Читать книгу Und dann kam das Wasser - Dagmar Isabell Schmidbauer - Страница 27
ОглавлениеMit der rechten Hand umklammerte sie den Fensterrahmen, mit der Linken eine ihrer Gehhilfen. Die zweite war ihr vor Schreck aus der Hand gerutscht und zu Boden gefallen. Doch nachdem sie erst einmal kapiert hatte, was gerade direkt vor ihren Augen geschehen war, wollten weder Arme noch Beine so richtig funktionieren.
Eva Heinzl war Anfang fünfzig, doch seit einigen Jahren wurde ihr Gang immer unsicherer, und sie wusste, dass sie irgendwann auf fremde Hilfe angewiesen sein würde. An manchen Tagen ging es ihr besser, aber nie so gut, wie sie es sich wünschte. Dabei war sie im Geiste noch immer Mitte zwanzig, durchtrainiert und sportlich. So wie damals, bevor sie von ihrer Erkrankung erfahren hatte, als ihr kein Berg zu hoch und kein Weg zu weit gewesen war.
Mit einem schnellen Blick sah die Sekretärin zu ihrem Chef hinüber, der wie versteinert an seinem Schreibtisch saß, augenfällig genauso geschockt wie sie.
„Sie muss tot sein“, sagte sie tonlos und wandte sich vom Fenster ab, weil sie genug gesehen hatte. Sie bückte sich, um die heruntergefallene Gehhilfe wieder aufzuheben, dann verließ sie ohne ein weiteres Wort den Raum, um mit schleppenden Schritten und begleitet von dem Stakkato der Stöcke zu ihrem Schreibtisch zurückzukehren.
Zitternd ließ sie sich nieder und beschwor im Geist die Szene herauf, wie die Frau hereingekommen war, sich kurz umgesehen hatte und dann zielstrebig ins Büro des Chefs gelaufen war.
Warum war sie hierher gekommen? Und was hatte sie von ihm gewollt? Kannten sich die beiden? Aber warum sagte er dann nichts?
Eva wusste, dass Aufregungen dieser Art nicht gut für sie waren, aber wie um alles in der Welt sollte sie solche unvorhersehbaren Ereignisse aus ihrem Leben fernhalten?
Um sich zu beruhigen, schloss sie die Augen und begann langsam und tief zu atmen. Doch was ihr sonst immer sehr schnell half, wollte in diesem Moment einfach nicht funktionieren. Ihre Gedanken überschlugen sich. Sie musste wissen, wer die Frau war. Und sie musste es jetzt wissen. Auch wenn es dem Chef nicht gefallen würde, schnappte sie sich ihre Gehhilfen und verließ, ohne ihm ein Wort zu sagen, das Büro.