Читать книгу Und dann kam das Wasser - Dagmar Isabell Schmidbauer - Страница 7
ОглавлениеUnschlüssig stand Franziska im Bikini vor dem Kleiderschrank und fischte Sommerkleidchen, Shorts und Trägertops heraus, die dank des derzeitigen Passauer Schmuddelwetters und Temperaturen, die eher zum Winter passten, noch nicht zum Einsatz gekommen waren. Glücklich drehte sie sich vor dem Spiegel hin und her und sah förmlich, in welchem Ausnahmezustand sich ihr Körper befand, angeheizt von zu vielen Hormonen und der Vorfreude auf den Plan, den sie schon in den nächsten Tagen in die Tat umsetzen würde.
Irgendwann in der vergangenen Nacht, nachdem nicht nur König Marke, sondern auch Tristan und vor allem Isolde alles bekommen hatten, wonach sie verlangten, waren die beiden Laiendarsteller ins Schlafzimmer umgezogen, wo sie am Morgen gemeinsam erwacht waren. Das passierte nicht häufig, denn jeder der beiden hatte seinen Beruf und seine eigene Wohnung, und vor allem Walter liebte diese Freiheit sehr.
Franziska dagegen hatte sich in den vergangenen Monaten oft gewünscht, Walter würde zu ihr ziehen und immer da sein, wenn sie sich nach ihm sehnte. Auch wenn sie wusste, dass so eine Beziehung Walters Sache nicht war. „Liebe braucht Freiheit!“, hatte er behauptet, als sie ihn eines Tages schüchtern in ihre Überlegungen einbezog, und ihr erklärt, dass sie als Paar nur so wachsen und gedeihen und für alle Zeit aufregend füreinander bleiben würden. Und Franziska hatte genickt. Was hätte sie auch darauf antworten sollen.
An diesem Morgen hatte Walter ihr erzählt, dass er vor ein paar Tagen ein kurzfristiges Engagement in Palermo angenommen hatte. Eine tolle Chance für ihn, wie er mit breitem Lächeln zugegeben hatte.
Sie war ein wenig eingeschnappt, weil er ihr nicht früher Bescheid gegeben hatte, hütete sich aber wie immer davor, ihre Besitzansprüche, die sie an ihn stellte, laut auszusprechen. Stattdessen fragte sie: „Wann geht’s denn los?“
„Heute noch“, antwortete Walter, und er klang sehr zufrieden dabei, wie Franziska mit flauem Gefühl im Bauch bemerkte. „Was um alles in der Welt zieht dich nach Sizilien?“, bohrte sie weiter und schmiegte sich an seine Brust, als könnte sie ihn damit umstimmen. Walter lachte, küsste sie auf den Scheitel wie ein kleines Mädchen und fragte sie dann, ob sie bei diesem Wetter nicht auch lieber in der sizilianischen Sonne als im Passauer Dauerregen hocken würde.
„Du meinst, ich soll mitkommen?“
„Warum nicht? Zumindest besuchen könntest du mich.“
Wenn sie ehrlich zu sich war, klang es nicht unbedingt wie eine Einladung, aber Franziska war entschlossen, das zu ignorieren. Sie würde tun, was Walter ihr vorgeschlagen hatte – selbst wenn es nicht unbedingt ernst gemeint war. Urlaub nehmen, Koffer packen und ab nach Sizilien.
Später, als sie noch immer in seinen Armen lag und ihre Finger über seinen Bauch streichelten, flüsterte sie ihm voller Sehnsucht ins Ohr: „Was meinst du? Wollen wir dann die Geschichte von Tristan und Isolde noch ein bisschen vertiefen?“
„Du weißt schon, dass es für die beiden am Ende schlecht ausging?“
„Wir könnten ja die Geschichte umschreiben“, entgegnete sie nachdenklich, aber Walter hatte nur den Kopf geschüttelt.
„Ohne Gefahr wird Liebe schnell langweilig“, hatte er verkündet und sie an sich gezogen, um mit seinen Lippen ihren Mund zu verschließen.
