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1.1.2 Das „Selbst“
ОглавлениеDas „Selbst“ ist bei Selbstoptimierungs-Handlungen sowohl das Subjekt als auch das Objekt. Allerdings ist das „Selbst“ ein sehr komplexes, aus verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven unterschiedlich darstellbares Phänomen, sodass es keine einheitliche Begriffsverwendung gibt. Grundlegende Voraussetzung für jedes zielgerichtete Handeln ist jedoch, dass sich das „SelbstSelbst“ in einem theoretischen Selbstverhältnis bewusst wird: Ein „Selbst-Bewusstsein“ entsteht, indem sich ein „kognitives Ich“ oder „reines Selbst“ auf seine Bewusstseins-Akte wie Meinen, Urteilen, Wünschen und Erleben zurückwendet und sich selbst zum Objekt macht. Das Sich-Wiedererkennen und Identifizieren-Können in einem Spiegel dient gerne als Symbol und Zeichen für ein „Selbst“ bzw. „Selbstbewusstsein“, weshalb in der empirischen Forschung ein sogenannter Spiegeltest eingesetzt wird. Gemäß den Sozialpsychologen William James und George Mead lässt sich das Selbst oder die Ich-Identität als ein Gleichgewicht zwischen a) dem aktiven, vollzugshaften Moment des „I“ oder „reinen Selbst“ und b) dem passiven, objektivierten Moment des „me“ oder „empirischen Selbst“ verstehen.
Das reine Selbst, das „Ich“ oder „erkennende Selbst“ (a) meint die mentale Fähigkeit, zu den charakterlichen, biographischen und situativen Gegebenheiten bewusst und reflexiv Stellung zu beziehen. Demgegenüber setzt sich das empirische Selbst (b) aus einem „materiellen Selbst“ mit Körper, Kleidung etc., dem „sozialen Selbst“ mit Status und sozialen Rollen und dem „geistigen Selbst“ mit psychischer Disposition und Charaktereigenschaften zusammen. Ein Selbst, eine Ich-IdentitätIdentität oder persönliche Identität ergibt sich aber erst, wenn die empirischen Aspekte mit den persönlichen kognitiven Deutungen und Bewertungen dieser Tatsachen vermittelt werden. Das verbindende Dritte in diesem Strukturmodell des „Selbst“ ist das „SelbstkonzeptSelbstkonzept/ -bild“ oder „Selbstbild“ eines Menschen, das erst eine gewisse zeitliche Stabilität der persönlichen Identität herzustellen vermag: In der Psychologie wird das Selbstkonzept meist deskriptiv verstanden als das auf eigenen Erinnerungen basierende Wissen davon, wer man selbst ist. Philosophen interessieren sich vornehmlich für die normative Dimension des Selbstkonzepts und sprechen von einem „normativen Selbst“ oder „normativen Selbstbild“ (vgl. KipkeKipke, Roland 2011, 61/Fenner 2007, 98f.): Das normative Selbst oder normative Selbstbild ist ein prospektiver Selbstentwurf, der auf der Grundlage einer umfassenden Interpretation und Bewertung der materiellen, körperlichen, sozialen und geistigen Dispositionen die wichtigsten Lebensziele und Ideale für die zukünftige Entwicklung festlegt.
Bei einem auf Handlungen ausgerichteten praktischen Selbstverhältnis bestimmt das „reine SelbstSelbst“ in einem solchen persönlichen Selbstentwurf, welche Anlagen, Fähigkeiten und sozialen Rollen im eigenen Leben wichtig sind und in welcher Form sie realisiert werden sollen. Wenn jemand allerdings ein völlig realitätsfremdes „normatives Selbst“ oder „Ideal-Selbst“ entwirft, wird dieses ein bloßes Phantasieprodukt bleiben. Ein erfolgreicher Selbstoptimierungsprozess vom Ist- zum Soll-Zustand setzt daher eine möglichst genaue deskriptive Analyse des bereits in Erscheinung getretenen „empirischen Selbst“ voraus. Dem Projekt der Selbstoptimierung sind aber nicht nur durch die genetischen Anlagen und die Faktizität Grenzen gesetzt, sondern auch durch kulturelle und gesellschaftliche Bewertungsmaßstäbe, Idealvorstellungen und faktische Selbsttechnologien. Schon hinsichtlich der Genese eines Selbstbilds und eines prospektiven Selbstentwurfs wäre es ein individualistisches Missverständnis anzunehmen, es handle sich um Kreationen sozial isolierter Einzelindividuen (vgl. dazu KipkeKipke, Roland 2011, 63). Vielmehr findet der Einzelne in seinem sozialen Umfeld Inhalte und Methoden der deskriptiven Selbstbeschreibung und eine Vielfalt an kulturellen normativen Selbstbildern vor, mit denen er sich auseinanderzusetzen hat. Was jemand ist und sein will ist nicht völlig abgekoppelt von anthropologischen und kulturellen Vorstellungen davon, was ein Mensch ist oder sein sollte. Natürlich können sich die Individuen zu den sozialen Deutungsmustern und normativen Standards von gelingender Selbstverwirklichung oder Selbstoptimierung verhalten und sich davon distanzieren, aber sie bleiben doch stets auf diese Maßstäbe bezogen (vgl. ebd., 65). Nicht zuletzt sind auch die Möglichkeiten und Grenzen der konkret zur Verfügung stehenden Praktiken und Techniken zur Selbstverbesserung kulturell vorgegeben. Von der anderen Seite aus gedacht erhebt der Einzelne mit seinem normativen Selbstkonzept oder seinen Selbstoptimierungszielen implizit auch immer schon den Anspruch, dass das von ihm Angestrebte und für wichtig Erachtete auch von den anderen geschätzt und als gut beurteilt werden sollte. Aufgrund der Angewiesenheit auf soziale Anerkennungsverhältnisse dürfte ein grundlegender Widerspruch zwischen einem persönlichen „Optimum“ oder „normativen Selbstbild“ zu den Menschenbildern und Wertvorstellungen im sozialen Umfeld dazu führen, dass das eigene Selbstwertgefühl mehr und mehr untergraben wird. Auf lange Sicht wird es niemanden glücklich machen, wenn er erfolgreich Selbstoptimierungs-Ziele verwirklicht, die von allen anderen Menschen als völlig wertlos eingestuft und verachtet werden (vgl. Fenner 2007, 65f.).