs“ bezeichnet Leon KassKass, Leon, dass die Menschen trotz enormen wissenschaftlich-technischen Fortschritten z.B. in der Medizin nicht zufriedener mit ihrem Gesundheitszustand geworden sind (vgl. 133f.). Da das Streben nach Perfektion zu Intoleranz gegenüber Fehlern und dem Unvollkommenen führe, gelte das Paradox: „Je perfekter der Mensch werden will, desto unvollkommener wird er.“ (MaioMaio, Giovanni 2018, 251) Selbstoptimierungnegative AspekteWenn individuelle Unsicherheit und Selbstunzufriedenheit mit dem omnipräsenten gesellschaftlichen Appell zur Perfektionierung und Selbstverantwortung zusammentreffen, können sie sich leicht zu einem negativen Lebensgefühl verdichten und zu Erschöpfungszuständen führen. Das erschöpfte SelbstSelbsterschöpftes ist nach Alain EhrenbergEhrenberg, Alain ein ausgebranntes Selbst, das kaum mehr Orientierungsstrukturen und Regeln im Außen vorfindet, sondern sich flexibel und mobil an eine komplexe, sich ständig verändernde provisorische Welt anpassen und dabei alles selbst entscheiden und verantworten muss (vgl. EhrenbergEhrenberg, Alain, 141; 222; 277). Die in westlichen Ländern steigende Zahl von Burn-outBurnout-Vorkommnissen, Depressionen und Angststörungen wird in direkten Zusammenhang gebracht mit den gegenwärtigen Welt- und Selbstdeutungen mit ihren maßlosen Perfektionsidealen. In vielen Bestsellern wie etwa Ariadne von Schirachs Du sollst nicht funktionieren (2015) oder Arnold Retzers Miese Stimmung (2012) wird daher eine radikale Abkehr vom Optimierungswahn und dem Diktat des positiven Denkens gefordert, wohingegen Pessimismus und negative Gefühle aufzuwerten seien. Der Perfektionierungsthese wird von Philosophen wie Harry FrankfurtFrankfurt, Harry und Michael SloteSlote, Michael die Suffizienzthese entgegengesetzt, derzufolge eine Haltung der zufriedenen Selbstbescheidung und Mäßigung rationaler ist als eine unbegrenzte Optimierung der Lebenssituation (vgl. SloteSlote, Michael, 10/Knell, 368f.).
Kritiker des Selbstoptimierungstrends bestreiten auch einen ursprünglichen inneren Drang der Individuen zur Selbstverbesserung, weil sich die Subjekte lediglich dem steigenden sozialen DruckDruck, sozialer anpassen (vgl. KingKing, Vera u.a., 285). Gemäß vielen aktuellen Gesellschaftsdiagnosen stellt die Selbstoptimierung für den Einzelnen längst keine Option mehr dar, sondern eine gesellschaftliche Pflicht oder einen „moralischen Imperativ“ (vgl. SelkeSelke, Stefan 2014a, 189/GammGamm, Gerhard, 34). Der von außen kommende Fremd-Zwang werde zum Selbst-Zwang umverwandelt, wobei sich der Einzelne die „Illusion der Autonomie“ erschaffe (vgl. KingKing, Vera u.a., 286; 289): Die institutionelle „Verbesserungslogik“ knüpfe nur an das moderne Autonomieideal und Selbstverwirklichungsstreben an, um das „Maß der Unterwerfung“ zu kaschieren (vgl. KingKing, Vera u.a., 286). Zu unterwerfen hätten sich die Menschen den Idealen der Effizienz- und LeistungssteigerungEffizienz-/ Leistungssteigerung, wie sie v.a. für die Arbeitswelt mit ihrem verschärften WettbewerbsdruckLeistungsdruck, hohen Ansprüchen an Flexibilität, Mobilität und Selbstorganisation und einer Beschleunigung der Arbeit typisch sind. Aufgrund der Totalität beruflicher Anforderungen und einer fortschreitenden Ökonomisierung der Lebenswelt Ökonomisierung der Lebensweltweite sich dieses ökonomische Effizienz- und Konkurrenzdenken des neoliberalenNeoliberalismuskritik Selbstoptimierungnegative AspekteKapitalismus von der Arbeitswelt auf das Privatleben, die sozialen Beziehungen und die gesamte Lebensführung aus (vgl. ebd., 284/Becker u.a., 5/Kap. 1.2). Da die ungünstigen Arbeits- und Lebensbedingungen bestehen bleiben, bedeute die „Ermächtigung“ zu Freiheit und Selbstverbesserung paradoxerweise eine Anleitung zur ständigen kompromissbereiten Anpassung an gegebene Umstände (vgl. DuttweilerDuttweiler, Stefanie, 8). Die Einzelnen unterwerfen sich aus dieser Sicht den gesellschaftlichen