Читать книгу Selbstoptimierung und Enhancement - Dagmar Fenner - Страница 16
2.1 Glück oder gutes Leben als individualethischer Maßstab
ОглавлениеInnerhalb der normativen EthikEthik lassen sich zwei grundlegende Bewertungshinsichten unterscheiden, die in zwei aufeinanderfolgenden Kapiteln beleuchtet werden sollen: die prudentielle Perspektive der Individual- oder StrebensethikEthikIndividual-, Strebens-, die sich der persönlichen Lebensführung des Einzelnen und dem für das Individuum Guten widmet, und die moralische Perspektive der Sozial- oder SollensethikEthikSozial-, Sollens-, die sich mit dem menschlichen Zusammenleben und dem für die Gemeinschaft Guten befasst (vgl. Fenner 2008, 8f.). Dabei unterscheidet sich der normative Anspruch der beiden ethischen Bereiche: Während die Individualethik Ratschläge und Empfehlungen für die je eigene Lebensgestaltung gibt, zielt die Sozialethik auf allgemeingültige Sollensforderungen oder Regelungen ab. Allerdings bildet das gute Leben der vom Handeln betroffenen Mitmenschen eine zentrale Hinsicht für die gebotene moralische Rücksichtnahme, sodass individualethische Reflexionen auch für die Sozialethik bedeutsam sind. Obgleich es in der Debatte um Selbstoptimierung und Enhancement nicht immer klar benannt wird, geht es bei den verschiedenen Optimierungsmaßnahmen im Grunde immer um ein glückliches oder gutes Leben bzw. größere Chancen auf ein solches (vgl. exemplarisch KassKass, Leon u.a., 19/NagelNagel, Saskia, 72/HeilingerHeilinger, Jan-Christoph, 39). Nach der sogenannten welfarist definition wird Enhancement ausdrücklich bestimmt als jede biologische oder psychologische Veränderung einer Person, die ihre Chancen auf ein gutes Leben erhöht (vgl. SavulescuSavulescu, Julian u.a., 7). Nicht nur in dieser „welfarist“-Definition, sondern in der Selbstoptimierungs-Debatte ganz allgemein wird aber zumeist nicht näher angegeben, was das „gute Leben“ oder „Glück“ genau bedeuten sollen (vgl. dazu BayertzBayertz, Kurt u.a., 11). Häufig wird lediglich auf die Vielfalt philosophischer Theorien des guten Lebens verwiesen, ohne einem der systematischen Ansätze den Vorzug zu geben. Statt bei ihren Überlegungen eine bestimmte verbindliche Theorie des Guten vorauszusetzen, sollen diese offen bleiben für eine ganze Bandbreite unterschiedlichster individueller Vorstellungen von menschlichem Wohlergehen (vgl. ebd., 12/HeilingerHeilinger, Jan-Christoph, 95). Ganz unabhängig von der empirischen Frage nach konkreten Inhalten des Glücks einzelner Menschen ist aber die philosophisch-begriffliche Klärung sinnvoll, was menschliches Glück ganz allgemein und formal gesehen ist (vgl. BirnbacherBirnbacher, Dieter 2005, 2). Im Folgenden wird ein Mittelweg eingeschlagen zwischen einem paternalistisch-konservativen objektivistischen und einem radikalliberalen subjektivistischen Verständnis vom guten Leben oder Glück. Denn die mehr oder weniger bewussten subjektiven Glücksvorstellungen der Menschen sind sehr wohl einer philosophischen Reflexion und Kritik zugänglich, sodass sie beispielsweise auf immanente Widersprüche oder problematische Konsequenzen hin geprüft werden können. Wie lassen sich also das „gute Leben“ und das „Glück“ näher bestimmen?