„Komm ein bisschen mit nach Italien“, sang sie nun den alten Schlager und trällerte so falsch, dass sie selbst darüber lachen musste. „Komm ein bisschen mit ans blaue Meer!“
Auf dem Bett wuchsen die Stapel mit den Sommersachen, und sie überlegte, ob sie nicht doch einen größeren Koffer besorgen sollte. Während des Packens hatte sie sich im Internet die Sonneninsel Sizilien und die Temperaturen, die dort gerade herrschten, angesehen, und immer wieder eine SMS an Walter getippt. Er sei gerade angekommen, schrieb er, und es sei wunderschön. Daraufhin hatte sie Flugpreise verglichen und sich gedanklich schon in luftiger Höhe im Anflug auf Palermo befunden.
Ein Problem gab es natürlich noch. Sie musste ihren Chef informieren. Andererseits gab es keinen Fall, sondern nur ein paar alte Akten, die aufgearbeitet werden mussten. Aber er würde sie schon nicht zur Büroarbeit verdonnern. Letztlich hatte er auch gar keinen Grund, sie mit einem Nein abzustrafen, dachte Franziska, als sie wieder im Schlafzimmer stand, und grinste ihr Spiegelbild frech an.
„Soll er doch lieber mal froh sein, dass er eine so gewissenhafte und pflichtbewusste Mitarbeiterin wie mich hat“, erklärte sie sich selbst. „Und wenn diese hervorragende Kraft verliebt ist und endlich auch mal an sich denkt, was sollte der Chef dann dagegen haben?“
Trällernd und tanzend wirbelte sie durch die Wohnung, streckte dem Regen, der unaufhörlich auf die Fliesen des Balkons prasselte, die Zunge raus und legte sich schließlich im Bikini auf das große Fell, das noch immer auf dem Wohnzimmerboden lag. Von dort blickte sie in die blattlosen Zweige des künstlichen Baums, den Walter am Abend zuvor mitten im Raum aufgestellt hatte, rüber zum umgekippten Sofa, und musste lächeln. Walter war ein Hauptgewinn, so einfallsreich, leidenschaftlich und hingebungsvoll wie er war, und einen Mann wie ihn durfte frau auf keinen Fall in die Flucht treiben, da war sie sich sicher. Auch, wenn sie sich manchmal mehr Nähe wünschte. Aber seit wann war sie eigentlich so eine fürchterliche Glucke?
Ihr kam in den Sinn, dass der Liebestrank vielleicht tatsächlich echt gewesen und an ihrem Verhalten schuld war. Bei ihr hatte er allemal gewirkt, denn sie verhielt sich wie ein schwer verliebter Teenager. Und bei ihm offensichtlich auch. Immerhin hatte er sie eingeladen, ihn auf Sizilien zu besuchen. So nahe waren sie sich noch nie gekommen. Bis auf die gelegentlichen Ausflüge ans Theater und einige Besuche im italienischen Lieblingsrestaurant Franziskas um die Ecke unternahmen sie ohnehin recht wenig. Irgendwie hatte immer einer von beiden zu tun. Wenn sie aber doch Zeit füreinander fanden, landeten sie meistens im Bett oder an Orten, die sie für ihre Liebesspiele auswählten.
Und jetzt eine gemeinsame Reise als Krönung ihrer Liebe und endlich ganz viel Zeit füreinander. Klang das nicht wunderbar?
Ob es wohl wirklich an dem Getränk lag? Er hatte ihr nicht verraten, woher es stammte, wer es gemixt hatte und aus welchen Ingredienzien es letztlich bestand. Würde die Wirkung bald nachlassen? Und was würde dann sein?
Unsinn! Franziska schalt sich eine Närrin. Letztlich war es doch egal, woran es lag. Wichtig war nur, dass sie sehr, sehr glücklich war.
„Ich komm ein bisschen mit nach Italien“, trällerte sie wieder schief, als das Telefon klingelte, und sie schon dachte, Walter würde sich endlich mit einem Anruf bei ihr melden.
„Franzi?“
„Ach, Obermüller, du bist‘s!“
Und dann schwieg sie, und während sie in den Hörer lauschte, verging ihr nicht nur das Singen von alten Schlagern. Denn ihre spontane Reise nach Bella Italia fiel gerade sprichwörtlich ins Wasser.