Anforderungen lediglich aus Angst vor dem Verlust an Anerkennung, dem sozialen Abstieg und dem Scheitern im permanenten Ausscheidungswettkampf (vgl. BröcklingBröckling, Ulrich, 289/UhlendorfUhlendorf, Niels u.a., 32; 46). Statt um einen Imperativ zur Selbstoptimierung handle es sich dabei genau genommen um einen „Imperativ zur SelbstausbeutungSelbstausbeutung“, weil die Getriebene unter den Zwängen leiden (vgl. UhlendorfUhlendorf, Niels u.a., 46). Während viele Menschen die destruktiven Risiken und psychischen und somatischen Symptome bagatellisieren, liegen bei anderen Erschöpfung und ohnmächtiges Leiden offen zutage (vgl. ebd., 32f./Salfeld u.a., 10f.). Obwohl es für das mediale Schlagwort BurnoutBurnout bis heute keine validen allgemeingültigen Diagnosekriterien gibt und die komplexen inneren und äußeren Ursachen noch erforscht werden, fungiert der Begriff in öffentlichen Selbstoptimierungs-Debatten geradezu als Synonym für Leistungsträger, die rund um die Uhr erreichbar sind und bis zur Erschöpfung arbeiten (vgl. MühlhausenMühlhausen, Corinna 2013, 122f.).
Diese neoliberalismuskritische Darstellung des Selbstoptimierungsstrebens als einverleibter Fremd-Zwang ist allerdings genauso einseitig und tendenziös wie die radikale Autonomiethese. Die skizzierten neuzeitlichen Emanzipations- und IndividualisierungsbestrebungenIndividualisierungsprozesse lassen sich schwerlich auf eine reaktive Anpassung an wirtschaftliche Anforderungen reduzieren, weil sich die Menschen vom Kampf um mehr Freiheit und ein individualisiertes Glücksstreben vielmehr eine Steigerung der Lebensqualität erhofften. Die „Verschmelzung“ steigender individueller Ansprüche und marktrelevanter Forderungen ist also viel komplexer und konzeptuell schwer zu fassen (vgl. KingKing, Vera u.a., 286). Auch gibt es in der gegenwärtigen Optimierungsgesellschaft durchaus positive Muster der Lebensführung, bei denen eine begeisterte Bejahung der zahllosen Möglichkeiten des Optimierens mit angemessener Selbst- und Fremdsorge einhergehen (vgl. Salfeld u.a., 10/UhlendorfUhlendorf, Niels u.a., 34). Menschen scheitern offenkundig nur, wenn bestimmte ungünstige psychische Startbedingungen wie niedriges Selbstbewusstsein und mangelnde Zuwendung in Primärbeziehungen und unerfüllbare äußere berufliche Anforderungen oder unsichere Arbeitsverhältnisse aufeinandertreffen (vgl. ebd., 32; 44/KingKing, Vera u.a., 287). Sie zerbrechen dann aber nicht am generalisierten Zwang zur permanenten Selbstoptimierung, sondern an Überlastung z.B. infolge von ArbeitsverdichtungArbeitsverdichtung, unrealistischen Arbeitserwartungen oder entgrenzter Arbeitszeit, prekärer befristeter Arbeitsverhältnisse, Doppelbelastung durch Beruf und Familie etc. Folgerichtig müsste sich die Kritik auch gegen solche ganz konkreten Missstände richten. Da nur unter bestimmten problematischen Bedingungen der Appell zur Selbstoptimierung negativ als Zwang und nicht positiv als Motivationsschub erlebt wird, gibt es keinen einfachen Zusammenhang zwischen Optimierungs- und Leistungsdruck und Erschöpfungsreaktionen oder BurnoutBurnout (vgl. UhlendorfUhlendorf, Niels u.a., 33; 47). Aus psychologischer Sicht sind die wenigsten Menschen masochistisch veranlagt und verschreiben sich auf Dauer Selbstoptimierungsprogrammen, die autodestruktiv sind und weder Vergnügen noch Befriedigung bringen (vgl. Balandis u.a., 148). Die befürchtete Entsolidarisierung der individualisierten Gesellschaft drohte nur dann, wenn der gesellschaftliche Ruf nach Selbstoptimierung zur Entlastung von Politik und Gesellschaft führte und der Einzelne ungeachtet unwürdiger Erwerbs- und Lebensbedingungen auch für sein Unglück selbst verantwortlich sein soll. Der sozialethisch höchst problematische Umkehrschluss zur positiven liberalen Maxime „Jeder ist seines Glückes Schmied“ lautete dann: Wer im Leben nicht alles erreicht hat und nicht sein Glück macht, hat sich nicht genug angestrengt!
