Читать книгу Und dann kam das Wasser - Dagmar Isabell Schmidbauer - Страница 3
Prolog
ОглавлениеTräge lag ihr Blick auf der Tür, die sich vor einer Ewigkeit hinter ihm geschlossen hatte.
Wie lange mochte es her sein? Stunden? Tage?
Iliana versuchte ihren Kopf zu drehen und sich im Raum umzusehen. Aber ihr Körper reagierte immer weniger auf das, was sie ihm befahl. Die Muskeln der Beine zuckten unkontrolliert, und ihr Herz schlug schnell, als könnte es damit noch irgendetwas erreichen. Als könnte es weglaufen vor dem, was ihm unmittelbar bevorstand.
Zunächst hatte sie gedacht, er würde gleich wiederkommen. Dann hatte sie vermutet, dass ihm etwas dazwischengekommen war.
Müde fiel ihr Kopf wieder auf die Brust zurück. Wie aus weiter Entfernung spürte sie die Wand in ihrem Rücken, ihre Arme waren längst taub.
Kurz stöhnte die Andere neben ihr auf, dann war wieder alles ruhig. Livia hieß sie. Sie kannten sich noch nicht lange, aber das Gesicht war ihr gleich bekannt vorgekommen. Vielleicht hatte sie sie schon einmal irgendwo gesehen. Vorher. Bevor sie sich auf dieses Abenteuer eingelassen hatte.
Jetzt stöhnte auch Iliana. Aber nur leise. Sie hatte nicht mehr genug Kraft, um laut zu klagen oder gar zu schreien. „Hilfe! Hilfe!“, hatten sie am Anfang gerufen. Aber es war umsonst gewesen und hatte nur Kraft gekostet, die ihnen jetzt fehlte. Kraft, die sie in den nächsten Stunden brauchen würden.
Sie saßen auf dem nackten Fußboden. Doch inzwischen spürten sie auch das nicht mehr. Im Raum war es unerträglich heiß. Anfangs hatten sie geschwitzt, bis T-Shirts und Hosen klatschnass waren und unangenehm an ihrem Körper klebten. Der Hunger hatte an ihren Gedärmen gezerrt wie ein kläffender Hund an der Leine, und das Gefühl, pinkeln zu müssen, hatte sie fast umgebracht. Aber der Durst, der sich leise an sie heranschlich, hatte all diese Empfindungen zunichtegemacht. Er war das Schlimmste. Sie hatte förmlich gespürt, wie sie langsam austrocknete. Erst der Mund. Dann der Hals. Schließlich der ganze Körper. Ihr Magen fühlte sich wie ein harter Klumpen an, die Haut am ganzen Körper juckte. Spannte. Trocknete ein und riss auf. Sie gierte nach Wasser. Warum hatte er ihnen kein Wasser da gelassen?
Und warum kam er nicht wieder?
Ein Abenteuer hatte sie sich gewünscht, etwas, was ihr Leben lebenswerter machte. Und Geld. Wer träumte nicht davon, Geld zu haben? Und schöne Kleider. Ja, auch davon hatte sie geträumt.
„Livia. Hörst du mich?“, wollte sie fragen, aber ihr Mund war zu trocken und ihr Körper zu schwach, um klar zu sprechen.
Die Frau in der anderen Ecke stöhnte leise. Kein weiteres Geräusch verriet, dass sie am Leben war. Nur dieses schwache Keuchen.
„Livia! Wir dürfen nicht aufgeben“, formten Ilianas spröde Lippen tonlos.
Und dann hörte sie endlich das leise Klimpern der Handschellen, mit denen sie an den Heizungsrohren festgekettet waren.
„Livia?“
„Mama?“, stöhnte die andere, und im nächsten Moment hörte sie das Würgen und schließlich, wie die Flüssigkeit auf den Boden platschte.
O mein Gott, sie weiß schon gar nicht mehr, wo sie ist.
„Livia, ich bin‘s, Iliana“, versuchte sie richtigzustellen.
Aber die andere schien nicht zu begreifen.
„Mama. Du darfst nicht böse sein … Ich war das nicht“, lallte Livia mit brüchiger Stimme. Wie eine Betrunkene.
Vom Durst betrunken. Welch Ironie.
„Livia?“
Und kurz bevor der Schwindel in ihrem Kopf einsetzte und auch sie selbst nicht mehr wusste, wo sie sich befand und wie sie in diese missliche Lage gekommen war, wurde ihr bewusst, dass sie ja schon lange nicht mehr schwitzte und nicht mehr pinkeln musste, und dass das, was Livia gerade durchmachte, auch ihr bevorstand.
Da begriff sie, dass es bald vorbei war mit ihr. Dass sie kein Abenteuer mehr erleben würde. Dass man sie einfach vergessen hatte.