Читать книгу Und dann kam das Wasser - Dagmar Isabell Schmidbauer - Страница 20
ОглавлениеZwei Stunden später lag Franziska, von duftendem Schaum umgeben, wieder einmal in ihrer Wanne und dachte über das Leben und seine seltsamen Fügungen nach. Einem Mann wird genau zu der Zeit, wo die Passauer Altstadt vom Hochwasser überschwemmt wird, in einem leer stehenden Haus an der Ortsspitze der Hals aufgeschnitten. War die Flut nur ein Zufall, oder gehörte sie zum Plan des Täters? Hatte er tatsächlich die Prognosen des Wasserwirtschaftsamtes richtig gedeutet und sich zu eigen gemacht? Und welchen Nutzen hatte das Wasser für ihn überhaupt? Bedeutete es einen Zeitgewinn? Aber wofür brauchte er dann eine Gewebeprobe vom Toten? Vor allem, warum nur Haut- und Fleischstücke, warum nicht gleich einen Finger? Franziska schloss die Augen, weil ihr schon wieder schwindlig wurde. Trotzdem kamen ihre Gedanken nicht zur Ruhe.
Wie passte diese ganze Konstellation zu den vier Beinhuber-Brüdern, von denen einer unbedingt Haus und Laden erben wollte, während die anderen das Ganze nur als schöne Möglichkeit sahen, an Geld zu kommen? Hatte die alte Tante den Wunsch des jüngsten Neffen wirklich ignoriert und stattdessen versucht, mit ihrem Letzten Willen die Brüder zusammenzuschweißen? Glaubte sie, dass das gelingen konnte? Oder war das Ergebnis der verunglückten Familienzusammenführung eben jener unbekannte Tote? Hatte Christian Beinhuber, der angeblich bei einem Seminar war und dort nicht erreicht werden konnte, etwas damit zu tun? Oder war das alles doch nur ein Zufall, und es nutzte ein Fremder die Gelegenheit, das verlassene Haus als Tatort und später als praktische Entsorgungsstätte für den Toten zu verwenden? Aber wie waren Täter und Opfer überhaupt zusammengekommen? Hatte der Täter sein Opfer in den Laden bestellt? Oder war der, der das Treffen vorgeschlagen hatte, am Ende das Opfer, das nicht mit einem Übergriff des Täters gerechnet hatte? Und war das planmäßig passiert oder eine Affekthandlung? Etwa, weil das Opfer den Täter provoziert hatte?
Nachdem sie Hannes unterwegs abgesetzt hatte, war sie nach Hause gefahren und hatte sich an den Laptop gesetzt, um mehr über die Gabe eines Geistheilers zu recherchieren. Tatsächlich gab es Geistheilerseminare in nahezu allen Großstädten, und jeder schwor darauf, dass man die Fähigkeit des Handauflegens jederzeit erlernen könne. Als letztes Insignie der Geistheiler macht öffnete der Seminarleiter, so wurde es beschrieben, bei der ersten Geistheiler-Klient- Berührung die mentale Schleuse und machte somit jede Heilung möglich.
Kichernd richtete sich Franziska im Wasser auf und nahm das Rotweinglas von dem Hocker daneben. Als ihr der Wein fruchtigherb durch die Kehle rann, breitete sich ein wehmütiges Lächeln auf ihrem Gesicht aus. Wenn nicht all diese Fragen im Raum stehen würden, wäre sie vielleicht schon auf dem Weg nach Sizilien und würde schon morgen in Walters Armen erwachen. Bestimmt würde es ihr auf dieser von der Sonne verwöhnten Insel schnell besser gehen.
Nachdenklich streckte sie ein Bein in die Höhe und wackelte mit den pink lackierten Zehen. Dabei fühlte sie sich wie ein verliebtes Schulmädchen. Vor allem, wenn sie da weitermachen würden, wo sie vor seiner Abreise aufgehört hatten.
Seufzend ließ sie das Bein ins Wasser zurückgleiten und reckte das andere in die Höhe. In Palermo musste es jetzt schön sein, und bestimmt konnte man ganz in der Nähe im Meer baden und dann …
Bevor sie sich von wilden Sexfantasien davontragen ließ, nahm sie das Glas am Stiel und schwenkte den Wein vorsichtig im Kreis. Es war ein sattes volles Rot, und mit jedem Schluck, den sie davon trank, wurden ihre Kopfschmerzen besänftigt und ihre Gedanken mutiger - fordernder.
Walter war von Anfang an anders gewesen als die Männer, die sie vor ihm gekannt hatte. Allerdings hatte sie sich ihm auch noch nie so nahe gefühlt wie nach der Nacht, in der sie in ihrem um dekorierten Wohnzimmer Was-auch-immer aus einem Kelch getrunken hatten. Vor allem, weil auch Walter seither wie verändert war.
Gut, dass er heute nicht erreichbar gewesen war, hatte sie schon geärgert. Aber gerade, als sie anfing, sich wirklich darüber aufzuregen, hatte sie eine supersüße SMS von ihm bekommen, die all ihre Wut schlagartig verpuffen ließ. Schon immer hatte er sie mit den wunderbarsten Nachrichten beglückt, aber noch nie hatte er sich so verliebt angehört wie heute:
Hallo Frau Kommissarin,
komm, so schnell du kannst.
Ich vermisse dich wie
verrückt und würde zu
gerne noch ein bisschen
von dir und vom Kelch
der liebe trinken.
Heiße Küsse und zärtliche
Umarmungen dein Walter
Ein Kribbeln, das ihren ganzen Körper aufwühlte und sich dann als pulsierende Wärme in ihrem Schoß niederließ, war die Antwort auf seine Zeilen. Ach, es ist so schade, dass er ausgerechnet jetzt weggefahren ist, dachte sie und zog einen Schmollmund.
Und während sie darüber nachdachte, was sie in dieser Wanne alles mit Walter anstellen könnte, wenn er jetzt hier bei ihr wäre, sie sich nackt an seinen Körper schmiegen, seine Lust erkunden und ihre eigene damit steigern würde, wurde sie auf einmal richtig sauer. Denn sie könnte ja bei ihm sein und ihr Glück auskosten, wenn nicht ausgerechnet jetzt dieser dämliche Mord dazwischen gekommen wäre.
Beim nächsten Schluck Rotwein war ihr alles klar. Der Täter betrog sie um Stunden voller Lust und Liebe. Um zarte Berührungen und Küsse, die in ihren Schoß kribbelten und sie dazu animierten, alles zu tun, was Walter ihr vorschlug. Einfach so, weil es in diesem Moment das Schönste war, was sie sich vorstellen konnte. Aber das würde er büßen müssen. Selbst wenn der Gedanke vielleicht etwas weit hergeholt war, nahm es Franziska dem Täter durchaus übel, dass er sie wegen einer im braunen Wasser treibenden Leiche in einem verlassenen Haus um diesen wundervollen Liebesurlaub mit Walter gebracht hatte. Als kleiner Nebeneffekt war ihre Wut sehr gut dazu geeignet, um sie zu Höchstleistungen anzuspornen. Noch hatten sie dem Täter keinen Fehler in seinem Vorgehen nachweisen können, einen hatte er aber auf jeden Fall bereits gemacht: Er hatte sich mir ihr ganz persönlich angelegt. Und das war sein größter Fehler, wie sie nach dem nächsten Schluck Rotwein grimmig befand.