3) Notwendigkeit einer Ambivalenztoleranz
Klare Einordnungen der Selbstoptimierung in oppositionelle Kategorien wie „positiver Ansporn“ oder „Selbstausbeutung“, „Freiheitszuwachs“ oder „sozialer Druck“, „Weg zum Glück“ oder „Wahn“ werden der Komplexität der Thematik nicht gerecht und behindern die gesellschaftliche Debatte. Bei multifaktoriellen und vielschichtigen kulturellen Entwicklungsprozessen ist es nicht leicht auseinanderzuhalten, was „von innen“ von den Menschen selbst oder „von außen“ von der Gesellschaft kommt, deren Teil die Menschen sind. Individuelle Autonomie und gesellschaftliche Orientierungsmuster und Wertstandards schließen einander in demokratischen Gesellschaften keineswegs kategorisch aus. Optimierungsbemühungen führen nicht zwingend zu Selbstausbeutung und Erschöpfung, sondern viele Menschen haben Spaß an den neuen Möglichkeiten der Weiterentwicklung, der erhöhten Selbstkontrolle und Selbstverantwortung und dem besseren Erreichen ihrer Ziele (vgl. Balandis u.a., 134; 148/KingKing, Vera u.a., 292). Selbstoptimierungnegative AspekteSchwerlich ist schon das typisch menschliche Bestreben problematisch, sich selbst zu verändern und das Beste aus sich und seinem Leben zu machen. Nur unangemessene, unerreichbare Perfektionsideale und ein übersteigerter PerfektionismusPerfektionismus/perfektionistisch und Kontrollzwang führen zu Selbstüberforderung und Minderwertigkeitsgefühlen. Weder ein erfolgszuversichtliches, strukturiertes und effektives Handeln und lebenslanges Lernen zum ständigen Effizienz-/ LeistungssteigerungErwerb neuer Kompetenzen noch auch erhöhte Selbstverantwortung, Eigeninitiative und Selbstorganisation sind einem guten Leben abträglich, sondern begünstigen es im Gegenteil. Verwerflich sind nur die sich darauf abstützenden, maßlos gesteigerten und unerfüllbaren beruflichen oder gesellschaftlichen Anforderungen an die Einzelnen. Werden auch unverantwortete, sozial oder natürlich bedingte Kosten und Risiken dem Einzelnen angelastet, so werden die Ansprüche an die individuelle Selbstverantwortung deutlich überzogen und die „Pflicht zum Glück“ wird „asozial“ (vgl. SchmidSchmid, Wilhelm 2012, 7ff./GugutzerGugutzer, Robert, 2). Es braucht eine gelassene und sachlich-nüchterne Einstellung, um diese grundlegende und hochgradige Ambivalenz der Selbstoptimierung erst einmal wahrnehmen zu können (vgl. Balandis u.a., 148). Ins Zentrum der gesellschaftlichen Debatten sollten dann jedoch die zukunftsgerichteten Fragen rücken, welche Aspekte des Selbstoptimierungstrends sich positiv oder negativ auf das individuelle oder gesellschaftliche Leben auswirken und mit welchen Regulierungsmaßnahmen sich seine Weiterentwicklung gezielt beeinflussen lässt. Die Anwendungskontexte und verschiedenen Formen von Selbstoptimierung sind allerdings so vielfältig, dass pauschale Urteile wenig sinnvoll sind und sorgfältige Einzelfallanalysen durchgeführt werden müssen (vgl. AchAch, Johann 2016, 141).