Читать книгу Und dann kam das Wasser - Dagmar Isabell Schmidbauer - Страница 10

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Wie ein geprügelter Hund stand Kriminalhauptkommissar Josef Schneidlinger auf dem Holzsteg unterhalb des Einstiegsfensters und machte sich selbst die schwersten Vorwürfe.

Natürlich war die Kollegin Steinbacher erfahren, und der junge Hollermann war ja auch mit reingegangen, aber wie sich jetzt gezeigt hatte, war die junge Kommissarin vielleicht doch noch nicht so weit – zumindest, wenn es um die Einschätzung des Risikos ging.

Der Hauptkommissar beugte sich über das Fensterbrett und versuchte einen Blick auf das Geschehen im Haus zu werfen. Als er vor wenigen Minuten am Tatort eingetroffen war, hatte man ihn mit der Aussage konfrontiert, dass sie jetzt vermutlich eine zweite Wasserleiche hätten. Nun, das kommt vor, dachte der Hauptkommissar im ersten Moment, schließlich war die Sachlage insgesamt etwas undurchsichtig. Als die Kameraden von der Feuerwehr jedoch hinzufügten, der Kommissarin wäre ja auch nicht zu helfen gewesen, wurde ihm schlagartig flau im Magen. Sie habe die Warnung selbst dann noch ignoriert, als es schon nicht mehr zu überhören war, dass das Glas im nächsten Moment zerreißen würde, berichtete ein Mann, und der Rest, na ja, der sei dann einfach Pech gewesen. Ihr Kollege hätte sie ja schon fast gehabt, als die Stützkonstruktion der Decke umkippte und der Balken der lebensmüden Kommissarin direkt auf den Kopf donnerte.

Nachdem er die Haustür ins Schloss gezogen hatte, war er noch froh darüber gewesen, dass er der aufgeladenen Stimmung, die an diesem Wochenende in seinem Elternhaus herrschte, den Rücken kehren konnte. Ausgestattet mit Gummistiefeln und einer regenfesten Jacke war er in seinen Porsche Boxster gestiegen, in weiser Voraussicht, dass er zwar nicht auf dem Weg zu einer echten Alternative für einen anständigen Sonntagabend war, aber immerhin weg kam. Er hatte die Autobahn genommen, war in Passau-Süd abgefahren, weiter über die B12 und dann runter auf die Regensburger Straße bis zum Schanzl. An der Ludwigstraße war er in die Fußgängerzone eingebogen und folgte ihr, bis er über den Heuwinkel zum Rindermarkt kam. Über die Messergasse und den Steinweg hatte er schließlich den Residenzplatz erreicht, wo man ihn dann nichtmehrweiterfahren ließ. Hier parkten auch der Bus der KTU und der Wagen von Franziska Steinbacher. Die gesamte Fahrt war Schneidlinger endlos und beschwerlich erschienen. Starker Regen prasselte auf das Verdeck seines Wagens, wie ein unermüdliches Stakkato, oder, wie er jetzt wusste, wie der Countdown zu dem Moment, in dem er hier stehen musste, um sich einem wahren Albtraum zu stellen.

Seit einem guten Jahr war er der Leiter der Passauer Mordkommission, und inzwischen kannte er nicht nur alle schönen Winkel dieser Stadt, sondern auch die weniger beschaulichen Ecken. Gleichzeitig waren ihm die neuen Kollegen ans Herz gewachsen, jeder auf seine ganz eigene Art. Vor allem die engagierte Oberkommissarin Steinbacher, die so erfrischend ehrlich, aber, wie er sehr wohl beobachtet hatte, auch verletzlich war, mochte er sehr. Und jetzt? Kurz war Schneidlinger versucht gewesen selbst hineinzusteigen, um bei der Bergung zu helfen. Andererseits waren da drin schon genug Fachleute im Einsatz, und so blieb ihm nur das lange und zermürbende Warten.

Für einen Moment ließ der Hauptkommissar das Fenster außer Acht und sah sich um. Neben ihm auf dem Steg standen die Kollegen von der Kriminaltechnik, die gehofft hatten, den Tatort inspizieren zu können, bevor das Wasser alle Beweise vernichtete. Sie alle blickten bekümmert zu dem kleinen Fenster hin, durch das Franziska mit Hannes und den Männern von der Feuerwehr in das Ladenlokal gestiegen war. Niemand schien Schneidlinger und seine Sorgen zu beachten, bis er spürte, wie sich ihm ein Blick in dem Rücken bohrte. Neugierig wandte er den Kopf und stierte in die Dunkelheit, um den zu finden, der ihn so interessiert musterte, als er erschrocken zusammenfuhr, weil ihm jemand mit lauter Stimme zurief: „Weg da! Wir haben sie!“

Der Hauptkommissar reckte sich, um endlich zu sehen, was mit der Kollegin passiert war, doch statt Franziska erschien ein großer und kräftiger Feuerwehrmann im Fenster und kletterte heraus.

„Ist sie …?“ Schneidlinger traute sich nicht, seinen Satz zu beenden. Mit verzweifelter Miene sah er den Feuerwehrmann an.

„Unkraut vergeht nicht“, versicherte der Mann grob, überließ Schneidlinger die weitere Deutung und stapfte davon.

„Chef?“

Der Hauptkommissar wandte den Kopf, und sofort huschte ein Lächeln über sein Gesicht. „Franziska …äh, Frau Steinbacher! Bin ich froh, Sie zu sehen.“

Schnell sprang er zwei Schritte auf den Fensterausschnitt zu, um ihr beim Heraussteigen behilflich zu sein. Haare und Kleidung klebten an ihrem Körper, und ihr Gesicht sah mitgenommen aus. Trotzdem gelang ihr ein kleines Lächeln, als Schneidlinger sie vorsichtig vom Fensterbrett hob.

„Wir bringen sie zum Krankenwagen“, mischte sich die herbeieilende Mona von der Kriminaltechnik ein, bevor die Stimmung zu rührselig werden konnte. „Sie muss ins Warme, und ihr Kopf muss untersucht werden.“

Schneidlinger nickte. „Ja. Danke. Ich mache mir nur noch ein Bild der Lage und komme dann nach.“


Und dann kam das Wasser

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