Читать книгу Und dann kam das Wasser - Dagmar Isabell Schmidbauer - Страница 8
ОглавлениеGerade hatte sich Josef Schneidlinger ein Bier aus dem Kühlschrank geholt und sah jetzt zu, wie der Gerstensaft goldgelb in sein Glas floss und kleine Bläschen aufstiegen, und wie sich, quasi als Gipfel der Verlockung, eine herrliche Schaumblume bildete. Bei diesem Anblick lief ihm das Wasser im Mund zusammen. Genüsslich nahm er den ersten und gleich darauf den zweiten Schluck, lehnte sich an die Küchentheke, schloss die Augen und seufzte leise. Vor ein paar Minuten hatte ihm Paulina eine SMS geschickt. Sie wollte wissen, ob er heute schon etwas vorhatte, und er hatte geantwortet: Ja … leider!
Und tatsächlich hatte er dieses „leider“ auch so gemeint. An Wochenenden wie diesem spürte er nur zu deutlich, wie schwierig das Familienleben im Hause Schneidlinger inzwischen geworden war.
Seit der Kriminalhauptkommissar von München nach Passau gewechselt und die Karriereleiter eine entscheidende Stufe hinaufgeklettert war, wohnte er wieder zu Hause, auf dem Bauernhof seiner Eltern im Rottal, während seine Gemahlin mit den vier Kindern in München geblieben war. Gabi war eine erfolgreiche Geschäftsfrau, die spielend Beruf und Kindererziehung unter einen Hut brachte und sich niemals von ihren Geschäften getrennt hätte, um als Hausfrau auf einem Bauernhof zu leben − und wenn er noch so herrschaftlich gewesen wäre.
Als sie am Freitag angerufen und ihm gesagt hatte, sie und die Kinder würden in zwei Stunden bei ihm sein, hatte sich Schneidlinger gefreut. Aber anscheinend hatte Gabi die Tristesse, die Land und Haus bei diesem Wetter versprühten, unterschätzt, und nun hing sie seit gestern Vormittag mit schlechter Laune auf dem Hof herum, streitsüchtig und ständig alles infrage stellend. Vermutlich wäre sie schon vor Stunden gefahren, hätte seine Mutter sie nicht alle zum Monopoly überredet. Die Kinder waren begeistert und wollten unbedingt die Runde zu Ende spielen, während die Eltern gute Miene zum nervigen Spiel machen mussten.
Zurück in der Stube versuchte sich Schneidlinger auf seine ihm entgleitenden Gesichtszüge zu konzentrieren, was ihm immer seltener gelang, wenn sich seine Gedanken, wie jetzt, an Paulina aufgehängt hatten. Sie war nicht wie andere Frauen, sie war etwas Besonderes. Je mehr die Anspannung daheim zunahm, desto mehr sehnte er sich nach ihr, auch wenn er sich und ihr das nie eingestanden hätte. Wobei so ein Geständnis ohnehin keinen Platz in ihrer Freundschaft hatte, die hauptsächlich daraus bestand, dass sie sich hin und wieder auf ein Glas Wein trafen und sich gegenseitig ihr Herz ausschütteten.
Schneidlinger war für sie ein Mann, der wusste, was er wollte, und dem sie einiges zu verdanken hatte. Mehr nicht. Paulina dagegen war eine Frau, die verdammt gut aussah und sich niemals so aufführen würde wie Gabi. Zumindest hatte Schneidlinger sie noch nie so erlebt. Aber sie waren ja auch nicht verheiratet.
Während die Würfel über den Tisch rollten, brach sein Sohn Tobias in Jubelgeschrei aus.
„Was ist?“, fragte Schneidlinger in die grinsende Runde, weil anscheinend jeder außer ihm Bescheid wusste.
„Du hast vergessen mich abzukassieren“, erklärte sein Jüngster altklug, doch bevor Schneidlinger richtig Zeit hatte, sich über dieses Versäumnis zu ärgern, klingelte in seiner Tasche das Handy.
In Gedanken ganz bei Paulina, zog er es heraus und ging in den Flur, um in Ruhe sprechen zu können.
„Ja? Ja, Obermüller, ich verstehe.“
Nachdem er aufgelegt hatte, wählte er aus seinem Speicher eine Nummer und lauschte auf das Freizeichen.
„Hollermann, sind Sie das? Tut mir leid, dass ich Sie stören muss, aber wir haben einen sehr eiligen Fall“, erklärte er, ganz Kriminalhauptkommissar, ohne sich lange mit einer Begrüßung aufzuhalten. „Halten Sie sich bitte bereit. Frau Steinbacher wird Sie gleich abholen. Und, ach ja: Ziehen Sie sich Gummistiefel an.“