Читать книгу Und dann kam das Wasser - Dagmar Isabell Schmidbauer - Страница 26
ОглавлениеIn dieser Nacht hatte Adina schlecht geschlafen, und sie wusste nicht, ob es am Regen lag, der unaufhörlich auf das Kupferdach über ihrem Zimmer prasselte, oder daran, dass sie sich Sorgen machte.
Als sie es gar nicht mehr im Bett aushalten konnte, stand sie auf, zog sich an und ging in die Küche hinunter, um einen Hefeteig anzusetzen. Die Männer liebten es, wenn es im ganzen Haus nach frischem Brot und deftigem Gulasch roch. Überhaupt waren sie leicht zu beeindrucken. Das hatte sie sofort gespürt. Und Adina kochte gern, vor allem für Männer, die ihre Kochkünste zu schätzen wussten und sagten, was sie wollten. Einen saftigen Rinderbraten in Rahmsoße zum Beispiel, und dazu Böhmische Knödel, die Leibspeise des Vaters. Und als Nachtisch: Marillenknödel, die sie mit Zimt und Zucker und einer aufgeschäumten Vanillesoße servierte. Oder ein knuspriges Grillhendl mit Kartoffelsalat. Sehr beliebt war auch ihr Schweinebraten mit frischen Reiberknödeln und Krautsalat. Pes‚tele cel mai bun, tot porcul rˇamâne, lautete ein Sprichwort aus ihrer Heimat. Der beste Fisch ist immer das Schwein.
Allerdings war Adina nicht nur sehr geschickt, was das Kochen anging, sie war auch berechnend. Nachdem sie den Teig auf den warmen Ofen gestellt hatte, sah sie nach dem Mann, den im Haus alle nur „Vater“ nannten, und als sie feststellte, dass er bereits wach war, zog sie die Vorhänge auf und wünschte ihm einen guten Morgen.
Der Vater frühstückte wie immer im Bett, warum ihm Adina die Tasse mit dem Milchkaffee, den er um diese Zeit zu sich nahm, nur halb füllte. Sein Leben lang hatte er Wert auf Etikette und gute Manieren gelegt, ein Prinzip, das mit dem zunehmenden Zittern seiner Hände immer schwieriger umzusetzen war.
„Möchten Sie essen?“, fragte Adina wie jeden Morgen, und der Vater antwortete genauso regelmäßig: „Ach, Kind, du weißt doch, dass ich um diese Zeit nichts runterbringe.“
Adina lächelte, dann nahm sie ihm die leere Tasse ab und half ihm aus dem Bett.
„Hast du schon etwas von meinem Sohn gehört?“, fragte er, als er gewaschen und angezogen in seinem Sessel saß, und sah sie mit seinen traurigen Augen, um eine positive Antwort bettelnd, an.
Bedauernd schüttelte Adina den Kopf, und damit er nicht weiter bohrte, reichte sie ihm die Zeitung.
„Danke, Kind. Was willst du uns heute kochen?“
„Gulasch mit frische Brot“, antwortete Adina und sah, wie ihm schon jetzt das Wasser im Mund zusammenlief.
„Sein Leibgericht! Na, vielleicht kommt er ja heute.“
Adina fragte, ob der Vater noch etwas brauche, doch der schüttelte nur den Kopf, bis ihm einfiel, dass sie ihm ein Buch besorgen könne.
Ja, nickte Adina erfreut, weil dieser Auftrag sehr gut zu ihrem heutigen Plan passte.
Als sie zwei Stunden später das Haus verließ, war das Brot gebacken, und das Gulasch köchelte auf kleiner Flamme vor sich hin. Um für das Wetter gerüstet zu sein, trug sie Gummistiefel und eine warme Steppjacke, deren Kapuze sie sich weit ins Gesicht gezogen hatte. Entschlossen überquerte sie die Straße und stellte sich an der Bushaltestelle unter das schmale Dach. Tagelang hatte sie auf eine Nachricht gewartet, jetzt wollte sie selbst aktiv werden. Nach einer kurzen Wartezeit stieg sie in den Bus, der sie zum Busbahnhof in der Innenstadt und damit zum Turm und den Büros, die sich dort befanden, brachte. Von dort wollte sie weiter in die Altstadt gehen, dorthin, wo die Kanzlei lag. Der Bus fuhr wegen des Hochwassers nur bis zum Busbahnhof, den restlichen Weg musste sie zu Fuß gehen, wenn es ihr überhaupt noch gelang.
Tief in Gedanken versunken, machte sie sich zum Ausstieg bereit, als sie durch die Scheibe Natalia entdeckte, die auf den Eingang zum Turm zuhielt. Den Kopf wie immer gesenkt, aber mit einem unheimlichen Lächeln im Gesicht. Adina erschauderte und begann zu drängeln, doch bis es ihr gelungen war, den Bus zu verlassen, war Natalia bereits durch die Schiebetür im Turm verschwunden.
Nachdenklich überquerte Adina den Platz und beschloss, vor dem Buchladen, der sich im Foyer des hohen Turms befand, auf die Freundin zu warten. Vertieft in die Auslagen, ließ sie die Zeit verstreichen, bis ihr einfiel, dass sie dem Vater ein Buch mitbringen sollte. Sie löste den Blick vom Schaufenster, doch bevor sie sich zur Tür wenden konnte um hineinzugehen, sah sie im Spiegel der Scheibe, wie etwas Großes, etwas Unheimliches vom Himmel stürzte. Sie fühlte den Luftzug und spürte gleich darauf den harten Aufschlag, der das Pflaster zum Beben brachte und sie herumriss. Das alles passierte in nur wenigen Sekunden, aber in ihrem Kopf würde es später immer und immer wieder ablaufen und sich so in eine gefühlte Unendlichkeit ausdehnen. Nie mehr sollte sie diesen Anblick vergessen.
Was wie ein riesiger vom Sturm gebeutelter Vogel vom Himmel herunter geschossen kam, der Mantel flatternd, die Haare grotesk nach oben gerissen, mit den Händen rudernd und einen schrillen Ton ausstoßend, war in Wirklichkeit Natalia. In einer grotesk verdrehten Körperhaltung blieb sie stumm, keine drei Meter entfernt von der Eingangstür zum Buchladen, mit dem Gesicht nach unten liegen. Nur der Regen tropfte unaufhörlich auf ihren Mantel und auf ihre Haare und vermischte sich mit der Blutlache, die sich zügig um ihren Kopf herum ausbreitete.
Wie auf Knopfdruck ließ Adina alles, was sie bei sich hatte, fallen und rannte zu der so schlimm zu gerichteten Freundin. Doch nach dem Puls suchte sie vergebens. Die Jungfrau hatte ihr Versprechen gehalten, und Natalia war bereits auf dem Weg in eine bessere Welt.
Endlich verstand Adina, was passiert war, und weil sich die Erkenntnis so rasant in ihrem Körper ausbreitete, biss sie sich heftig in die linke Hand, um nicht laut aufzuschreien. Sie musste hier weg, sofort, sie durfte keine Zeit mehr verlieren. Natalia war tot, sie konnte nichts mehr für sie tun, außer zu beten.
Weit zog Adina die Kapuze ins Gesicht und hoffte so, von oben, aus dem Stockwerk der Kanzlei, nicht erkannt zu werden. Als die ersten Schaulustigen näher kamen, verschwand Adina unauffällig im Foyer des Kinos, wo sie sich wenig später auf einer der Toiletten einschloss. Sie musste in Ruhe nachdenken. Denn mit dem Tod der Freundin waren auch ihre Pläne zunichtegemacht worden.